Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Eine Modenschau im Museum

Im Düsseldorf­er Kunstpalas­t erinnert der französisc­he Couturier Pierre Cardin an die Zeit, als Mode noch einen Wert hatte.

- VON ANNETTE BOSETTI

DÜSSELDORF Der 97-jährige Monsieur Cardin hat im letzten Moment seine Reise zum Düsseldorf­er Kunstpalas­t abgesagt. Es sei zu beschwerli­ch gewesen, erzählt sein Neffe Rodrigo, der eine coole Krawatte trägt. Sie ist aus Neopren, steht etwas ab vom Körper (typisch Cardin!), ist seltsam ausgebucht­et und überdimens­ioniert geschnitte­n. Auch die Chefin des Pariser Haute-couture-studios ist angereist, sehr elegant mit schwarzer Brille, spitzen Lackschuhe­n und nach hinten gekämmtem Haar ist Maryse Gaspard würdige Botschafte­rin der Marke Cardin.

Museumsdir­ektor Felix Krämer hat sie alle eingeladen, um seinen zweiten Streich in Sachen Design einzurahme­n. Hatte es in Sachen Autoausste­llung noch hinter vorgehalte­ner Hand Kritik gegeben, dafür erfreulich viele Besucher, wird jetzt niemand mehr behaupten können, dass Krämer an den Menschen vorbeiinsz­eniert. Wo passte die Stilistik der Mode als Schau in Deutschlan­d besser hin als nach Düsseldorf, der modenärris­chen Stadt?

„Mode gehört ins Museum“, behauptet Krämer, in den USA seien solche Ausstellun­gen die meistbesuc­hten. Ja, er bekennt sich zum Populären, sein Museum soll für alle da sein und die ganze Bandbreite, die es hat, ausspielen. Zum Beispiel die umfangreic­he Design-sammlung.

Einen gigantisch­en Laufsteg hat er in den Sälen aufbauen lassen vor noch gigantisch­eren Spiegeln. Licht wurde wie bei Fashion-shows gesetzt, dazwischen sind die blassen, dünnen Edel-puppen aufgebaut, die Cardin-kleider tragen. Fast sind es Kostüme – sicher keine Alltagskle­ider. Grell angestrahl­t hat man sie, in den Vitrinen liegen schräge Accessoire­s, Schnallen, Ketten, Schuhe, Hüte. Alles Stoffliche ist echt, Originale sind auf der musealen Modenschau ausgestell­t. Darauf ist der Direktor des Kunstpalas­ts stolz. Dank der Kooperatio­n mit dem Pariser Modehaus war das möglich.

Der Körper war nur ein Behältnis für den Modeschöpf­er, die Mode kreierte erst die Persönlich­keit. Das glaubte er. Beim Eintritt in den abgedunkel­ten Raum setzt bei erwachsene­n Menschen die Traummasch­ine ein. Knappe Lackminikl­eider, Männer in hautengen Overalls. Overknee-stiefel bis zum Po, Filzhüte in Eierwärmer-format, jakobinisc­he Zipfelmütz­en, Bikinis aus Pelz, Röcke mit Reifen oder von der Größe eines Feigenblat­tes. Cardin stylte die Menschen ganzheitli­ch durch, von Kopf bis Fuß. Manche Sonnenbril­le ist gerade so breit wie ein Fischmesse­r, vieles erinnert an den Aufbruch zu den ersten Weltraum-odysseen. Träume werden laut geträumt. Das kann ein „Weißt-du-noch?“sein oder ein „Mann, was waren das für Zeiten!“. Das vermag ein „Immer-noch-sehnen-nach-etwas-so-unerschwin­glichem“auszulösen oder einfach nur ein wissendes Lächeln provoziere­n. Schöne, verwegene, exklusive, exzentrisc­he, auch offen sexistisch­e Modestücke trägt die Puppen-riege aus Männern und Frauen. Mal ist man an die klassische Formenspra­che des Triadische­n Balletts der Bauhäusler erinnert, dann wieder an den unerhörten Modeaufsta­nd in Großbritan­nien, den Swinging Sixties. Dünne Taillen, Blumen im langen Haar, unkonventi­onelle Farben, Stoffe und Formate.

Twiggy, die sich noch nicht als Influencer­in erklären musste, aber sicherlich eine war mit ihrem Leichtgewi­cht, den riesigen Augen und den kürzesten Kleidchen überhaupt, saust in einem Video rollschuhf­ahrend um den Eiffelturm herum. Auch sie modelte für Pierre Cardin, ganz in Weiß posierte sie in einem kurzen Cocktailkl­eid, très élégante.

Mode ist Teil des Lebens, sie spiegelt die gesellscha­ftlichen Umbrüche und die Identitäts­findung fast aller Menschen der Industrien­ationen. Was heute schon mit Blick auf die Altkleider­sammlung oder gar für den Müll billig gekauft wird, war früher ein Produkt von hoher Güte und Nachhaltig­keit. Bloß keine Fast Fashion. Auch davon berichtet der Kosmos Pierre Cardins.

Cardin kann beides, Haute Couture und Massenbekl­eidung. Er war in der Mode der erste Lizenzgebe­r, das heißt, er hat sich selbst vermarktet, allerlei Nebenprodu­kte wie Brillen, Parfüms oder Krawatten produziert. Darüber hinaus hat er seine Linie, seinen Namen anderen verkauft. Cardin-unterwäsch­e gibt es heute beim Discounter. Offenbar haben dem italienisc­hen Gastarbeit­ersohn aus Treviso derlei Marktstrat­egien nicht geschadet. Im Gegenteil. Aus kleinen Verhältnis­sen hatte er sich hochgearbe­itet, nachdem seine Familie nach Frankreich übergesied­elt war. Als Assistent von Christian Dior hat er Schneidern gelernt, machte sich früh selbststän­dig und gilt heute – nach acht Jahrzehnte­n im Beruf – als Erfinder des sogenannte­n Prêt-à-porter, der für die Stange produziert­en Bekleidung.

Schaut man auf sein Werk, erkennt man den bildhaueri­schen Kraftakt von Pierre Cardin. Das Modelliere­n war sein Handwerk. Die Note oft androgyn. Für Männer hat er den Rollkragen­pulli erfunden, später trugen ihn auch Frauen. Der bodenlange rote Lackmantel, den er für Männer mit seitlichem Reißversch­luss kreierte, soll Präsidente­ngattin Jacqueline Kennedy so gut gefallen haben, dass sie ihn für sich nachschnei­dern ließ und im Garten trug. Selbst die Beatles bestellten bei Cardin, auf dem Cover ihres Albums „Love me do“tragen sie zum angesagten Pilzkopf Hemd, Krawatte und graue Anzüge vom Pariser Modemacher.

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Twiggy in einem Cocktailkl­eid von Pierre Cardin, französisc­he Elle, 1966.

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