Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Barock und irdische Freuden
Die beiden Ausstellungen „Wege des Barock“im Potsdamer Museum Barberini und „Garten der irdischen Freuden“im Berliner Martin-gropius-bau laden zu einer Reise ein.
Der selbstverliebte Narziss beugt sich über das Wasser und wendet sich seinem Spiegelbild zu. Mit der linken Hand ist er im Begriff, nach seinem auf der Wasseroberfläche reflektierten Antlitz zu greifen. Vielleicht verliert er den Halt und versinkt für immer in seinem eigenen Bild, das durch die bewusst gesetzten Hell-dunkel-effekte eine ungeheure Dynamik und Intensität entwickelt: Caravaggio und sein „Narziss“gehören zu den zeitlosen Monumenten der Kunstgeschichte und belegen zugleich, wie in Zeiten der Religionskriege die politischen Verwerfungen in ein neues Selbstbewusstsein der Künstler mündet: Häresie und Frömmigkeit, Gewalttätigkeit und Kunstsinnigkeit, Metaphysik und Realismus stehen in einem bisher nie da gewesenen Spannungsverhältnis.
Wie vielfältig die „Wege des Barock“waren, belegt jetzt eine Ausstellung in Potsdam. Sie verdankt sich – auch – der Tatsache, dass Kunstmäzen und Software-multimillionär Hasso Plattner in der ehemaligen Preußen-metropole die im Krieg zerstörte Kopie eines römischen Prachtbaus wieder auferstehen ließ und es nahe lag, den kunsthistorischen Faden zwischen barocker römischer Pracht und preußischer Italiensehnsucht wieder aufzunehmen. Das Geschlecht der Barberini stellte einst Päpste und Kardinäle, wußte Kunst und Politik aufs innigste zu verschmelzen und versammelte in seinem Palazzo eine außergewöhnliche Bilder-sammlung. Das Palais Barberini, das Friedrich der Große in Potsdam errichten ließ, ist kaum von seinem römischen Vorbild zu unterscheiden.
Nachdem die bisherigen Bilder-schauen im rekonstruierten Prachtbau um die opulente Sammlung Plattners kreisten (von französischen Impressionisten über Ddr-kunst bis zu Gerhard Richter), gewährt Potsdam jetzt den Nationalgalerien Barberini Corsini aus Rom Gastrecht und präsentiert mehr als 50 Meisterwerke des von Caravaggio inspirierten Barock-weges: Die Welt als Bühne, die Kunst als Inszenierung, das Dasein als großes Drama, Rom als Schule des Sehens und als Ausgestaltung von Prunk und Macht.
Der Mensch ist klein, die Kunst ist groß: Alles zielt auf Überreichtum und Überwältigung. Schon beim Betreten des ersten Saales verschlägt es einem den Atem: Das riesige Fresko „Triumph der göttlichen Vorsehung“, von Pietro da Cortona ins Gewölbe des Römischen Palastes gepinselt, ist im Potsdamer Palais als irritierend schillernde Lichtprojektion an die Decke geworfen. Es ist die grandiose Ouvertüre zu einer Bilder-sinfonie über Gewalt und Erlösung, Licht und Schatten, Sünde und Freude, Allegorie und Realismus. Giovanni Baglione zeigt „Himmlische und irdische Liebe“, Bartolomeo Manfredi „Bacchus und ein Zecher“, Guido Reni die „Büßende Maria Magdalena“. Ein Abstecher führt zu den Caravaggisten nach Neapel, ein anderer zu den Caravaggisten in Nordeuropa, zum Beispiel zu Michael Sweerts, der den Besuchern einen funzelig von einer verborgenen Öllampe spärlich beleuchteten „Künstler bei der Arbeit“vorführt.
Wen ästhetische Freuden glücklich, aber nicht satt machen, sollte durch eine Glastür in den Hinterhof des Palais schlüpfen. Mit Blick auf Potsdamer Gewässer und Gärten kann man dort in einem kleinen Pavillon den Gelüsten der italienischen Küche frönen. Frisch gestärkt ist man dann mit S- oder Regional-bahn in einer halben Stunde in Berlins Mitte und kann dort durch den „Garten der irdischen Freuden“flanieren. Im Martin-gropius-bau interpretieren 20 Künstlern das Motiv des Gartens als Metapher für den Zustand der Welt, erforschen die komplexen Zusammenhänge der immer chaotischer werdenden Gegenwart. Ausgehend von Hieronymus Bosch und seinem „Garten der Lüste“wird der Garten mal als meditative und philosophische Utopie, mal als von Klimawandel und Kapitalismus bedrohtes Refugium umkreist.
Im Lichthof verschlingt eine gigantische Installation von Rashid Johnson aus Planzen und Bildschirmen, Blumentöpfen und Lautsprechern den Besucher. Pipilotti Rist begibt sich auf eine Reise in die lustvolle Erkundung der Naturfülle und Körperlichkeit, Altmeister John Cage reduziert die irdischen Freuden als minimal variierte serielle Klänge, Yayoi Kusuma entführt in einen kunterbunten Garten aus künstlichen Tulpen. Den darf man, weil alles so fragil ist, aber nur mit Filz-schonern betreten. Auch wer Renato Leotta in seinem Garten aus spröden Fliesen treffen will, muss sich die Schuhe abstreifen.