Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Hummels klopft bei Löw an
ANALYSE Der Verteidiger setzt in Dortmund seine starke Serie des vergangenen Halbjahrs in München fort. Er ist die Nummer eins unter Deutschlands Innenverteidigern. Nur der Bundestrainer scheint das zu ignorieren.
Das Amt des freiberuflichen Mediensprechers hat er zunächst mal ruhen lassen. Aber nur für ein paar Wochen. Seit einigen Tagen geht Mats Hummels auch in dieser Hinsicht wieder voran bei Borussia Dortmund. Vor den Kameras sortiert er Spiele wie das aus Bvb-sicht unglückliche 0:0 gegen den großen FC Barcelona in der Champions League ein („Wir haben gezeigt, wie gut wir sein können“), und in großen Interviews spricht er über große Ziele. Der „Sportbild“sagte der Verteidiger: „Ich möchte dazu beitragen, dass der BVB wieder Titel holt.“
Hummels belässt es nicht bei Ansprachen. Er hat schon im ersten Halbjahr des Jahres, da noch beim FC Bayern München, konstant gute Leistungen geboten. Und in Dortmund setzt er das fort. Gegen Barcelona bescheinigte ihm die Statistik der Europäischen Fußball-union (Uefa) eine makellose Zweikampfbilanz. Und als ihm die Frage gestellt wurde, ob das wohl sein bestes Spiel für die Dortmunder gewesen sei, antwortete er mit angemessener Koketterie: „Ich denke darüber noch mal nach und gehe alle durch.“Es war sicher eines seiner besten.
So etwas wird natürlich nicht übersehen. Vor allem von den Kritikern der Nationalmannschaft im Allgemeinen und ihres Trainers Joachim Löw im Besonderen nicht. Die Abwehrprobleme der Dfb-auswahl waren vor allem im Em-qualifikationsspiel gegen die Niederlande (2:4) offensichtlich, und schon danach riefen viele nach Hummels, dem besten deutschen Innenverteidiger („Stand jetzt“, wie die Branche sagt).
Die Rufe werden nach dem glänzenden Auftritt gegen Barcelona nicht leiser. Hummels nimmt sie mit Genugtuung zur Kenntnis. „Das ist eine Bestätigung für meine Leistung“, erklärte er, „ich war immer stolz, für Deutschland zu spielen. Daran hat sich nichts geändert.“
Bundestrainer Löw aber hat die Länderspiel-karriere des damaligen Bayern-trios Hummels, Jerome Boateng und Thomas Müller im März eigentlich beendet. Seine Reise nach München und die für seine Verhältnisse erstaunliche Entschlossenheit, mit der er seine Entscheidung den Spielern zwischen Tür und Angel vermittelte, hat bereits im Frühjahr für Aufregung gesorgt. Löws Begründung lautete: „Meine Aufgabe ist es, den Spielern mit Ehrlichkeit entgegen zu treten. Ihnen zu sagen, dass ich die Qualifikation und die EM ohne sie plane, weil ich den jungen Spielern die Möglichkeit geben will, sich zu entwickeln. Es wäre ein Eiertanz gewesen, den Spielern zu sagen: Mal sehen, ob ich euch im September, Oktober oder November wieder einlade.“
Eine Hintertür hatte er sich jedoch offen gelassen. „Wir haben sie aber auch nicht aus der Nationalmannschaft verbannt“, beteuerte er. Ein typischer Löw – in sich ebenso widersprüchlich wie seine Haltung in der Torwart-frage. Da hat er den offenen Konkurrenzkampf zwischen Manuel Neuer und Marc-andré ter Stegen ausgerufen und trotzdem die Entscheidung für Neuer ohne echte Bewährungschance für ter Stegen getroffen. Diesen Widerspruch wird er wahrscheinlich durch Aussitzen lösen.
Ob ihm das im Fall Hummels gelingt, ist offen. Versuchen wird er es. Vielleicht aber erinnert er sich an seinen Nachsatz, nach dem niemand verbannt worden sei, und erklärt den Feldversuch mit Niklas Süle, Matthias Ginter, Jonathan Tah und Antonio Rüdiger für beendet, indem er ihnen die Führungskraft Hummels vorsetzt. Das wiederum würde nicht zu seiner Absicht passen, Qualifikation und EM unter Verzicht auf die Alten zu spielen.
Die Vorstellungen des Dortmunders Hummels bringen Löw auf jeden Fall in Erklärungsnot. Denn die Fürsprecher des Bvb-verteidigers werden im Laufe des Jahres bestimmt nicht verstummen. Schon beim Testspiel gegen Argentinien am 9. Oktober in Dortmund (!) wird Löw sich mit Fragen nach der weiteren Verwendung des Weltmeisters befassen müssen.
Wenn es nach dem Leistungsprinzip geht, spricht nichts gegen Hummels’ Rückkehr in die Dfb-auswahl. Er selbst hat im besagten Sportbild-interview die Tugend des Alters gepriesen: „Die besten Tennisspieler sind Roger Federer mit 38, Rafael Nadal mit 33 und Novak Djokovic mit 32. Es ist eine seltsame Diskussion, die seit der WM geführt wird.“
Löw, das ist ebenfalls sicher, hat sie nicht angestoßen. Aber er ließ sich von jenen treiben, die Jugend mit Frische und Tempo übersetzen, die Jugend für das Allheilmittel halten und die Sündenböcke für das verheerende Abschneiden bei der WM suchten. Dass Tempo ein Ergebnis fußballerischer Qualität sein kann, beweist Hummels seit Jahren. Mit einem Sprinter hat ihn deshalb noch niemand verwechselt. Seine Qualität liegt im Blick für die Situation und der Fähigkeit, Entwicklungen vorherzusehen, das Spiel mit Pässen zu bewegen. Dafür muss er nicht mit Usain Bolt um die Wette laufen können. Das wird er auch in Zukunft nicht tun.