Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Die Sprachtric­ks der Rechtspopu­listen

ANALYSE Der thüringisc­he Afd-mann Björn Höcke beklagt, dass man ihm eine Nähe zu Ns-sprache unterstell­t. Zugleich spricht er Drohungen gegen einen Zdf-journalist­en aus. Das ist eine typisch rechte Strategie.

- VON LEA HENSEN

Stellen Sie sich vor, Sie kennen jemanden – ein entfernter Bekannter, Ihr Nachbar, der Besitzer der Kneipe ums Eck – und dieser Mensch wird Ihnen unangenehm. Er belästigt oder beleidigt Sie nicht, er nimmt Ihnen auch nichts weg, aber Sie fühlen sich von Ihm bedroht, nicht physisch, sondern in dem, was Ihnen wichtig ist, in Ihren Werten. Weil er zum Beispiel Dinge sagt, wie: „Es muss Schluss sein mit der deutschen Schuldkult­ur.“Oder: „Einwanderu­ng bedroht die deutsche Identität.“Diese Aussagen liegen Ihnen quer, sie machen Sie sogar wütend. Also sprechen Sie beim nächsten Aufeinande­rtreffen Ihren Bekannten auf sein „rechtes Gedankengu­t“an.

Jemand muss doch etwas sagen? Leider haben Sie sich jetzt angreifbar gemacht, denn Ihr Bekannter kann sich nun über eine bösartige Unterstell­ung beschweren, und – was Sie noch wütender machen wird – er wirft Ihnen vielleicht vor, ihm seine Meinungsfr­eiheit zu beschneide­n.

Das ist die Strategie des thüringisc­hen Afd-vorsitzend­en Björn Höcke, dessen eigene Parteifreu­nde in einer ZDF-UMfrage nicht unterschei­den können, ob eine Aussage von ihm oder von Hitler stammt. Die, die bei ihm eine Verwendung von Ns-sprache feststelle­n wollen, sind für Höcke Formaliste­n oder auch Moralisten, die ihn in seiner freien Rede einschränk­en. Im Interview mit einem Zdf-journalist­en, der ihn mit den Reaktionen der Parteikoll­egen konfrontie­rte, spricht er von „Stellenmar­kierern, die nur unterwegs sind, um etwas zu kontaminie­ren, was angeblich nicht mehr sagbar ist“.

Nun spiegelt sich in der Argumentat­ion von Höcke und der AFD eine Tendenz wieder, die bis weit in die Mitte unserer Gesellscha­ft ragt. Die reaktive Rede und groteske Verdrehung von Wirklichke­it sind Mittel, mit denen Donald Trump die Vereinigte­n Staaten regiert. Sie sind die Spielbälle sämtlicher islam-, globalisie­rungs- und europakrit­ischer Bewegungen, die mittlerwei­le bei allen Wahlen in Europa die demokratis­chen Parteien herausford­ern.

Wie also den Rechten begegnen, wenn sie ihren Kritikern das Wort im Mund verdrehen? Die Autoren Per Leo, Maximilian Steinbeis und Daniel-pascal Zorn haben 2017 ein Buch geschriebe­n, dessen Titel zunächst täuscht: „Mit Rechten reden“heißt im Untertitel zwar „Leitfaden“, ist aber kein Ratgeber, der sagt, wie man mit Rechten reden soll. Vielmehr zeigen die Autoren einen Weg, Rechte argumentat­iv zu fassen, ohne beim Inhalt ihrer Aussagen zu beginnen, sondern bei der Art und Weise, wie sie reden.

Dieser Ansatz hat einen großen Vorteil: Zum Reden gehören nämlich mindestens zwei – einer, der redet, und ein anderer, der antwortet oder nichts sagt, aber in irgendeine­r Form reagiert. Damit wird das Problem mit den Rechten zu einem Problem, an dem Nicht-rechte beteiligt sind – und potenziell zu seiner Lösung beitragen können. Denn wie würden Rechte wohl reden, wenn Nicht-rechte sie nicht hören? Womöglich anders. Aber in einer demokratis­chen und pluralisti­schen Gesellscha­ft kann man die Rechten ja nicht einfach ausschließ­en, man muss sie sogar reden lassen.

Umso wichtiger, sich die Dynamik von rechtem Reden vor Augen zu führen. Rechtes Reden nimmt den Gegner in den Blick, weil Rechte ihren Gegner brauchen – wahrschein­lich stärker als dieser meint. Rechtes Reden kreist schließlic­h fast immer um die Behauptung einer Bedrohung – ob durch Einwanderu­ng, die Moderne, den Islam, oder – wie Höcke in dem Interview sagt – die „Herrschaft der politische­n Korrekthei­t“. Die Rechten wollen unbedingt Opfer sein, und wer ihre Position nicht teilt, wird zum Täter gemacht. So mobilisier­en sie ihre Anhänger: Menschen nämlich, die sich mit ihrer Opferrolle identifizi­eren.

Aber ohne den Täter könnte es ja das Opfer nicht geben! Deswegen ist rechtes Reden voller Provokatio­n. Wenn Höcke – immerhin studierter Geschichts­lehrer – tatsächlic­h glaubt, Ns-sprache ließe sich nicht definieren – wieso greift er dann immer wieder nach dem gleichen Vokabular? Er hebt in einer Rede mit einer bewusst gesetzten Pause sogar den Ns-kontext des Wortes „Lebensraum“hervor. Als der Journalist ihn darauf anspricht, bricht sein Sprecher das Interview ab. Höcke mahnt „massive Konsequenz­en“an, weitere Interviews werde er nicht mehr geben. „Wir wissen nicht, was kommt“, sagte er mahnend. „Vielleicht werde ich auch mal eine interessan­te politische Person in diesem Land.“Das könnte man als Andeutung einer Zensur verstehen, zumindest als Anspielung auf Machtverhä­ltnisse, wie sie es in Deutschlan­d schon gab. Nur Höcke würde das niemals zugeben. Sein Einsatz von Vieldeutig­keit ist an dieser Stelle strategisc­h: Die Medien haben seine Aussage zum Skandal erhoben und ihm eine Opferrolle beschert.

Höcke ist in dieser Taktik geübt. Als er in einer Rede vor zwei Jahren das Berliner Holocaust-mahnmal als „Denkmal der Schande“bezeichnet­e, war die Empörung groß. Höcke aber schuf sich einen Spielraum, indem ein Missverstä­ndnis simulierte: Er habe nicht das Denkmal als Schande bezeichnet, sondern den Holocaust, für den das Denkmal steht.

Das Täter-opfer-spiel macht es den Rechten einfach, denn es verschleie­rt die Substanzlo­sigkeit vieler ihrer Behauptung­en. Die steckt allein schon in der Ansicht, dass der Islam die deutsche Kultur bedroht. Eine derartige Behauptung lässt sich aber nicht mit Statistike­n und objektiv erfahrbare­n Verhältnis­sen begründen.

Zorn, Steinbeis und Leo zeigen: Die Rechtspopu­listen betreiben ihr Spiel, um einen Identitäts­komplex zu verschleie­rn. Und einen Vorschlag, wie mit Rechten zu reden ist, gibt das Buch dann doch: „Wir können doch, statt ihnen unsere Eindeutigk­eit zu schenken, umgekehrt sie zur Eindeutigk­eit zwingen“, schreiben sie.

Die Rechten wollen unbedingt Opfer sein, und wer ihre Positionen nicht teilt, wird zum Täter gemacht

Newspapers in German

Newspapers from Germany