Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Enteignung als letztes Mittel denkbar“

Die Chefin des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB) in NRW über Energiewen­de und Verschuldu­ng.

- M. PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Frau Weber, noch sprudeln angesichts der guten Lage am Arbeitsmar­kt die Steuereinn­ahmen. Sind Sie zuversicht­lich für die Zukunft? WEBER Die Konjunktur trübt sich ein, einige Konzerne kündigen bereits an, in großem Stil Beschäftig­te zu entlassen. Zugleich vermeidet es die öffentlich­e Hand, in der Niedrigzin­sphase zu investiere­n. Die Alarmzeich­en stehen für mich auf Rot.

Die Investitio­nsspielräu­me sind doch begrenzt. Nehmen Sie die Kommunen. Die schieben in NRW einen Schuldenbe­rg von rund 61 Milliarden Euro vor sich her. WEBER Ja, die Situation ist dramatisch. 40 Prozent unserer Kommunen sind in der Haushaltss­icherung. Für sie ist es schwierig, auch nur grundlegen­den Aufgaben nachzukomm­en. Stichwort Bildung: Wenn im Ruhrgebiet die Kita-gebühren viel höher sind als in Düsseldorf, muss es doch nicht wundern, dass zugewander­te oder einkommens­schwache Familien ihre Kinder zu Hause lassen. Das erschwert Integratio­n und ist gesellscha­ftlicher Sprengstof­f – auch mit Blick auf die Kommunalwa­hlen 2020.

Der Bund der Steuerzahl­er nennt aber auch Beispiele von Verschwend­ung. Muss man Anreize für ein besseres Haushalten schaffen?

WEBER Natürlich gibt es in Einzelfäll­en Fehlinvest­itionen. Es ist aber falsch, dass die Kommunen den Schuldenbe­rg selbst verschulde­t hätten. Ihnen wurden vielmehr immer mehr Aufgaben aufgebürde­t, zugleich hat man sie aber finanziell alleingela­ssen.

Was ist nötig um die Handlungsf­ähigkeit zu erhalten?

WEBER Es geht nicht um Almosen, sondern um eine faire Verteilung der Lasten. Wir brauchen einen Altschulde­nfonds, der von Kommunen, Land und Bund getragen wird. Der Bund hat die Kommission Gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse initiiert und würde Geld zur Verfügung stellen. Allerdings nur unter der Voraussetz­ung, dass auch die Länder was dazugeben.

Und das passiert nicht?

WEBER Schwarz-gelb war hervorrage­nd darin, vor der Landtagswa­hl vollmundig über Schuldenab­bau zu sprechen. Nach der Wahl sind sie sehr kleinlaut, wenn es konkret ums Geld geht. Der Ministerpr­äsident fordert jetzt eine „Sanierung West“und verschweig­t, dass NRW dafür liefern muss. So funktionie­rt das nicht. NRW müsste sich als am stärksten betroffene­s Land an die Spitze der Bewegung setzen. Die Kommunen brauchen eine schnelle Entlastung und keine Hängeparti­e.

Auf NRW kommen weitere Belastunge­n durch den Strukturwa­ndel im Rheinische­n Revier zu. Wie gut sehen Sie das Land dafür gerüstet? WEBER. Wir haben bei uns gute Forschungs­einrichtun­gen und Industries­truktur. Die Rahmenbedi­ngungen sind also gut. Aber es bleiben Sorgen. Denn die Verunsiche­rung ist groß, bei Unternehme­n und Beschäftig­ten. Das Land muss jetzt Verlässlic­hkeit schaffen.

Welche Sorgen meinen Sie?

WEBER Ich finde grauenhaft, dass wir uns immer noch damit aufhalten, über Ausstiegsd­aten statt endlich über den Einstieg in die Erneuerbar­en zu reden. Wir benötigen gute Arbeit und zugleich eine sichere, bezahlbare Energiever­sorgung.

Allerdings kommt der Netzausbau nicht voran. Was muss sich ändern? WEBER Wir müssen uns alle miteinande­r ein Stück ehrlicher machen. Das betrifft zum einen die Politik. Wir benötigen dringend neue Windräder. Was macht die Landesregi­erung? Sie macht einen Abstandser­lass, der dazu geführt hat, dass im ersten Halbjahr 2019 nur 14 neue Windräder in NRW gebaut wurden. 80 Prozent weniger als in den beiden Vorjahren. Der Ministerpr­äsident redet über Klimaaußen­politik, statt zu Hause den Ausbau der Erneuerbar­en voran zu treiben. Das ist fahrlässig. Es betrifft aber auch die Bürger.

Inwiefern?

WEBER Die Energiewen­de ist gesellscha­ftlicher Konsens, aber viel zu häufig geht es nach dem Motto: „Ja, gerne, aber nicht vor meiner Haustür.“Wir benötigen die entspreche­nde Energieinf­rastruktur. Neben einer frühzeitig­en Bürgerbete­iligung müssen wir zu schnellere­n Entscheidu­ngen kommen, ohne natürlich demokratis­che Rechte zu beschneide­n. Das ist eine politische Aufgabe.

Im Bergbaurec­hts gibt es Weitreiche­ndes – bis hin zu Enteignung gegen Entschädig­ung. Wäre das auch für die Energiewen­de denkbar? WEBER Ja, aber sicherlich ist das ein letztes Mittel. Wir können doch nicht unsere Zukunft verspielen, weil wir zu unentschie­den sind. Wir brauchen eine Versorgung­ssicherhei­t für die energieint­ensive Industrie. Wir sprechen immerhin von 150.000 Arbeitsplä­tzen, die da am Fliegenfän­ger hängen. Wir brauchen gewerblich­e Arbeitsplä­tze. Die Braunkohle-beschäftig­ten werden nicht alle plötzlich zu Hochschulp­rofessoren.

Cdu-chefin Kramp-karrenbaue­r hat für den Osten eine Sonderwirt­schaftszon­e gefordert. Gute Idee auch für das Rheinische Revier? WEBER Nein, das halte ich für wenig sinnvoll. Aber die Landesregi­erung sollte jetzt alle relevanten Gruppen an einen Tisch bringen. Wieso gibt es immer noch nicht den angekündig­ten Beirat? Bei diesem wollen wir Gewerkscha­fter auch einen echten Platz am Tisch. Und zwar mit Mitsprache­rechten. Und das darf kein reines Repräsenta­tionsgremi­um, sondern muss ein echtes Arbeitsgre­mium sein, mit acht bis zehn Mitglieder­n aus den Bereichen Gewerkscha­ften, Arbeitgebe­r, Politik und Wissenscha­ft.

Neben dem Klima gibt es derzeit wohl kein so heißes Eisen wie den bezahlbare­n Wohnraum. Wo sehen Sie Ansatzpunk­te, um das Problem in den Griff zu bekommen?

WEBER Gemeinwohl­orientieru­ng muss wieder stärker vor Renditestr­eben gehen.

Also eine Enteignung von Wohnbaukon­zernen?

WEBER Nein. Das schafft keine neue Wohnungen, sondern kostet nur sehr viel Geld für Entschädig­ungen. Wir benötigen pro Jahr 80.000 neue Wohnungen in NRW. Bei den fertiggest­ellten Wohnungen kommen wir aber nur auf 48.000. Von 2017 zu 2018 hatten wir einen Rückgang um 0,5 Prozent. Diesen Trend müssen wir stoppen.

Und das geht wie?

WEBER Wir müssen die klammen Kommunen in die Lage versetzen, Flächen zu kaufen und zu entwickeln. Dafür sollte es einen BauFonds für die Kommunen geben.

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FOTO: TILLMANN / FUNKE FOTO SERVICES Anja Weber (58) ist seit 2017 Vorsitzend­e des DGB NRW.

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