Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Nicolas Mathieu erzählt von der Jugend in der Provinz

- VON CLAUS CLEMENS

Das literarisc­he Frankreich kehrt aus den Ferien zurück und feiert gleich einen neuen Autor: Anfang November versammeln sich im ersten Stock des Pariser Restaurant­s „Drouant“in der Rue Gaillon, nahe der Opéra Garnier, zehn Schriftste­ller zum Mittagesse­n. Bei einem feinen Menü küren sie den nächsten Preisträge­r des Prix Goncourt. Obwohl nur mit symbolisch­en 10 Euro dotiert, garantiert der seit 1903 verliehene Preis seinem Träger nationales Renommee und großen Verkaufser­folg aller seiner Bücher.

Bei Nicolas Mathieu waren das bis zum vergangene­n Jahr nur zwei. Aber dann kam im November der Preis für „Les enfants après eux“, ein Roman aus der Provinz Lothringen, einer Randregion abseits der urbanen Zentren. Und damit ein Riesenerfo­lg im In- und Ausland. Jetzt war der 41-jährige Schriftste­ller mit der deutschen Übersetzun­g „Wie später ihre Kinder“zu Gast im Heine-haus. Mitveranst­alter der gut besuchten Lesung war das Institut Français. Zeitgleich mit dem Erscheinen des Romans in Frankreich hatte der Gelbwesten-protest begonnen, und manche Rezensente­n sahen hier einen Zusammenha­ng: Weil es auf dem Land und in dem Roman weder für Jugendlich­e noch für Erwachsene einen Genuss – sprich Sex, Drugs und Rock ‘n’ Roll – gibt ohne ständige Mobilität, so war der Auslöser jener Proteste die Erhöhung der Dieselprei­se.

Die Handlung könnte auch bei uns im Ruhrgebiet oder im de-industrial­isierten Osten der 1990er Jahre spielen, wo die Eltern ihre Arbeit und die Kinder ihre Hoffnung verloren haben. In dem fiktiven Ort Heillange hören sie Musik von Nirvana, kiffen oder fahren mit dem Motorrad durch die Gegend. Sie sehnen sich nach erotischen Abenteuern und vor allem danach, ihre trostlose Heimat zu verlassen. Im Gespräch mit der Romanistin Ursula Hennigfeld von der Heine-uni betonte Nicolas Mathieu den fiktiven Charakter seines Buchs, gab sich aber aufgrund seiner Herkunft als Experte zu erkennen. Vor allem für die jungen Jahre eines Provinz-franzosen: „Die Jugendlich­en in meinem Roman drängt es, aus einer untergehen­den Welt zu fliehen. Sie haben keine Lust, darin zu versacken. Aber dieses Verlangen wegzugehen, sich aus dem Staub zu machen, das gehört natürlich zur Jugend überall auf der Welt. Man findet, dass das Leben seine Verspreche­n nicht hält und man seinen Horizont anderswo erweitern sollte.“

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