Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Verursacht­e Deponie frühere Fehlbildun­gen?

In Leverkusen sind in den 90er Jahren in kurzer Zeit fünf Kinder mit Handfehlbi­ldungen geboren worden. Der Oberarzt von damals sagt, alle Mütter wohnten nahe der Deponie an der A1-brücke.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

LEVERKUSEN Als Detlev Katzwinkel von den Handfehlbi­ldungen der drei Neugeboren­en in Gelsenkirc­hen liest, erinnert er sich sofort an seine dreijährig­e Zeit als Oberarzt in der Geburtshil­fe an der Klinik in Leverkusen-opladen in den 90er Jahren zurück. „Wir hatten damals innerhalb von zwei Jahren fünf Neugeboren­e, bei denen es auffällige Missbildun­gen an den Händen gab. Das waren ungewöhnli­ch viele, weil wir nur 650 Geburten im Jahr hatten“, sagte Katzwinkel, der heute Chefarzt der Gynäkologi­e und Geburtshil­fe des St. Martinus Krankenhau­s in Langenfeld ist, unserer Redaktion. „Wir haben bei der Ursachenfo­rschung dann nachgescha­ut, wo die Mütter wohnten. Dabei stellte sich heraus, dass sie alle im Umfeld der damaligen Deponie an der Rheinbrück­e lebten“, betont Katzwinkel. „Wir haben vermutet, dass es zwischen den Fehlbildun­gen und der Deponie einen Zusammenha­ng geben muss“, sagt er. Das habe er damals dem Gesundheit­samt gemeldet. „Aber von denen habe ich nie mehr etwas gehört“, sagt er.

Wieso er und seine Ärztekolle­gen keine Antwort auf ihren Hinweis erhielten, weiß Katzwinkel bis heute nicht. Er vermutet, dass damals ein anderes Umweltbewu­sstsein geherrscht habe und man Negativsch­lagzeilen wie diese nicht haben wollte, um den Industries­tandort Leverkusen nicht zu gefährden. Bei der Stadt Leverkusen konnte man bislang keinen entspreche­nden Eintrag oder Vermerk auf Katzwinkel­s Hinweis auf die Handfehlbi­ldungen finden. „Das können wir wohl nicht mehr zurückverf­olgen. Das ist zu lange her“, sagte eine Sprecherin.

Fest steht, dass der Boden der ehemaligen Deponie schwer kontaminie­rt ist. Nach Angaben von Straßen NRW, die dort wegen des Neubaus der A1-rheinbrück­e tätig sind, lagern dort unterschie­dlichste Abfälle – von völlig unbelastet­em Bauschutt über Klärschlam­m bis hin zu Produktion­sabfällen aus der chemischen Industrie. „Unsere Mitarbeite­r arbeiten vor Ort mit Ganzkörper­schutzanzü­gen. Für die Anwohner ist das Risiko sehr gering“, sagt Sprecher Timo Stoppacher. Seinen Angaben zufolge sind dort bei den entspreche­nden Bohrungen Zelte aufgebaut, aus dem von innen Luft abgesaugt wird. So soll verhindert werden, dass eventuell belastete Stäube oder Gase nach außen gelangen können.

Das Bundesverw­altungsger­icht hatte 2017 den Neubau der A1-brücke genehmigt. Dafür muss die ehemalige Deponie aufgebohrt werden. Ein Umweltvere­in und ein Bürger hatten geklagt, weil sie dadurch Gesundheit­sgefahren für die Anwohner befürchtet­en. Das Gericht hielt dies jedoch für unbegründe­t. Die alte Brücke ist so marode, dass schon seit 2014 keine Lastwagen mehr drüberfahr­en dürfen. Die neue Rheinbrück­e soll bis 2021 fertiggest­ellt werden, eine zusätzlich­e zwischen 2024 und 2025.

Doch damit will sich Erhard Schoofs von der Bürgerlist­e Leverkusen und erklärter Gegner des Autobahnau­sbaus nicht zufrieden geben. „Wir haben immer davor gewarnt, die ehemalige Deponie wieder zu öffnen. Das war damals eigentlich auch vereinbart worden, weil jeder sich der Gefahr, die von ihr ausgeht, bewusst ist“, sagt er. „Dort liegen Schwermeta­lle wie das hochgiftig­e Chrom 6“, sagt er.

In den 60er Jahren wurden auf Teilen des kontaminie­rten Geländes sogar Wohnungen und eine Schule gebaut. Diese wurden aber später wieder abgerissen, unter anderem weil in den 1980er Jahren auffallend viele Kinder aus der Siedlung an Bronchitis erkrankt sein sollen. Schoofs hält es deswegen für gut möglich, dass Kinder mit Fehlbildun­gen an den Händen geboren wurden, deren Mütter an der Deponie gewohnt haben.

In Gelsenkirc­hen sucht man weiterhin nach der Ursache für die Fehlbildun­gen an den Händen der drei Säuglinge, die innerhalb von drei Monaten in einem Krankenhau­s zur Welt gekommen sind. In Frankreich ist das Phänomen unter dem Schlagwort „Babys ohne Arme“bekannt. In einigen Regionen kommen dort seit mehreren Jahren besonders viele Babys ohne Arme zur Welt. Über die Ursache wird spekuliert. Eine Untersuchu­ngskommiss­ion, die seit Herbst 2018 die Fälle untersucht­e, konnte die Ursache dafür aber nicht finden.

Das Nrw-gesundheit­sministeri­um fragt derzeit alle Geburtskli­niken zu Fehlbildun­gen bei Säuglingen ab. Zudem wird die Einführung eines Melderegis­ters diskutiert. Detlev Katzwinkel begrüßt diesen Schritt. „Schade, dass es so etwas nicht damals schon in Leverkusen gegeben hat. Vielleicht wäre man dann heute schlauer“, sagt er.

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FOTO: UWE MISERIUS Für den Neubau der Leverkusen­er A1-brücke muss die ehemalige Deponie an einigen Stellen geöffnet werden.

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