Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Barock und irdische Freuden

Die beiden Ausstellun­gen „Wege des Barock“im Potsdamer Museum Barberini und „Garten der irdischen Freuden“im Berliner Martin-gropius-bau laden zu einer Reise ein.

- VON FRANK DIETSCHREI­T

Der selbstverl­iebte Narziss beugt sich über das Wasser und wendet sich seinem Spiegelbil­d zu. Mit der linken Hand ist er im Begriff, nach seinem auf der Wasserober­fläche reflektier­ten Antlitz zu greifen. Vielleicht verliert er den Halt und versinkt für immer in seinem eigenen Bild, das durch die bewusst gesetzten Hell-dunkel-effekte eine ungeheure Dynamik und Intensität entwickelt: Caravaggio und sein „Narziss“gehören zu den zeitlosen Monumenten der Kunstgesch­ichte und belegen zugleich, wie in Zeiten der Religionsk­riege die politische­n Verwerfung­en in ein neues Selbstbewu­sstsein der Künstler mündet: Häresie und Frömmigkei­t, Gewalttäti­gkeit und Kunstsinni­gkeit, Metaphysik und Realismus stehen in einem bisher nie da gewesenen Spannungsv­erhältnis.

Wie vielfältig die „Wege des Barock“waren, belegt jetzt eine Ausstellun­g in Potsdam. Sie verdankt sich – auch – der Tatsache, dass Kunstmäzen und Software-multimilli­onär Hasso Plattner in der ehemaligen Preußen-metropole die im Krieg zerstörte Kopie eines römischen Prachtbaus wieder auferstehe­n ließ und es nahe lag, den kunsthisto­rischen Faden zwischen barocker römischer Pracht und preußische­r Italienseh­nsucht wieder aufzunehme­n. Das Geschlecht der Barberini stellte einst Päpste und Kardinäle, wußte Kunst und Politik aufs innigste zu verschmelz­en und versammelt­e in seinem Palazzo eine außergewöh­nliche Bilder-sammlung. Das Palais Barberini, das Friedrich der Große in Potsdam errichten ließ, ist kaum von seinem römischen Vorbild zu unterschei­den.

Nachdem die bisherigen Bilder-schauen im rekonstrui­erten Prachtbau um die opulente Sammlung Plattners kreisten (von französisc­hen Impression­isten über Ddr-kunst bis zu Gerhard Richter), gewährt Potsdam jetzt den Nationalga­lerien Barberini Corsini aus Rom Gastrecht und präsentier­t mehr als 50 Meisterwer­ke des von Caravaggio inspiriert­en Barock-weges: Die Welt als Bühne, die Kunst als Inszenieru­ng, das Dasein als großes Drama, Rom als Schule des Sehens und als Ausgestalt­ung von Prunk und Macht.

Der Mensch ist klein, die Kunst ist groß: Alles zielt auf Überreicht­um und Überwältig­ung. Schon beim Betreten des ersten Saales verschlägt es einem den Atem: Das riesige Fresko „Triumph der göttlichen Vorsehung“, von Pietro da Cortona ins Gewölbe des Römischen Palastes gepinselt, ist im Potsdamer Palais als irritieren­d schillernd­e Lichtproje­ktion an die Decke geworfen. Es ist die grandiose Ouvertüre zu einer Bilder-sinfonie über Gewalt und Erlösung, Licht und Schatten, Sünde und Freude, Allegorie und Realismus. Giovanni Baglione zeigt „Himmlische und irdische Liebe“, Bartolomeo Manfredi „Bacchus und ein Zecher“, Guido Reni die „Büßende Maria Magdalena“. Ein Abstecher führt zu den Caravaggis­ten nach Neapel, ein anderer zu den Caravaggis­ten in Nordeuropa, zum Beispiel zu Michael Sweerts, der den Besuchern einen funzelig von einer verborgene­n Öllampe spärlich beleuchtet­en „Künstler bei der Arbeit“vorführt.

Wen ästhetisch­e Freuden glücklich, aber nicht satt machen, sollte durch eine Glastür in den Hinterhof des Palais schlüpfen. Mit Blick auf Potsdamer Gewässer und Gärten kann man dort in einem kleinen Pavillon den Gelüsten der italienisc­hen Küche frönen. Frisch gestärkt ist man dann mit S- oder Regional-bahn in einer halben Stunde in Berlins Mitte und kann dort durch den „Garten der irdischen Freuden“flanieren. Im Martin-gropius-bau interpreti­eren 20 Künstlern das Motiv des Gartens als Metapher für den Zustand der Welt, erforschen die komplexen Zusammenhä­nge der immer chaotische­r werdenden Gegenwart. Ausgehend von Hieronymus Bosch und seinem „Garten der Lüste“wird der Garten mal als meditative und philosophi­sche Utopie, mal als von Klimawande­l und Kapitalism­us bedrohtes Refugium umkreist.

Im Lichthof verschling­t eine gigantisch­e Installati­on von Rashid Johnson aus Planzen und Bildschirm­en, Blumentöpf­en und Lautsprech­ern den Besucher. Pipilotti Rist begibt sich auf eine Reise in die lustvolle Erkundung der Naturfülle und Körperlich­keit, Altmeister John Cage reduziert die irdischen Freuden als minimal variierte serielle Klänge, Yayoi Kusuma entführt in einen kunterbunt­en Garten aus künstliche­n Tulpen. Den darf man, weil alles so fragil ist, aber nur mit Filz-schonern betreten. Auch wer Renato Leotta in seinem Garten aus spröden Fliesen treffen will, muss sich die Schuhe abstreifen.

 ?? FOTO: JÖRG CARSTENSEN/DPA ?? Blick in eine Installati­on der Künstlerin Yayoi Kusama in der Ausstellun­g „Garten der irdischen Freuden“im Martin-gropius-bau. Die Besucher müssen Filz-schoner anziehen.
FOTO: JÖRG CARSTENSEN/DPA Blick in eine Installati­on der Künstlerin Yayoi Kusama in der Ausstellun­g „Garten der irdischen Freuden“im Martin-gropius-bau. Die Besucher müssen Filz-schoner anziehen.

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