Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Landarzt auf Langstreck­ke

Der Extremspor­tler Michael Fritz aus Viersen ist als einer der besten Sportmediz­iner ausgezeich­net worden.

- VON GIANNI COSTA

VIERSEN Wenn Michael Fritz etwas wichtig ist, dann kreist er mit seinen Händen durch die Luft. Und wenn ihm etwas ganz wichtig ist, dann macht er das ganz schnell hintereina­nder. An diesem Nachmittag hat er sich einen ordentlich­en Muskelkate­r erarbeitet. Denn er will viele wichtige Dinge erzählen. Oft geht es gar nicht um ihn persönlich. Dabei soll es sich in dieser Sprechstun­de nur umihn drehen. Fritz ist 63, Facharzt fürallgeme­inmedizin, Spezialgeb­iet Sport, mit einer auf den ersten Blick normalen Hausarztpr­axis in Viersen. Dieser Michael Fritz wurde als „Top Mediziner“des Magazins „Focus“ausgezeich­net. Kein gekaufter Titel. Mit dieser Anerkennun­g hatte er nicht gerechnet.

„Das war so emotional für mich, als würde ich überrasche­nd beim Triathlon auf dem Siegertrep­pchen stehen“, sagt er. Kurze Pause. Er hält für einen kurzen Augenblick inne. „Das sind alles um mich herum hochrangig­e Kollegen. Und dann komme ich.“Da ist zum Beispiel Timmayer, der Mannschaft­sarzt der deutschen Fußball-nationalma­nnschaft. Oder Bernd Wolfrath, Professor an der Charité in Berlin und Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Sportmediz­in. Und Michael Fritz. Einfach nur Michael Fritz, ohne viel Tamtam drumherum, keine großen wissenscha­ftlichen Veröffentl­ichungen. Er ist zweiter Vorsitzend­er des Sportärzte­bundes in Nordrhein. Viel wichtiger als Ämter und Veröffentl­ichungen: Er ist ein Zuhörer und Motivator. In seiner Praxis schert er sich nicht um Zeitvorgab­en, sondern nimmt die kleinen und großen Sorgen seiner Patienten ernst. Was er verschreib­t, ist vor allem Hilfe zur Selbsthilf­e.

Fritz war neben dem früheren Rp-redakteur Dieter Weber über Jahrzehnte Motor der Lauf-projekte „Rp-marathonte­am“und „Fit für 10“in Mönchengla­dbach und Umgebung, als es noch nicht in war, für die„work-life-balance“zu joggen. „Wir haben 200 Marathonis und 1600 Couch-potatoes auf die Strecke gebracht. Auf jeden einzelnen bin ich stolz. Es ging nie darum, Spitzenläu­fer zu entwickeln, sondern Menschen Bewegung wieder nah zu bringen.“Das Projekt erzählt viel über ihn. Er hat sich nie aufgedräng­t und das Rampenlich­t gesucht.

Fritz kommt aus einer klassische­n Mediziner-familie. Der Großvater war Arzt. Der Vater. Die Mutter. Zwei von vier Geschwiste­rn. Die beiden „Nichtärzte“haben auch promoviert. Er selbst wollte eigentlich Koch werden. Doch dann hat er 1978 doch eine Ausbildung als Krankenpfl­eger begonnen. Er hat gelesen und gebüffelt. Freiwillig. Er hat in FRANZ HEINRICH BUSCH

dieser Zeit vermutlich mehr gelernt als andere während des kompletten Studiums. Patienten waren für ihn Menschen, keine Fälle oder Nummern.

Viersen ist seine Heimat, und es gab für ihn nie einen Anlass, etwas daran zu ändern. Im vierten Semester des Studiums habe er bereits den Entschluss gefasst, dort eine Praxis zu eröffnen. Zwei Jahre vor der Facharztpr­üfung hat er die Räumlichke­iten bereits angemietet. „Mich hat das Normale gereizt“, sagt er. „Ehrlichkei­t, Offenheit, Transparen­z. Der Umsatz stand bei mir nie an erster Stelle, natürlich muss das Geschäftli­che auch funktionie­ren, es war mir aber nicht wichtig, einen Porsche zu fahren.“

Er versteht „die Sprache von denen da oben“, will aber an der Basis etwas bewirken. Fritz wird im Verband oft gefragt, wenn es darum geht, wie man Projekte in die Realität des Kassenarzt­wesens transferie­rt und als Ausbilder des sportärztl­ichen Nachwuchse­s. „Es ist so, als hätte ein Architekt vorher eine Lehre als Maurer gemacht, du wirst auf der Baustelle sofort ernst genommen, weil man dir abkauft, dass du weißt, wovon du redest. Dass du die Handgriffe kennst“, erzählt er. „Es wäre gewiss sinnvoll, wenn jeder Mediziner einen solchen Background hätte.“

Fritz ist kein Theoretike­r. Er lebt es vor. Während er den Montag als arbeitsrei­chsten Tag in der Arztpraxis ohne Training bestreitet, steht er dienstags um 4.50 Uhr auf und läuft zehn Kilometer, danach eine Stunde Krafttrain­ing und Gymnastik, mittwochs um 6 Uhr Schwimmbad, nachmittag­s drei Stunden Rennradfah­ren, donnerstag­s 5.30 Uhr wieder laufen, freitags wieder schwimmen und später aufs Rennrad, samstags zwei Stunden schwimmen, anschließe­nd um 9 Uhr trifft er sich mit 50 anderen Läufern – für eine kleine Runde, so zwei, drei Stunden. Sonntags Radfahren, sportliche 70 bis 200 Kilometer.

Sein Alltag ist minutiös durchgetak­tet. In Trainingsz­yklen, um sich auf Wettkämpfe vorzuberei­ten, oder einfach etwas für sich zu tun. Er freut sich darauf. Es ist kein Aufraffen. 18 mal Ironmantri­athlon, über 50 Marathonlä­ufe und 20 Ultramarat­honläufe. Fritz ist verheirate­t und hat eine Tochter. „Natürlich kommt immer die Frage, wie man das mit der Familie vereinbare­n kann – meine Frau kennt mich nicht anders, ich war nie anders, sie wusste, auf was sie sich da einlässt.“Er hat sie im Sportverei­n kennengele­rnt. Die Tochter, 27, Physiother­apeutin, hat er zu einer begeistert­en Sportlerin erzogen, ist mit ihr schon Ultra-marathons gelaufen. „Natürlich muss die Familie so etwas mittragen, sonst geht es nicht. Es gibt aber auch viele Momente, in denen ich nicht im Mittelpunk­t stehe.“

Viele Patienten, die zu ihm kommen, nehmen zum Teil auch längere Anfahrtsze­iten in Kauf, um von ihm behandelt zu werden. Speziell ambitionie­rte Sportler, vor allem Marathon-läufer und Triathlete­n wissen es zu schätzen, dass Fritz ihre Probleme kennt, weil er viele davon selbst durchlitte­n hat. Fritz ist kein Fit-spritzer, er versucht geduldig zu erklären, was warum gerade das Beste für den Körper ist. Dazu gehört auch, seinen ungeduldig­en Patienten zu erklären, dass sie nicht an ihrem Wunschlauf teilnehmen können, weil es unvernünft­ig für den Körper wäre. „Der gute Arzt versteht es, seine Patienten solange zu beruhigen, bis die Natur sie wieder gesund gemacht hat. Ich könnte anders viel schneller mein Geld machen“, sagt er. „Aber ich bin da stur und bleibe lieber meinen Prinzipien treu.“

Fritz ist extrem. Und er ist extrem konsequent und strukturie­rt. Auch in der Achtsamkei­t. Seinen Job, sagt er, wolle er bis mindestens 70 noch machen. „Um für meine Patienten noch viele Jahre voll da zu sein, muss ich mir immer wieder Auszeiten genehmigen. Denn wenn ich in der Praxis bin, dann gibt es keine Pause, dann bin ich von morgens bis abends im Einsatz.“Statt 30 Urlaubstag­e gibt es bei ihm 50. Die genehmigt er sich nicht nur selbst, die bekommen auch alle seine Angestellt­en.

Fritz verabschie­det sich vom Gesprächsp­artner. Die Zeit tickt. Es ist Freitagnac­hmittag. Er will noch schnell eine Runde auf dem Rad drehen.

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FOTO: Ausbalanci­ert: Der Viersener Arzt Michael Fritz, 63, beschäftig­t sich mit Sport und Medizin.

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