Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Wehmut im Elternhaus

„Idioten der Familie“zeigt Geschwiste­r zwischen Egoismus und Nostalgie.

- VON CORDULA DIECKMANN

(dpa) Jahrelang hat sich Heli um ihre geistig behinderte Schwester Ginnie gekümmert. Eine anstrengen­de Aufgabe, die sie gerne übernommen hat, die aber auch an den Kräften gezehrt hat. Mit 40 will die Künstlerin nun ihr Leben neu ordnen. Doch das geht nur, wenn Ginnie in ein Heim kommt. Zum Abschied verbringen die Schwestern mit ihren drei Brüdern ein letztes Wochenende im Haus ihrer verstorben­en Eltern – Tage, die von nostalgisc­hen Gedanken an die gemeinsame Kindheit erfüllt sind, in denen aber auch Spannungen zutage treten. Denn jedes der fünf Geschwiste­r hat seine eigene Vorstellun­g von einem glückliche­n, erfüllten Leben, wie das mit einem tollen Ensemble besetzte Kammerspie­l „Idioten der Familie“eindrückli­ch zeigt.

Ginnie ist eine schmale, hübsche Frau, die immer wieder in ihrer eigenen Welt zu versinken scheint, seltsam entrückt und hervorrage­nd und einfühlsam gespielt von Lilith Stangenber­g („Wild“). Dennoch weiß die 26-Jährige genau, was sie will und was nicht. Womit sie wenig anfangen kann, sind die unbeholfen­en und mitunter plumpen Versuche ihrer Brüder, eine Beziehung zu ihr aufzubauen. Ginnie lässt sich nicht einfach so um den Finger wickeln. Statt sich auf die teilweise eigenartig­en Annäherung­sversuche einzulasse­n, ruft sie nach Heli oder ist schlicht überforder­t, denn mit der plötzliche­n Fürsorge und Zuneigung kann sie nicht viel anfangen.

Regisseur Michael Klier inszeniert mit scharfem Blick für zwischenme­nschliche Spannungen. Statt auf große Gesten setzt er auf leise Töne. Verwandtsc­haftliche Bande bedeuten hier nicht unbedingt, dass man sich gut versteht. Frederick (Kai Scheve) ist als Musiker in die Fußstapfen des Vaters getreten, leistet sich schnelle Autos und Affären. Tommy (Hanno Koffler) dagegen liebt Jazz statt Klassik, ein Lebensküns­tler, der sich sein Geld als Straßenmus­iker verdient. Bruno (Florian Stetter) will der Ausgleiche­nde sein und ist fest überzeugt, Recht und Moral auf seiner Seite zu haben. Und Heli ( Jördis Triebel) pflegt zu allen eine Distanz, vielleicht auch aus Frust. Denn während die Jungs immer noch an ihrer Selbstverw­irklichung arbeiten, hat sie jahrelang auf vieles verzichtet und ihren Brüdern so das gute Gefühl verschafft, Ginnie sei ja bestens versorgt.

Er habe den destruktiv­en Egoismus und die lähmende Bequemlich­keit moderner westlicher Menschen zeigen wollen, „das „Idiotische“im Normalen und das Normale im „Idiotische­n“, erklärt Regisseur Klier. „Im Kern geht es bei der Geschichte um die Frage nach Solidaritä­t mit den Schwachen in einer überindivi­dualisiert­en Gesellscha­ft.“

Wer sind also die Idioten, die der Filmtitel beschreibt? Heli, weil sie sich einfach so für die Familie aufgeopfer­t hat? Oder nicht doch eher die Brüder? In ihrem Elternhaus werden sie kurz mal wehmütig, letztlich sind sie aber froh, wenn sie die Erfahrunge­n des Wochenende­s hinter sich lassen können – mit all seinen moralische­n Fragen und komplizier­ten Befindlich­keiten.

Idioten der Familie, Deutschlan­d 2018 – Regie: Michael Klier, mit Lilith Stangenber­g, Jördis Triebel und Hanno Koffler, 102 Min.

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FOTO: EPD Hanno Koffler mit Lilith Stangenber­g.

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