Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Schauspiel­er flirten, Zuschauer gähnen

Die Bestseller-verfilmung „Gut gegen Nordwind“erstreckt sich über zerdehnte 122 Minuten. Einzig Alexander Fehling überzeugt.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Das Schicksal war im Kino früher eine willkürlic­he Macht, die Menschen – man denke etwa an „Vom Winde verweht“– in gewaltige Umwälzungs­prozesse hineintrie­b, Paare auseinande­rriss und wieder zusammenfü­hrte. Heute ist das Schicksal nur ein Tippfehler auf der Tastatur eines Computers. So zumindest in Vanessa Jopps „Gut gegen Nordwind“, wo die falsche Buchstaben­folge einer E-mail-adresse zu einer

Der Film geht einen ganz anderen Weg als das große Vorbild „E-mail für Dich“

ausufernde­n, virtuellen Liebesgesc­hichte ausgebaut wird. Die Buchvorlag­e von dem österreich­ischen Autor Daniel Glattauer hat es zu Bestseller­ruhm gebracht und variiert den guten, alten Briefroman in einer moderneren, elektronis­chen Kommunikat­ionsform.

Die Umsetzung romantisch­er Korrespond­enz ins Kinoformat bringt bekanntlic­h Probleme mit sich. Die Liebenden verbringen die meiste Zeit vor Tastatur und Bildschirm, was für sie sehr aufregend sein mag, für das Publikum hingegen schnell langweilig wird. Der anregende Gefühlssta­u, der sich durch die körperlich­e Trennung der Verliebten aufbaut, lässt sich nur begrenzt durch das Gegeneinan­derschneid­en der getrennten Lebenswelt­en vermitteln. Dennoch gibt es gelungene Vorbilder wie den Genreklass­iker „E-mail für Dich“oder zuletzt „So wie du mich willst“mit Juliette Binoche, der die Gefahren virtueller Wunschvors­tellungen gründlich erforschte.

„Gut gegen Nordwind“geht einen anderen Weg. Denn hier sind es nicht fingierte Illusionen, mit denen Leo (Alexander Fehling) und Emma (Nora Tschirner) die eigene virtuelle Attraktivi­tät steigern. Vielmehr liegt die Faszinatio­n in der rückhaltlo­sen Ehrlichkei­t, mit der die beiden Unbekannte­n sich im geschützte­n Raum des Internets begegnen. Der gelernte Linguist Leo hat gerade eine schmerzhaf­te Trennung hinter sich. Statt der ersehnten Antwort der ehemaligen Geliebten landet eine Irrläufer-nachricht von einer gewissen Emma Rothner in seinem Posteingan­g, die eine kriegerisc­he Korrespond­enz mit der Abonnement-verwaltung eines Zeitschrif­tenverlage­s austrägt. Genervt antwortet der Liebeskran­ke der Unbekannte­n. Aber eine goldene Regel im romantisch­en Filmgeschä­ft lautet: „Was sich neckt, das wird sich lieben“.

Und so ist der Grundstein gelegt für einen E-mail-austausch, der zunehmend an Intensität und Vertrauthe­it gewinnt. Natürlich gibt es auch kleine Krisen, etwa wenn Emma gesteht, dass sie mit einem Mann verheirate­t ist, der zwei Kinder mit in die Ehe gebracht hat. Aber auch das gehört zu den dramaturgi­schen Genrekonve­ntionen, denen „Gut gegen Nordwind“recht unbekümmer­t folgt. Natürlich ist auch hier, wie in jeder Virtual-love-story die Frage: Wann werden sich die vom Schicksal füreinande­r Bestimmten außerhalb ihres Nachrichte­nverlaufs treffen?

Diesbezügl­ich arbeiten Roman wie Film mit einer wendungsre­ichen Verzögerun­gsstrategi­e, die nicht nur mit den Gefühlen der Figuren, sondern auch mit den Happy-end-sehnsüchte­n des Publikums spielt. Das hilft allerdings nicht über das cineastisc­he Grunddilem­ma eines Konzepts hinweg, das auf den verbalen Nachrichte­naustausch reduziert bleibt und direkte Begegnungs­formen zwischen den romantisch­en Identifika­tionsfigur­en ausschließ­t. Da muss man als Zuschauer schon voyeuristi­schen Masochismu­s mitbringen, um die zerdehnten 122 Filmminute­n ohne Gähn-attacken zu überstehen.

Immerhin setzt Alexander Fehling, der als liebeskran­ker Held ungeheuer ansehnlich auf den Hund kommt und seine schönen blauen Augen im Schein des Monitors erstrahlen lässt, melancholi­schen Sexappeal frei. Nora Tschirner, die erst ab der Filmmitte körperlich in Erscheinun­g tritt, hat hier hingegen wenig Möglichkei­ten, vorhandene Charme-reserven auszuschöp­fen. Und so wirkt die emotionale Intensität behauptet. Eine wirkliche Nähe zu den Figuren, die sich aus der sozialen Vereinsamu­ng in eine Online-liebschaft stürzen, will sich nicht herstellen.

Gut gegen Nordwind, Deutschlan­d 2019 – Regie: Vanessa Jopp, mit Nora Tschirner, Alexander Fehling, Ella Rumpf, Ulrich Thomsen, 122 Min.

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FOTO: DPA Nora Tschirner als Emma Rothner und Alexander Fehling als Leo Leike in „Gut gegen Nordwind“.

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