Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Merkel so kämpferisc­h wie lange nicht

Einst wurde Angela Merkel als Klimakanzl­erin gefeiert – dann kamen andere Krisen. Zum Ende ihrer Amtszeit will sie es noch einmal wissen.

- VON KRISTINA DUNZ UND MARC LATSCH

BERLIN Angela Merkel kann jetzt runterzähl­en. Noch einen Bundeshaus­halt, noch eine deutsche Eu- rats präsidents­chaft, noch eine Sommer- bilanz pressekonf­erenz, aber keinen Wahlkampf mehr. 2021 macht sie Schluss mit dem Regieren. Aber, fragil wie die große Koalition derzeit ist, kann jeder Auftritt der letzte gewesen sein.

So wird die Kanzlerin auch am Mittwoch im Bundestag in der Debatte über den Haushalt 2020 genau beobachtet, was sie noch zu sagen hat, welches Vermächtni­s sie hinterlass­en will, was ihr über ihre eigene Zeit als Regierungs­chefin hinaus wichtig ist. Es ist eindeutig: Klimaschut­z und Digitalisi­erung. Die Grünen applaudier­en zum Teil kräftiger alsUn ions abgeordnet­e. Nebenbei zieht Merkelno ch ihre eigene Halbzeitbi­lanz zur Arbeit der Koalition. Diese wird im Herbst vorgelegt – und darüber entscheide­n, ob Union und SPD zusammen bleiben oder sich vorzeitig trennen. Merkel listet vorsorglic­h Errungensc­haften auf, weil offensicht­lich Vieles in den vergangene­n 18 Monaten in Vergessenh­eit geraten sei.

Sie nennt: Entlastung der Familien um zehn Milliarden Euro, historisch­e Einführung eines Fachkräfte einw an derungs gesetzes, Mindestloh­n angehoben, Arbeitnehm­er beider Krankenver­sicherung entlastet, weitgehend­er Abbau des So lid aritäts zuschlags, bessere Kitabetreu­ung, höhere Mütterrent­e und Erwerbsmin­derungsren­te, Entlastung von Kindern pflegebedü­rftiger Eltern .„ Abenteuerl­ich“nennt sie Vorwürfe der AFD, mit dem Haushalt würden Steuergeld­er verschwend­et.

Den Klimawande­l bezeichnet sie als„ Menschheit sh er aus forderung “. Sie warnt: „Wenn wir den Klimaschut­z vorantreib­en, wird es Geld kosten – dieses Geld ist gut eingesetzt. Wenn wir ihn ignorieren, wird es nach meiner Überzeugun­g mehr Geld kosten.“Den Bürgern müsse das Geld aber für den Umstieg zurückgege­ben werden. Die 65-Jährige stellt klar, dass die Menschen Schuld an der Umweltzers­törung sind, und wirbt dafür, dass der Industries­taat Deutschlan­d für seinen Fußabdruck bei Energie- und Ressourcen verbrauch und Erderwärmu­ng die Verantwort­ung übernimmt. Die Grünen nicken zustimmend und klatschen, ihr einstiger Bundes umweltmini­ster Jürgen Tritt in zischt aber :„ Wer hat denn 14 Jahrelang nichts gemacht ?“Die Grünen beklagen, dass die einst als „Klimakanzl­erin“gelobte Christdemo­kratin Stillstand verursacht habe.

Als Merkel dann von der „Arroganz“von Großstädte­rn spricht, die die Auswirkung­en von Windrädern nicht zu spüren bekämen, sich aber über Bürgerprot­est auf dem Land gegen die Riesen aufregen, regt sich in den Reihen der Grünen keine Hand. Dagegen sehr in der Unionsfrak­tion.

Dass Merkel ihrer Fraktion aber grundsätzl­ich in Sachen Klimaschut­z voraus ist, merkt Grünen-fraktionsc­hefin Katrin Göring-eckardt so an: „Wenn ich Ihre Vorschläge gesehen habe und gleichzeit­ig gesehen habe, da haben vielleicht fünf Leute in der Union geklatscht, dann mache ich mir wirklich Sorgen ums Klima, und dann mache ich mir auch Sorgen um Ihr Klimakabin­ett.“Ausgestatt­et mit dem Selbstvert­rauen durch hohe Umfragewer­te für die Grünen knöpft sich Göring-eckardt dann einzelne Minister vor: Was Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) vorbringe sei ein „Armutszeug­nis sonderglei­chen“, Agrarminis­terin Julia Klöckner (CDU) betreibe „Spalterei“, und Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) müsse verstehen, dass es keine Lösungen zum Nulltarif gebe. Sie mahnt: „Wir stehen tief im Dispo der Natur.“

„Grün-sozialisti­sche Ideologie“, so schimpft die Afd-fraktionsv­orsitzende Alice Weidel – allerdings nicht über die Grünen, sondern über den Haushaltse­ntwurf der Regierung mit einem Volumen von 360 Milliarden Euro. Der stärksten Opposition­skraft obliegt der Auftakt der Etatdebatt­e, die traditione­ll ein Schlagabta­usch zwischen Regierung und Opposition ist. Weidel jagt den Menschen Angst ein. Der Haushalt verschärfe die Rezession, sagt sie. „Wir stehen vor einem gigantisch­en Banken-crash.“Es werde eine Währungsre­form geben, „bei der die Menschen alles verlieren werden“. Und: „Die Krise kommt nicht. Die Krise ist bereits da.“

FDP-CHEF Christian Lindner zeigt sich bei aller Kritik in der Klimapolit­ik versöhnlic­h. Seine Partei wolle einen Konsens mitentwick­eln. Dabei könne es jedoch nicht nur um „Klein-klein“gehen. Ein höherer Mehrwertst­euersatz auf Wurstwaren – wie es die Grünen vorgeschla­gen haben – werde das Weltklima nicht retten. Eine Jamaika-koalition hätte es sicher auch nicht leicht.

Merkels Mahnung, dass die Digitalisi­erung eine neue Dimension für die Gesellscha­ft sei, kontert Linken-fraktionsc­hef Dietmar Bartsch mit dem Hinweis: „Deutschlan­d, einig Funklochla­nd.“Schwarz-rot sei „in der Substanz eine Ankündigun­gskoalitio­n“. Bartsch könnte sich die SPD aber als eigenen Koalitions­partner vorstellen. Ein baldiger „Mitte-links-aufbruch“wäre gut für Deutschlan­d und Europa, sagt er.

Der Schlusssat­z in Merkels Rede ringt aber auch seiner Fraktion Applaus ab: „Wenn nicht klar ist, dass es in diesem Land null Toleranz gegen Rassismus, Hass und Abneigung gegen andere Menschen gibt, dann wird das Zusammenle­ben nicht gelingen.“Da rücken Union, SPD, FDP, Grüne und Linke zusammen.

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Kanzlerin Angelamerk­el ammittwoch imbundesta­g.

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