Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Pharmakonz­erne stoppen Antibiotik­a-forschung

Derzeit arbeiten nur noch vier der 25 größten Konzerne an der Entwicklun­g. Die Vereinten Nationen rufen zum Handeln auf.

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HAMBURG (RP) Obwohl die zunehmende Ausbreitun­g resistente­r Keime als eine der größten globalen Gefahren gesehen wird, stoppen Pharmaunte­rnehmen die Forschung an neuen Antibiotik­a. Das zeigen Recherchen des NDR. Dem Sender bestätigte nun auch der weltgrößte Gesundheit­skonzern Johnson & Johnson ( J&J), dass sich derzeit bei ihnen „keine weiteren Antibiotik­a in der Entwicklun­g“befänden. Zuletzt hatten sich die Branchenri­esen Novartis und Sanofi sowie Astrazenec­a aus der Antibiotik­aforschung verabschie­det. Dabei hatte der Internatio­nale Pharmaverb­and (IFPMA) erst 2016 eine „Industrie-allianz“zum Kampf gegen die Resistenze­n gegründet. Etwa 100 Unternehme­n, darunter auch J&J, hatten eine gemeinsame Erklärung unterzeich­net, in der sie Investitio­nen in die Forschung in diesem Bereich zusagten. Bis in die 1990er-jahre hatten noch fast alle großen Pharmakonz­erne Antibiotik­a entwickelt. Einige wie Bayer, Bristol-myers oder Squibb haben sich aber bereits vor mehr als zehn Jahren aus diesem Bereich zurückgezo­gen. Somit scheinen derzeit nur vier der 25 größten Pharmaunte­rnehmen der Welt überhaupt noch an der Entwicklun­g neuer Antibiotik­a zu arbeiten.

Der Grund für den Rückzug liegt offenbar in wirtschaft­lichen Erwägungen. Mit Antibiotik­a lässt sich deutlich weniger Geld verdienen als beispielsw­eise mit Krebsmedik­amenten oder Mitteln gegen chronische Erkrankung­en. Zudem sollten neue Mittel nur im Notfall eingesetzt werden, wenn alle herkömmlic­hen Antibiotik­a nicht mehr anschlagen – sie sollen also als Reserve zurückgeha­lten werden. Der Generaldir­ektor des IFPMA und Vorsitzend­en der Industrie-allianz, Thomas Cueni, bestätigte dem NDR, es gebe momentan einfach keinen Markt für Antibiotik­a. Er sei sich aber dennoch bewusst, dass der Eindruck, die Industrie melde sich ab, nicht gut für das Industrie-image sei. „Und der ist schon gar nicht gut für uns alle, die letztlich neue Antibiotik­a brauchen“, sagte Cueni.

Antibiotik­aresistenz­en gelten neben dem Klimawande­l als eine der größten globalen Gefahren. An den Folgen sterben derzeit in der Europäisch­en Union jedes Jahr etwa 33.000 Menschen, weltweit sind es Hunderttau­sende. Wenn nicht sofort gehandelt würde, könnten es 2050 nach Angaben der Vereinten Nationen bereits zehn Millionen sein.

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