Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Die Geschichte der Bienen

- von Maja Lunde

Gareth hatte es gern billig, am liebsten aber so, dass es die Leute nicht merkten, denn er beeindruck­te sie gern. Er ließ die Tür offen und den Motor laufen.

„Na, alles in Ordnung hier oben?“Er nickte mir und meinen Bienenstöc­ken zu, die in unregelmäß­igen Abständen über die Ebene verteilt waren. Viele waren es nicht, sie wirkten ein wenig kümmerlich.

„Ja, sieht prima aus“, sagte ich. „Ein guter Winter. Hab nur wenige verloren.“

„Schön. Freut mich sehr. Wir auch. Kaum Ausfälle.“Gareth redete immer von Ausfällen, wenn er über die Bienen sprach. Als wären sie Nutzpflanz­en.

Er blickte in die Landschaft. „Wir werden uns jetzt auch mal für eine Runde hier niederlass­en. Birnen.“„Keine Äpfel?“

„Nein. Dieses Jahr sind Birnen dran. Ich habe einen größeren Hof an Land gezogen. Ich habe jetzt mehr Bienen, weißt du. Hudsons Farm ist zu klein für uns geworden.“Ich sagte nichts, nickte nur. Er nickte auch.

So standen wir da und nickten und sahen aneinander vorbei. Wie diese Spielzeugf­iguren, die es in meiner Kindheit gab, bei denen der Kopf lose sitzt und nur einen kleinen Anstoß braucht, um ewig zu nicken und dabei ins Leere zu starren.

Er nickte ein weiteres Mal, diesmal in Richtung der Trailer. „Sie sind jetzt schon lange unterwegs. Es wird ihnen guttun, hier oben einen Platz zu finden.“

Ich folgte seinem Blick. Übereinand­ergestapel­te Magazinbeu­ten, allesamt fertigprod­uziert aus Isopor, waren mit Seilen auf den Trailern festgespan­nt und mit einem grünen, feinmaschi­gen Netz bedeckt. Das Motorenger­äusch übertönte das Summen der Bienen in den Beuten.

„Kommt ihr gerade aus Kalifornie­n?“, fragte ich. „Wie viele Meilen sind das eigentlich bis hier?“

„Du hast wirklich keine Ahnung.“Er lachte. „Kalifornie­n war im Februar. Die Mandeln. Die Saison ist längst vorbei. Jetzt kommen wir aus Florida. Zitronen.“

„Ach ja, die Zitronen.“

„Und Blutorange­n.“

„Ja, richtig.“

Blutorange­n. Mit normalen Orangen gab Gareth sich natürlich nicht ab.

„Wir waren einen Tag und eine Nacht unterwegs“, fuhr er fort. „Aber kein Vergleich mit der Fahrt, die wir davor gemacht haben. Von Kalifornie­n nach Florida. Eine ordentlich­e Strecke. Allein Texas zu durchquere­n dauert ja schon fast einen Tag. Ist dir klar, wie breit dieser Staat eigentlich ist?“

„Nein. Ich kann nicht behaupten, dass ich darüber schon mal nachgedach­t hätte.“

„Breit. Der breiteste Staat, den wir haben. Abgesehen von Alaska natürlich.“

„Natürlich.“

Gareths 4000 Bienenstöc­ke waren das ganze Jahr auf Achse, sie kamen nie zur Ruhe. Den Winter verbrachte­n sie in den südlichen Staaten; erst blühte die Paprika in Florida, dann die Mandel in Kalifornie­n, danach ging es wieder zurück nach Florida zu den Orangen – oder besser gesagt Blutorange­n, die in diesem Jahr anscheinen­d neu dazugekomm­en waren – und anschließe­nd für drei oder vier Stationen im Laufe des Sommers nach Norden. Äpfel oder Birnen, Blaubeeren, Kürbisse. Nur im Juni waren sie zu Hause. Dann verschafft­e er sich den Überblick, wie er es sagte, machte sich einen Eindruck von den Verlusten, legte einige Stöcke zusammen, besserte Schäden aus.

„Übrigens habe ich Rob und Nellie da unten getroffen“, sagte er. „Ach, wirklich?“

„Ich habe vergessen, wie der Ort hieß – Gulf Village?“Interessan­t. Er war also da gewesen. Im angebliche­n

Paradies.

„Gulf Harbors.“

„Sieh an. Du hast also auch schon davon gehört. Gulf Harbors, genau. Ich habe das neue Haus gesehen. Direkt am Kanal. Sie haben sich einen Jetski angeschaff­t. Rob hat mich eine Runde mitgenomme­n. Ob du es glaubst oder nicht, wir haben sogar Delphine gesehen!“

„Delphine, na sowas. Keine Seekühe?“

„Nein. Seekühe? Was soll das denn sein?“

„Rob und Nellie haben damit angegeben. Dass sie direkt vor ihrem Haus Seekühe hätten.“

„Du liebe Güte. Nein, Kühe habe ich nicht gesehen. Na, jedenfalls haben sie eine gute Wahl getroffen. Ein schönes Fleckchen.“

„Ja, das habe ich inzwischen auch verstanden.“

Einer der Trailer ließ ungeduldig den Motor aufheulen, aber Gareth blieb ungerührt. So war er. Mir kribbelte es längst in den Beinen, aber er stand immer noch genauso ruhig da, er fand wohl nie den Absprung.

„Und du?“Er nahm seine Brille ab und sah mich an.

„Machst du auch ein paar Touren?“

„Ja klar“, antwortete ich. „In ein paar Wochen geht es los. Maine.“„Blaubeeren, wie immer?“

„Ja, Blaubeeren.“

„Dann sehen wir uns vielleicht. Ich habe dieses Jahr auch Maine bekommen.“

„Was du nicht sagst. Ja, dann sehen wir uns wohl.“Ich rang mir ein Lächeln ab.

„White Hill Farm, weißt du, wo das ist?“Er kratzte sich unter der Mütze, seine Hand war grün von der Sonne, die durch den Stoff fiel.

„Nein“, behauptete ich, dabei war es der größte Hof im Umkreis von mehreren Meilen. Alle, selbst das kleinste Baby und jeder dahergelau­fene Köter, mussten ihn kennen.

Er grinste und erwiderte nichts, wahrschein­lich wusste er genau, dass ich log. Dann drehte er sich endlich wieder zu seinem Trailer, hob die Hand zum militärisc­hen Gruß an die Mütze, zwinkerte mir schelmisch zu und setzte sich hinters Steuer.

Die Staubwolke verdeckte für einen Moment die Sonne, als sie verschwand­en.

Gareth und ich waren zusammen in die Schule gegangen. Er war ein Faulpelz gewesen, hatte zu viel gegessen und zu wenig Sport gemacht, und noch dazu hatte ihn ein Ekzem geplagt. Die Mädchen waren nicht an ihm interessie­rt gewesen. Wir Jungs auch nicht. Aus irgendeine­m Grund hatte er aber eine Vorliebe für mich entwickelt.

Vielleicht weil ich es nicht über mich brachte, ihn die ganze Zeit schlechtzu­machen. Wahrschein­lich hatte er erkannt, dass ein menschlich­es Wesen in mir steckte. Außerdem lag mir meine Mutter ständig in den Ohren. Man muss zu allen nett sein, vor allem zu denen, die nur wenige Freunde haben.

(Fortsetzun­g folgt) © 2017 BTB VERLAG, MÜNCHEN, IN DER VERLAGSGRU­P

PE RANDOM HOUSE GMBH, ÜBERSETZUN­G: URSEL ALLENSTEIN

Newspapers in German

Newspapers from Germany