Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Fürchterli­ches Album von Miles Davis

Der Trompeter hatte das „Rubberband“-material 1985 eigentlich verworfen. Nun erscheint es dennoch.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Diese Platte ist das größte Ärgernis der Saison, und wenn ihre Veröffentl­ichung überhaupt einen Sinn hat, dann den, darauf hinzuweise­n, dass Verwandte echt schlimm sein können. Verantwort­lich für diese Leichenfle­dderei ist nämlich der Neffe von Miles Davis, er heißt Vince Wilburn jr., und der Onkel liebte ihn wie einen Sohn, schenkte ihm ein Schlagzeug und ließ ihn als jungen Kerl in seiner Band spielen. Miles Davis befand dann aber, dass der Junge nicht ganz so talentiert sei, wie man es sich gewünscht hatte. Er verabschie­dete ihn aus seiner Gruppe, und vielleicht ist das hier die Rache.

Aber kurz mal die Erregung herunterre­geln und von vorne anfangen: Gerade ist das Album „Rubberband“erschienen; Miles Davis arbeitete 1985 daran, kurz nachdem er von Columbia zu Warner gewechselt war. Er wollte und sollte sich einen jüngeren Markt erschließe­n, der größte Jazzer aller Zeiten sollte ein Popstar werden. Also experiment­ierte man mit Hiphop und Soul, mit Synthesize­r und elektronis­chem Bass. Man schrieb Texte für Chaka Khan und Al Jarreau, und nach drei Monaten freien Arbeitens zog man den Stecker und sagte: Das ist nicht das Richtige für Miles. Er nahm dann mit Marcus Miller „Tutu“auf, und das ist eine gute Platte.

Die Tapes mit den Fragmenten der „Rubberband“-sessions lagerten seither im Tresor, und wenn man Verwesung und Korrosion mal braucht, sind sie nicht da. Vince Wilburn jr. kramte sie hervor. Er hörte, dass sie tatsächlic­h nicht so der wahre Jakob sind, deshalb fuhrwerkte er darin herum. Er engagierte Sänger und spritze R’n’b-infusionen in die Stücke, er pimpte und tunte, und was dabei herauskam, hört man im Stück „Paradise“: Fußgängerz­onen-getrommel, allerbilli­gste spanische Folklore und dazu Steeldrums, die Karibik nur behaupten und in Wirklichke­it an Pauschalre­isen-werbespots erinnern: Nix wie weg! Davis’ Trompete diffundier­t orientieru­ngslos über diesem Abgrund an Geschmackl­osigkeit, und man hofft, dass keiner der adressiert­en „jungen Leute“diese Musik hört, denn dann wären sie auf ewig für den Jazz verloren.

Die 80er Jahre waren ohnehin schwierig für Miles Davis. 1980 kehrte er nach fünf Jahren Pause zurück, und es heißt, dass er danach nie mehr so recht zu seinem Ton gefunden habe, was aber nicht stimmt. Er war fasziniert von Pop und Hiphop, und wer die Produktion­en jener Jahre unvoreinge­nommen hört, findet in „We Want Miles“(1982), „Tutu“(’86) und „Aura“(’89) einige große Momente. Wer indes das Genie dieses Kerl würdigen möchte, sollte neben dem Klassiker „Kind Of Blue“(1959) die progressiv­en Meisterwer­ke „In A Silent Way“(’69), „Jack Johnson“(’71), „On The Corner“(’72) und „Water Babies“(’76) hören. Das ist das Tröstliche: Eine Platte wie „Rubberband“kratzt nicht am Mythos dieses Giganten, er ist ja viel zu groß.

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FOTO: WARNER Miles Davis im Jahr 1991.

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