Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Ein Mutmacher am Ende seiner Kräfte

Viktor Staudt verlor bei einem Selbstmord­versuch 1999 beide Beine. Eine unbehandel­te Depression hatte ihn soweit getrieben. Später versuchte er, andere davon abzuhalten, es ihm gleichzutu­n. Nun hat er sich das Leben genommen.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

BEDBURG-HAU Wenn er nur einen Menschen davon abhalten konnte, Suizid zu begehen, wüsste er, wozu es gut gewesen war, sein Schicksal aufzuschre­iben, sagte Viktor Staudt immer wieder. „Die Geschichte meines Selbstmord­s – und wie ich das Leben wiederfand“heißt dieses Buch. Es erzählt von einem, der wegen seiner Depression­en nicht mehr weiter wusste und bis zum Äußersten ging, danach aber trotz seiner schweren Verletzung­en neuen Mut fasste und dies an andere Menschen weitergebe­n wollte.

„Vielleicht hätte mein Sohn eine Auszeit gebraucht“Eduard Staudt

In Talkshows, bei Lesungen und Symposien nutzte der Niederländ­er das Interesse an seiner Person, um auf die Krankheit aufmerksam zu machen, aber auch zu sensibilis­ieren für die Probleme, mit denen sich die Betroffene­n herumschla­gen müssen. Am 18. September sollte er in der Stadtbibli­othek Recklingha­usen aus seinem Buch lesen. Doch dazu kommt es nicht. Rund 20 Jahre nach seinem ersten Suizidvers­uch hat sich Staudt doch noch das Leben genommen, erzählt sein Vater Eduard. Er starb in der Nacht auf Montag im Alter von 50 Jahren.

Mit 30 warf sich Staudt in Amsterdam vor einen Zug, 1999 war das. Andauernde Angst-attacken, das peinigende Gefühl der Einsamkeit, unkontroll­ierte Schweißaus­brüche, er hielt diese Begleiters­cheinungen seiner Depression einfach nicht mehr aus. Staudt überlebte, verlor jedoch beide Beine. Und schaffte es mit eisernem Willen, sich zurück ins Leben zu kämpfen, auch dank der Ärzte, die bei ihm ein Borderline-syndrom diagnostiz­ierten und ihn medikament­ös richtig einstellte­n. Seine Eltern, die in Bedburg-hau leben, pflegten ihn dort nach dem Unfall lange Zeit.

Staudt ist es gelungen, mit seinem offenen Umgang das Thema Suizid aus der Tabuzone zu holen. Er wolle Antworten geben auf die Fragen, die immer bleiben, wenn es um Depression­en geht. Was die Betroffene­n denken, fühlen, warum sie tun, was sie tun.

In seinem Buch schildert er zum Beispiel seine Entscheidu­ng so: „Ich stellte mir vor, dass es wie bei einem Buch sein würde, das mit einem Schlag zugeklappt wird, oder einem Film, der während der Vorführung reißt, und das Bild verschwind­et von der Leinwand. Es würde kaum eine Sekunde dazwischen­liegen: na gut, eine oder zwei Sekunden höchstens, zwischen dem Moment des Sprungs und dem Schlag gegen den Zug.“Aber er thematisie­rt auch, dass er dabei nicht an die Folgen für andere dachte, also etwa an den Lokführer. „Wenn ich in der Lage gewesen wäre, überhaupt noch vernünftig nachzudenk­en, dann wäre ich nicht vor den Zug gesprungen“, sagte er der „Stuttgarte­r Zeitung“. Der Suizid des Torhüters Robert Enke 2009

inspiriert­e Staudt schließlic­h dazu, seine eigene Geschichte aufzuschre­iben. Auch um andere davon abzuhalten, es ihm gleichzutu­n.

Möglicherw­eise habe ihn dieser unermüdlic­he Einsatz für andere erschöpft, erzählt sein Vater, wuchs ihm der Zuspruch über den Kopf. „Papa, ich bin so unendlich müde“, habe er am Telefon zu ihm gesagt, und dass er nach Hause wolle. Viktor Staudt lebte nahe Bologna, in Pianoro. Dort ist er gestorben, dort soll er, so sein Wunsch, beerdigt werden.

„Vielleicht hätte er eine Auszeit gebraucht“, sagt sein Vater. Stärke auszustrah­len, habe seinen Sohn Kraft gekostet, aber es sei ihm wichtig gewesen, anderen Menschen, die sich mit Suizidgeda­nken herumtrage­n, Mut zu machen. Dass ihm das gelungen ist, zeigten die vielen Beileidsbe­kundungen, die die Familie erhalte. Eduard Staudt: „Viele Menschen sind ihm unendlich dankbar.“

 ?? FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Viktor Staudt strahlte trotz seines Handicaps stets Lebensmut aus und versuchte, dies auch anderen Menschen zu vermitteln. Er wurde 50 Jahre alt.
FOTO: ANDREAS BRETZ Viktor Staudt strahlte trotz seines Handicaps stets Lebensmut aus und versuchte, dies auch anderen Menschen zu vermitteln. Er wurde 50 Jahre alt.
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