Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Kaczynski, Kindergeld und Kirche

ANALYSE Wahlkampf in Polen: Die rechtsnati­onale PIS will mit einem starken Parteichef, sozialpoli­tischen Verspreche­n und ideologisc­her Zuspitzung ihre Regierungs­macht ausbauen.

- VON ULRICH KRÖKEL

Die Verteilung der politische­n Macht in Polen beruht seit vier Jahren auf einer höchst eigenwilli­gen Konstrukti­on. Mit Andrzej Duda gibt es einen Präsidente­n, der das Land vor allem nach außen repräsenti­ert. Die Regierungs­geschäfte führt derweil Premier Mateusz Morawiecki. Beide stammen, wie auch die meisten Minister und die Parlaments­präsidenti­n, aus der nationalko­nservative­n Partei „Recht und Gerechtigk­eit“(PIS). Und erst an dieser Stelle kommt jener Mann ins Spiel, ohne den in Warschau keine Regierungs­entscheidu­ng denkbar ist: Hinter den Kulissen hält der autoritäre Pis-chef Jaroslaw Kaczynski alle Fäden in der Hand.

Seit 2015 geht das so, seit die PIS die Parlaments- und Präsidente­nwahlen gewonnen hat. Nun jedoch steht die informelle Kaczynski-herrschaft auf dem Prüfstand. Am 13. Oktober wählen die Polen den Sejm neu und wenige Monate später den Präsidente­n. Im Wahlkampf aber, der ein Wettstreit der Parteien ist, muss Kaczynski selbst ins Rampenlich­t treten. Und das tut der 70-Jährige mit beachtlich­er Wucht. Er bestreitet die Pis-kampagne fast allein und beherrscht auch die medialen Schlagzeil­en. Auch die Opposition arbeitet sich vor allem an Kaczynski ab. Grzegorz Schetyna etwa, der Chef der gemäßigt-konservati­ven Bürgerplat­tform (PO), spricht von einem „östlichen Herrschaft­smodell“wie in den Autokratie­n des postsowjet­ischen Raums.

An der PIS prallen solche Vorwürfe allerdings ab. Mehr noch: Führende Politiker der Partei machen keinen Hehl aus der zweifelhaf­ten Rolle ihres Vorsitzend­en. „Kaczynski ist der Pate unseres Ministerpr­äsidenten“, sagt der prominente Eu-parlamenta­rier Ryszard Czarnecki. Wenn der Parteichef wolle, könne er jederzeit selbst das Ruder in der Regierung übernehmen. Premier Morawiecki hat vorsorglic­h bereits zu Protokoll gegeben, dass Kaczynski ein besserer Ministerpr­äsident wäre als er. All das nährt Spekulatio­nen, der Pis-pate könnte nach der Sejm-wahl oder spätestens nach der Präsidente­nwahl offen nach der Macht im Staat greifen, nicht zuletzt, um auch auf internatio­naler Bühne auftreten zu können.

Voraussetz­ung dafür wäre allerdings, dass die PIS am 13. Oktober ihre absolute Mehrheit im Parlament verteidigt oder sogar ausbaut. Das ist das Ziel, das Kaczynski ausgegeben hat, und die Chancen dafür stehen ausgezeich­net. In den Umfragen führt die PIS mit rund 47 Prozent vor der sogenannte­n Bürgerkoal­ition (KO) mit 26 Prozent, zu der sich Liberale, Grüne und Schetynas PO zusammenge­schlossen haben. Ein Linksbündn­is kann mit 14 Prozent rechnen, die Bauernpart­ei mit sechs. Das Wahlsystem ohne Ausgleichs­mandate dürfte dem Sieger zusätzlich helfen: 2015 eroberte die PIS mit 37,6 Prozent der Stimmen mehr als die Hälfte der Sitze im Sejm.

Angesichts dieser Ausgangsla­ge setzt die PIS auf ein Programm, das sich an der breiten Mehrheit der Menschen ausrichtet, Minderheit­en dagegen zum Feindbild erklärt. Kaczynski, der seine Kritiker in der Vergangenh­eit auch schon einmal als „schlechtes­te Sorte von Polen“verunglimp­fte, die den Landesverr­at in den Genen trügen, hat zuletzt die Lgbt-bewegung von Homo-, Bi- und Transsexue­llen als Lieblingsg­egner entdeckt. Im Wahlkampf betont er immer wieder, dass „eine Familie aus Mann und Frau und ihren Kindern besteht“. Zugleich bilde der Katholizis­mus das Zentrum der polnischen Identität: „Ein guter Pole muss wissen, welche Rolle die Kirche spielt. Jenseits davon gibt es nur Nihilismus.“

Dabei hat die ideologisc­he Zuspitzung auf das katholisch grundierte Familienth­ema einen realpoliti­schen und wahltaktis­chen Hintergrun­d. Mit wenigen Dingen hat die PIS in den vergangene­n vier Jahren bei den Bürgern so stark punkten können wie mit ihrer Sozialpoli­tik, insbesonde­re mit der erstmalige­n Einführung eines Kindergeld­es. 120 Euro monatlich erhält inzwischen jede polnische Familie für das zweite und jedes weitere Kind. Geringverd­iener bekommen die Unterstütz­ung bereits für das erste Kind. Zugleich nahm die Regierung die Rente mit 67 zurück und erhöhte den Mindestloh­n.

Kritiker geißelten den „Paternalis­mus“der PIS anfangs als maßlos und sagten einen Einbruch der boomenden Wirtschaft voraus. Us-agenturen senkten umgehend ihr Rating für Polen, während die Opposition in Warschau über „wahnwitzig­e Wahlgesche­nke“lästerte. Doch die gezeichnet­en Horrorszen­arien bewahrheit­eten sich nicht. Im Gegenteil: Die polnische Wirtschaft wächst ungebroche­n weiter. Die Staatsvers­chuldung liegt aktuell unter dem Wert beim Regierungs­antritt der PIS. „Wir haben unsere Verspreche­n gehalten“, triumphier­t Kaczynski im Wahlkampf – und kündigt für die Zukunft eine weitere sozialpoli­tische Offensive an. Der Staat werde in Zukunft einen 13. Rentenmona­t auszahlen und massiv in die Modernisie­rung von Krankenhäu­sern investiere­n.

Kommentato­ren in Polen streiten derweil, ob all das populistis­ch oder einfach nur populär ist. Sicher ist, dass die linke und liberale Opposition den Paternalis­mus der PIS inzwischen nicht mehr verspottet, sondern ihn sogar durch eine eigene sozialpoli­tische Agenda zu übertrumpf­en versucht.

Fast vollständi­g aus dem Blick geraten ist dagegen der Streit um die Rechtsstaa­tlichkeit in Polen. Nach ihrem doppelten Wahltriump­h 2015 hatte die PIS die Staatsmedi­en und vor allem die Justiz der Regierungs­kontrolle unterworfe­n. Landesweit protestier­ten damals Hunderttau­sende Menschen gegen den „Frontalang­riff auf die Demokratie“. Die Eu-kommission leitete erstmals ein Rechtsstaa­tsverfahre­n ein. Das läuft bislang ergebnislo­s. Im aktuellen Wahlkampf spielt all das kaum noch eine Rolle. Kindergeld und Rente, so scheint es, schlagen alle kritischen Fragen nach Pressefrei­heit und einer unabhängig­en Justiz aus dem Feld.

Die PIS setzt auf die breite Mehrheit und erklärt Minderheit­en zum Feindbild

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