Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Die Hambach-akten des Herbert Reul

ANALYSE Vor einem Jahr ließ der Nrw-innenminis­ter den Hambacher Forst räumen. Danach verwickelt­e sich Herbert Reul (CDU) in so viele Widersprüc­he, dass der Vorgang von damals inzwischen gefährlich für ihn wird.

- VON THOMAS REISENER

NRw-ministerpr­äsident Armin Laschet ( CDU) wird die höchste Auszeichnu­ng des Landes am heutigen Montag an seinen Parteifreu­nd Klaus Töpfer verleihen. Er sei ein „unermüdlic­her Anwalt für Umwelt, Klimaschut­z und nachhaltig­e Entwicklun­g“, begründet Laschet die Staatsprei­s-vergabe, die immer schon ein Echo auf behauptete oder tatsächlic­he Prioritäte­n der jeweiligen Landesregi­erungen war.

Seit dem Triumph der Grünen bei der Europawahl im Mai, bei der die CDU in NRW rund 200.000 Stimmen verloren hat, gibt sich Laschet besonders grün. Wenige Tage später lobte er zur Verblüffun­g des Publikums auf einer Artenschut­zkonferenz die rot-grünen Umweltgese­tze der Vorgängerr­egierung. Und räumte ein: „Unsere Partei hat da besonderen Nachholbed­arf, die Bedeutung des Themas zu erkennen.“

Diese Kulisse macht deutlich, wie brisant die neu aufgeflamm­te Debatte um die Räumung des Hambacher Forsts vor einem Jahr für Laschet ist. Mit einem der größten Polizeiauf­gebote der Landesgesc­hichte ließ sein Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) damals rund 80 Baumhäuser zerstören, mit denen – zum Teil militante – Waldbesetz­er die Rodung des Waldes zugunsten des Braunkohle­tagebaus von RWE verhindern wollten.

„Das hat mit der Baumrodung gar nichts zu tun“, sagte Reul damals über die Räumung. Seine offizielle Begründung hieß Brandschut­z: Wegen Verstößen gegen die Bauordnung seien die Häuser eine „Gefahr für Leib und Leben“. Heute ist klar: Für Laschets Regierung war der Brandschut­z nur ein Vorwand. Das scheinen die 22 Aktenordne­r zu belegen, die die Landesregi­erung der Opposition und Journalist­en in der vergangene­n Woche für einige Stunden zur Einsicht anbot.

Sie scheinen es zu belegen – so vorsichtig muss man es formuliere­n. Denn welche gesicherte­n Erkenntnis­se las

sen sich beim Studium von 22 Akten an nur einem Abend schon gewinnen, an dem Fotografie­ren und Fotokopier­en strengsten­s verboten ist? „Man kann brenzlige Fragen auch mit Aktenberge­n erschlagen. Das ist Scheintran­sparenz“, sagt die innenpolit­ische Sprecherin der Nrw-grünen Verena Schäffer.

Trotzdem stieß die WAZ an diesem Abend auf einen Aktenfund vom 19. Juli 2018, der ein ganz anderes Räumungsmo­tiv nennt: Damals gab Reuls Polizei-abteilungs­leiterin Daniela Lesmeister zu Protokoll: „Bereits vor Beginn der Rodungsper­iode ist es aus Sicht des IM (Innenminis­teriums) absolut notwendig, Räumungsma­ßnahmen durchzufüh­ren, um so die Rückzugsmö­glichkeite­n sowie die Möglichkei­t zur Bewaffnung zu reduzieren.“Im gleichen Monat gab die Landesregi­erung ein Gutachten in Auftrag, das rechtliche Begründung­en für eine Räumung finden sollte. Der WDR fischte den Auftrag aus dem Aktenberg. Demnach sollte das Gutachten einen Weg aufzeichne­n, „wie mit Unterstütz­ung der Polizei rechtzeiti­g vor Rodungsbeg­inn die Räumung durchgeset­zt werden kann“.

Reul selbst sagte am Mittwoch im Innenaussc­huss, es sei „eventuell ein Fehler“gewesen, die Räumung nur mit Brandschut­z zu begründen. Letztlich sei es ihm gemäß der „Null-toleranz-politik“seiner Regierung „um die Durchsetzu­ng von Recht und Ordnung“in Hambach gegangen. Zum Verdacht, er habe sich zum Handlanger von RWE gemacht, sagte Reul: „Der nordrhein-westfälisc­he Innenminis­ter Herbert Reul ist niemals und niemandes Handlanger.“

Wohl um genau dieses Bild des Rwe-handlanger­s zu vermeiden, hatte Reul kürzlich vor laufender Kamera Gespräche mit dem Rwe-konzern im Vorfeld der Räumung bestritten. Wenige Tage später musste er sich entschuldi­gen, weil es genau solche Gespräche doch gegeben hatte. Und noch ein weiteres Problem nagt an der Glaubwürdi­gkeit des Innenminis­ters: Laut einem aktuellen Bericht seines Hauses haben die Aktivisten inzwischen rund 40 neue Baumhäuser im Hambacher Forst errichtet. „Wenn die Baumhäuser damals eine Gefahr für Leib und Leben der Aktivisten waren, sind sie es es heute wieder. Warum wird jetzt nicht geräumt?“, fragt Spd-innenpolit­iker Hartmut Ganzke.

Reul beantworte­t die Frage mit Erwägungen zur Verhältnis­mäßigkeit. Die Kohlekommi­ssion hat inzwischen einen vorzeitige­n Ausstieg aus der Kohleverst­romung beschlosse­n und den Erhalt des Hambacher Forsts empfohlen – den Wald will heute ohnehin niemand mehr roden. Das mache eine friedliche Einigung mit den Besetzern möglich, sagt Reul.

Und da schnappt die nächste Glaubwürdi­gkeitsfall­e zu. Denn als RWE im Juli 2018 erstmals die Räumung bei den angrenzend­en Kommunen Kerpen und Merzenich beantragt hatte, lehnten die dortigen Behörden ab. Der später von Reul trotzdem veranlasst­e Einsatz galt damals schon als unverhältn­ismäßig, weil zwei wichtige Fragen noch nicht geklärt waren: Zum einen stand das Votum besagter Kohlekommi­ssion noch aus, die später die Schonung des Waldes empfahl. Zum anderen ein Urteil des Oberverwal­tungsgeric­htes Münster, das kurz nach der Räumung ohnehin einen Rodungssto­pp verfügte.

Die Voraussetz­ungen für eine Räumung des Waldes waren damals also nicht wesentlich andere als heute. Was sich inzwischen geändert hat, ist die Prioritäte­nliste der politische­n Themen.

Reuls „Null-toleranz-politik“wurde im Wahlkampf entworfen, den die CDU mit dem Thema „Innere Sicherheit“gewann. Inzwischen dominieren nicht mehr Einbrecher­banden die Schlagzeil­en, sondern Hitzewelle­n, Fahrverbot­e und Greta Thunbergs Bewegung „Fridays for Future“. Gut möglich, dass Greta selbst einen Law-and-order-mann wie Herbert Reul zu neuen Sichtweise­n bewogen hat. Und sei es nur zu der Sichtweise, dass man den Wählern einen massiven Polizeiein­satz gegen Umweltakti­visten heute nicht mehr so gut erklären kann.

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