Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
„Ich war maßlos und gierig“
Der frühere Bertelsmann- und Arcandor-manager spricht über seinen Absturz und seine größten Sünden.
BERLIN Die Zeiten haben sich geändert. Nachdem Ex-arcandor-chef Thomas Middelhoff 2014 wegen Steuerhinterziehung und Untreue verurteilt worden war, saß er 24 Monate im Gefängnis. Vor zwei Jahren wurde er wegen einer Autoimmunkrankheit vorzeitig aus der Haft entlassen. Privatjet, Villen, Motoryacht, Millionenvermögen – alles weg. Im Interview spricht er über seinen Absturz, seine größten Sünden und davon, wie ihn der Glaube und seine Arbeit in einer Behindertenwerkstatt aus der Krise geführt hätten.
Herr Middelhoff, schon im Gefängnis haben Sie Ihr erstes Buch geschrieben, da haben Sie Ihre Haftbedingungen angeprangert und auch mit den Medien abgerechnet. „Schuldig – Vom Scheitern und Wiederaufstehen“liest sich jetzt ganz anders. Es ist eine Selbstanklage auf 206 Seiten. Was ist in Ihren Augen Ihr größtes Vergehen? MIDDELHOFF Ich war maßlos und gierig. Gierig nach Anerkennung.
Für den Verkauf von AOL haben
Sie einen Bonus von 100 Millionen Euro kassiert und das Geld einfach an der Steuer vorbei geschleust. MIDDELHOFF Das war der Anfang vom Ende. Als mein damaliger Vermögensverwalter mir vorschlug, die Summe steuerfrei anzulegen, fand ich das eine gute Idee und habe unterschrieben. Ich war ein Idiot. Ich habe in dieser Zeit völlig den Bezug zum normalen Leben verloren. Dabei habe ich alle Warnungen ignoriert, sogar die, die von mir selber ausgingen. Schon zwei, drei Jahre vor meiner Verhaftung hatte ich ein Störgefühl, wenn ich in den Spiegel schaute. Als ich im Gefängnis war, habe ich mich so geschämt, dass ich mir nicht mehr in die Augen sehen konnte.
Und heute?
MIDDELHOFF Sehe ich ein paar Altersflecken, aber ansonsten bin ich zufrieden. Ich weiß, dass ich narzisstische Elemente habe. Früher habe ich um die Aufmerksamkeit der Medien gebuhlt, wollte immer noch bekannter und präsenter sein. Ich glaube, dass ich diese Grundveranlagung nie ganz abstellen werde. Aber ich kann meine überproportionale Neigung dazu korrigieren.
Einige Passagen in Ihrem Buch lesen sich herrlich absurd. Etwa über Ihre Begegnung mit Angela Merkel auf dem World Economic Forum in Davos.
MIDDELHOFF Da habe ich als erster die Konferenz verlassen und bin vor Angela Merkel her stolziert. Irgendwann zupfte sie mich am Jackett und fragte, ob ich es richtig fände, vor dem deutschen Kanzler zu gehen. Ich drehte mich um, lächelte und setzte ungerührt meinen Weg an der Spitze der Delegation fort.
Und beim Empfang zum 60. Geburtstag von Steve Schwarzmann, dem CEO von Blackstone… MIDDELHOFF …bin ich vorzeitig gegangen, weil ich in meiner Hybris die Gäste langweilig fand. Mein Tischnachbar wäre Colin Powell gewesen.
Jetzt werden Sie nicht mehr eingeladen und sind für viele eine Persona non grata. Schmerzt Sie das? MIDDELHOFF Als Manager würde mich nie wieder jemand einladen. Ich entspreche auch nicht mehr dem Berufsbild. Das ist okay. Aber ich finde schon, dass ich weiter ein Bestandteil der Gesellschaft sein und mich mit meinen Talenten einbringen kann. Ich kann gut kommunizieren, habe einen recht weiten internationalen Erfahrungsschatz. Deshalb freue ich mich, wenn ich mein Wissen an junge Menschen weitergeben kann. Inklusive meinen Erfahrungen über das Scheitern.
Wie glauben Sie, haben Sie Ihren Hang zum Narzissmus gebändigt? MIDDELHOFF Indem ich Demut gelernt habe. Das war in meiner Zeit als Freigänger in einer Behindertenwerkstatt in Bethel. Seit ich diese Menschen dort getroffen habe, definiere ich Glück ganz anders. Es hat mich glücklich gemacht, etwas Gutes und Sinnvolles zu tun und mit diesen Menschen frohe Momente zu erleben, in denen Geld überhaupt keine Rolle spielt. Ich bin der Meinung, ein paar Wochen oder besser Monate soziale Arbeit sollten zur Ausbildung eines Managers gehören.
Auf dem Weg zu den Bodelschwingschen Anstalten fuhren Sie jeden Morgen mit dem Rad vom Gefängnis aus an Ihrem alten Haus vorbei… MIDDELHOFF … an diesem langen, hohen Zaun, vorbei, hinter dem meine Familie wohnte.
Warum? Aus Selbstgeißelung? MIDDELHOFF Es war der kürzeste Weg. Ich durfte nicht anhalten und Hallo sagen, das war schwer. Und ich wusste schon damals, dass ich das Haus nicht würde halten können. Trotzdem hadere ich nicht mit dem, was passiert ist. Im Gegenteil. Mir ist klar geworden, wie privilegiert ich nach wie vor bin. Ich habe fünf gesunde Kinder! Ich bin Gott unglaublich dankbar, er hat mir eine zweite Chance gegeben.
Sie haben während Ihrer Haft zum Glauben gefunden?
MIDDELHOFF Ich bin an einem Freitag inhaftiert worden. Am Sonntag saß ich zum ersten Mal in der kleinen Kapelle der JVA. Ich war am Tiefpunkt meines Lebens. Ich habe in der Bibel gelesen, den Rosenkranz gebetet und langsam angefangen, darauf zu vertrauen, dass Gott mich hält, egal was passiert.
Haben Sie das Bedürfnis, etwas wieder gut zu machen? MIDDELHOFF Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen und muss mit dem leben, was geschehen ist. Was meine Schuld im Zusammenhang mit meinem Job und den Geldgeschichten angeht, habe ich einen ganz guten Weg gefunden. Dass meine Ehe zerbrochen ist, empfinde ich als sehr viel schwerwiegender. Es ist mir heute unbegreiflich, wie ich so ein Mensch sein konnte.
Geben Sie uns ein Beispiel? MIDDELHOFF Ich habe meiner ExFrau Nele viele Jahre gestohlen. Jahre, in denen ich nicht da war und in denen immer andere Dinge wichtiger waren. Sie sagt, ich hätte sie nie gesehen, und vermutlich hat sie Recht. Ein krasses Beispiel ist die Geburt unseres vierten Kindes. Nele lag im Kreißsaal und hatte schon Presswehen. Da klingelte das Telefon. Meine Sekretärin war dran und fragte: „Wie lange dauert es denn noch? Herr Dr. Middelhoff, Sie müssen zum Flugzeug.“Ich habe meiner Frau die Frage tatsächlich ausgerichtet.
Klingt wie eine Szene aus einem schlechten Film.
MIDDELHOFF Aus heutiger Sicht unfassbar. Meine Ex-frau hat unglaublich viel Rücksicht auf mich genommen. Dafür bin ich ihr dankbar, und ich liebe sie auch heute noch.
Trotzdem haben Sie sich scheiden lassen.
MIDDELHOFF Es gab keinen Weg zurück. Um überhaupt überleben zu können, musste ich einen radikalen Neustart machen. Trotzdem haben wir noch Kontakt, besuchen gemeinsam unsere Kinder und Enkel. Ich glaube, dass wir besser miteinander umgehen als viele andere Paare, die so lange zusammen sind.
Haben Ihre Kinder Ihnen nie Vorwürfe gemacht?
MIDDELHOFF Dass sie meinetwegen alles verloren haben? Nein. Und das rechne ich ihnen hoch an. Wenn ich nicht alles verspielt hätte, wären sie heute alle schrecklich reich.
Sie sind noch bis 2020 in der privaten Insolvenz.
MIDDELHOFF Ich lebe vom pfändungsfreien Teil meiner Pension. Das Vermögen ist weg. Ich bin mittellos.
Das heißt, Sie fahren heute mit dem Zug zu den Familientreffen?
MIDDELHOFF Oder ich leihe mir den Wagen meiner neuen Lebensgefährtin. Einen schwarzen Citroen DS 3. Alle meine Kinder fahren größere Autos als ich. Vor fünf Jahren hätte ich mir das nicht vorstellen können. Heute ist das für mich egal. Statussymbole haben keine Bedeutung mehr. Ich hatte ja schon alles und weiß wie das ist. Am Liebsten fahre ich Rad. Da ist man in der Regel eh schneller.
Sie trauern auch Ihrer mehr als
100 Fuß langen Yacht und ihrem 100.000 Quadratmeter-grundstück in St. Tropez also gar nicht nach? MIDDELHOFF Es wurde immer alles größer und absurder. Das war ganz klar eine Fehlentwicklung. Ich habe mir eingebildet, dass ich das für meine Familie tue und dass das so sein muss. Heute wohne ich in einer Dreizimmer-wohnung in Hamburg. Das ist völlig ausreichend.
Und wo schreiben Sie?
MIDDELHOFF Ich habe ein kleines Zimmer. Sechs Quadratmeter ohne Fenster. An die Wände habe ich Erinnerungsstücke gehängt, Fotos, Karikaturen. In der Mitte über dem Schreibtisch ein Kreuz, seitlich eine Marien-skulptur. Ich arbeite gerade an meinem dritten Buch, täglich von acht bis 19 Uhr. Dieses Mal soll es ein Roman werden. Das Schreiben war für mich ein Rettungsanker. Wenn ich mich nicht vor meinen PC gesetzt hätte, hätte ich wohl nichts mit mir anzufangen gewusst und wäre vielleicht untergegangen.