Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
„What an idiot!“riefen die Kanadier
Raserei und Schneckengang – erschreckender Alltag auf deutschen Autobahnen.
Nach vier Tagen zu Besuch am Niederrhein sind die vier Kanadier aus Toronto unterwegs Richtung Bayern. In der ersten Urlaubsphase wurden die Vier über deutsche Autobahnen im Westen gefahren; nun sind sie im gemieteten Pkw allein unterwegs mit vorbei rauschenden und nah auffahrenden Rasern und Dränglern. Natürlich schüttelten die Gäste mit den Köpfen, wann immer sie davon hörten, dass Old Germany zu den wenigen Ländern gehört, in denen es kein generelles Tempolimit auf den „Highways“gibt. Sie erlebten erschrocken das kollektive Irresein, das viele germanische Narretei nennen, andere für eine Art Grund
recht halten. Zigmal entfuhren den Gästen Schreckensrufe wie „Look this car“! und „What an idiot!“.
Als Deutscher behilft man sich in solchen Situationen zum Fremdschämen mit Schmunzelgeschichten, etwa über Amerikaner, die nach der Landung in Frankfurt ins Mietauto steigen und dasselbe wenig später auf dem Seitenstreifen der A 3 parken, weil sie im Land der unbegrenzten Autobahn-raserei um ihre Gesundheit bangen. Gemeinsam dachten die Kanadier und ihre Gastgeber darüber nach, ob nicht jedes Volk seine Minderwertigkeitskomplexe auf je eigene Weise kompensiert: Amerikaner durch lebensbedrohliche Libertinage beim Waffenerwerb, und wir Deutsche mit dem so blöd- wie leichtsinnigen Spruch „Freie Fahrt für freie Bürger“im Hinterkopf. Die Vier aus Toronto wunderten sich nicht nur über das seltsame Land ohne generelle Geschwindigkeitsbegrenzung, sondern auch über die vielen Autobahn-baustellen, auf denen während der Arbeitszeit die Arbeit ruht. Hier unzivilisierte Raserei, dort Schneckengang – auch das ist ein befremdliches Bild Deutschlands. Es braucht zu lange, bis bei uns europäische Tempolimit-vernunft einkehrt und bis Bauarbeiten fertig sind.