Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Die Sprachtricks der Rechtspopulisten
ANALYSE Der thüringische Afd-mann Björn Höcke beklagt, dass man ihm eine Nähe zu Ns-sprache unterstellt. Zugleich spricht er Drohungen gegen einen Zdf-journalisten aus. Das ist eine typisch rechte Strategie.
Stellen Sie sich vor, Sie kennen jemanden – ein entfernter Bekannter, Ihr Nachbar, der Besitzer der Kneipe ums Eck – und dieser Mensch wird Ihnen unangenehm. Er belästigt oder beleidigt Sie nicht, er nimmt Ihnen auch nichts weg, aber Sie fühlen sich von Ihm bedroht, nicht physisch, sondern in dem, was Ihnen wichtig ist, in Ihren Werten. Weil er zum Beispiel Dinge sagt, wie: „Es muss Schluss sein mit der deutschen Schuldkultur.“Oder: „Einwanderung bedroht die deutsche Identität.“Diese Aussagen liegen Ihnen quer, sie machen Sie sogar wütend. Also sprechen Sie beim nächsten Aufeinandertreffen Ihren Bekannten auf sein „rechtes Gedankengut“an.
Jemand muss doch etwas sagen? Leider haben Sie sich jetzt angreifbar gemacht, denn Ihr Bekannter kann sich nun über eine bösartige Unterstellung beschweren, und – was Sie noch wütender machen wird – er wirft Ihnen vielleicht vor, ihm seine Meinungsfreiheit zu beschneiden.
Das ist die Strategie des thüringischen Afd-vorsitzenden Björn Höcke, dessen eigene Parteifreunde in einer ZDF-UMfrage nicht unterscheiden können, ob eine Aussage von ihm oder von Hitler stammt. Die, die bei ihm eine Verwendung von Ns-sprache feststellen wollen, sind für Höcke Formalisten oder auch Moralisten, die ihn in seiner freien Rede einschränken. Im Interview mit einem Zdf-journalisten, der ihn mit den Reaktionen der Parteikollegen konfrontierte, spricht er von „Stellenmarkierern, die nur unterwegs sind, um etwas zu kontaminieren, was angeblich nicht mehr sagbar ist“.
Nun spiegelt sich in der Argumentation von Höcke und der AFD eine Tendenz wieder, die bis weit in die Mitte unserer Gesellschaft ragt. Die reaktive Rede und groteske Verdrehung von Wirklichkeit sind Mittel, mit denen Donald Trump die Vereinigten Staaten regiert. Sie sind die Spielbälle sämtlicher islam-, globalisierungs- und europakritischer Bewegungen, die mittlerweile bei allen Wahlen in Europa die demokratischen Parteien herausfordern.
Wie also den Rechten begegnen, wenn sie ihren Kritikern das Wort im Mund verdrehen? Die Autoren Per Leo, Maximilian Steinbeis und Daniel-pascal Zorn haben 2017 ein Buch geschrieben, dessen Titel zunächst täuscht: „Mit Rechten reden“heißt im Untertitel zwar „Leitfaden“, ist aber kein Ratgeber, der sagt, wie man mit Rechten reden soll. Vielmehr zeigen die Autoren einen Weg, Rechte argumentativ zu fassen, ohne beim Inhalt ihrer Aussagen zu beginnen, sondern bei der Art und Weise, wie sie reden.
Dieser Ansatz hat einen großen Vorteil: Zum Reden gehören nämlich mindestens zwei – einer, der redet, und ein anderer, der antwortet oder nichts sagt, aber in irgendeiner Form reagiert. Damit wird das Problem mit den Rechten zu einem Problem, an dem Nicht-rechte beteiligt sind – und potenziell zu seiner Lösung beitragen können. Denn wie würden Rechte wohl reden, wenn Nicht-rechte sie nicht hören? Womöglich anders. Aber in einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft kann man die Rechten ja nicht einfach ausschließen, man muss sie sogar reden lassen.
Umso wichtiger, sich die Dynamik von rechtem Reden vor Augen zu führen. Rechtes Reden nimmt den Gegner in den Blick, weil Rechte ihren Gegner brauchen – wahrscheinlich stärker als dieser meint. Rechtes Reden kreist schließlich fast immer um die Behauptung einer Bedrohung – ob durch Einwanderung, die Moderne, den Islam, oder – wie Höcke in dem Interview sagt – die „Herrschaft der politischen Korrektheit“. Die Rechten wollen unbedingt Opfer sein, und wer ihre Position nicht teilt, wird zum Täter gemacht. So mobilisieren sie ihre Anhänger: Menschen nämlich, die sich mit ihrer Opferrolle identifizieren.
Aber ohne den Täter könnte es ja das Opfer nicht geben! Deswegen ist rechtes Reden voller Provokation. Wenn Höcke – immerhin studierter Geschichtslehrer – tatsächlich glaubt, Ns-sprache ließe sich nicht definieren – wieso greift er dann immer wieder nach dem gleichen Vokabular? Er hebt in einer Rede mit einer bewusst gesetzten Pause sogar den Ns-kontext des Wortes „Lebensraum“hervor. Als der Journalist ihn darauf anspricht, bricht sein Sprecher das Interview ab. Höcke mahnt „massive Konsequenzen“an, weitere Interviews werde er nicht mehr geben. „Wir wissen nicht, was kommt“, sagte er mahnend. „Vielleicht werde ich auch mal eine interessante politische Person in diesem Land.“Das könnte man als Andeutung einer Zensur verstehen, zumindest als Anspielung auf Machtverhältnisse, wie sie es in Deutschland schon gab. Nur Höcke würde das niemals zugeben. Sein Einsatz von Vieldeutigkeit ist an dieser Stelle strategisch: Die Medien haben seine Aussage zum Skandal erhoben und ihm eine Opferrolle beschert.
Höcke ist in dieser Taktik geübt. Als er in einer Rede vor zwei Jahren das Berliner Holocaust-mahnmal als „Denkmal der Schande“bezeichnete, war die Empörung groß. Höcke aber schuf sich einen Spielraum, indem ein Missverständnis simulierte: Er habe nicht das Denkmal als Schande bezeichnet, sondern den Holocaust, für den das Denkmal steht.
Das Täter-opfer-spiel macht es den Rechten einfach, denn es verschleiert die Substanzlosigkeit vieler ihrer Behauptungen. Die steckt allein schon in der Ansicht, dass der Islam die deutsche Kultur bedroht. Eine derartige Behauptung lässt sich aber nicht mit Statistiken und objektiv erfahrbaren Verhältnissen begründen.
Zorn, Steinbeis und Leo zeigen: Die Rechtspopulisten betreiben ihr Spiel, um einen Identitätskomplex zu verschleiern. Und einen Vorschlag, wie mit Rechten zu reden ist, gibt das Buch dann doch: „Wir können doch, statt ihnen unsere Eindeutigkeit zu schenken, umgekehrt sie zur Eindeutigkeit zwingen“, schreiben sie.
Die Rechten wollen unbedingt Opfer sein, und wer ihre Positionen nicht teilt, wird zum Täter gemacht