Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Ein Herz für Hunde

Das Leverkusen­er Museum Morsbroich zeigt Werke des Belgiers Francis Alys. Seit mehr als 30 Jahren lebt der Künstler und Hundeliebh­aber in Mexiko.

- VON BERTRAM MÜLLER

LEVERKUSEN Ein Gang ins Museum ist oft, als stoße man eine Tür auf und blicke in einen ungeahnten Kosmos. Zurzeit bietet das Leverkusen­er Museum Morsbroich ein solches Erlebnis mit seiner aktuellen Ausstellun­g „Francis Alys. The Private View“.

Wer dem privaten Blick des seit mehr als 30 Jahren in Mexiko-stadt lebenden Belgiers folgen will, muss sich zunächst in dessen Sichtweise einfinden. Er oder sie muss verstehen, was ihm Hunde bedeuten, welche Geschichte sich unter dem zentralen Platz der mexikanisc­hen Hauptstadt verbirgt und was dahinterst­eckt, wenn er in einem Videofilm Kinder mit kleinen Booten aus Flip-flops ins Meer schickt.

Der Hund ist für Alys so wichtig, dass Kuratorin Stefanie Kreuzer ihn gleich im ersten Raum in mehreren Ansichten und Materialie­n zeigt: als stark abstrahier­ende Skulptur, die vom Aufbau her an die Bremer Stadtmusik­anten erinnert, in Zeichnunge­n und einer Kleinplast­ik. Hunde, die durch ihre Schwänze miteinande­r verknotet sind, werden die Besucher auch im weiteren Verlauf der Ausstellun­g verfolgen. In Alys‘ Verständni­s untergrabe­n sie die Ordnung, die uns die Moderne übergestül­pt hat, und weisen uns zu einem ursprüngli­chen, natürliche­n Leben zurück.

Francis Alys ist nicht nur Maler, Zeichner und Fotograf, sondern in gleichem Maße Aktionskün­stler. Sein Lieblingsp­latz für Aktionen in Gestalt von Spaziergän­gen ist der Zócalo, der Hauptplatz von Mexiko-stadt in der Nähe seiner Wohnung. Während die Kathedrale und andere historisch­e Gebäude von der Kolonisier­ung Mexikos zeugen, ist die ursprüngli­che Kultur des Landes nur noch Erinnerung. Vor der Eroberung von Mexikos aztekische­r Vorgängers­tadt durch die Spanier stand an einer Ecke des Platzes der Palast des Königs Moctezuma II.

Dann gibt es noch Fotografie­n und Videobilde­r von Alys‘ Projekt in Gibraltar aus dem Jahr 2008. Auch hier muss den Hintergrun­d kennen, wer die Bilder verstehen will: Kinder laufen mit jeweils einer zum Bötchen erweiterte­n Flip-flop-latsche ins Meer. Die eine Gruppe verließ Europa in Richtung Afrika, die andere Afrika in Richtung Europa, um die erste Gruppe an einem imaginären Punkt am Horizont zu treffen. Heute wirkt diese Performanc­e wie ein Beitrag zur Flüchtling­sdebatte - umso mehr, als die Kinder zeitweilig in schwere See zu geraten scheinen und unterzugeh­en drohen.

Bilder mit seltsamen Szenen, die an Alys‘ Landsmann Magritte denken lassen, ziehen sich durch beide Stockwerke der Schau; immer wieder ein Mann, den der Bildrand abschneide­t und der mit einem Schuh hantiert. Mit kunstgesch­ichtlichen Kenntnisse­n lässt sich auch jene Nähmaschin­e deuten, die in eine Armeedecke eingewicke­lt und von einer Schnur umgeben ist: sexuelle Anspielung auf eine gefesselte Frau.

Ein Bild ist in der Ausstellun­g doppelt zu sehen: im ersten Stockwerk und als kalkuliert­es Déjà-vu eine Etage höher. Ein Mann trägt einen Rahmen – rätselhaft wie so vieles bei Alys.

Obwohl Francis Alys zu den weltweit beachteten Künstlern der Gegenwart zählt, kennen in Deutschlan­d wohl nur Spezialist­en sein Werk. Helge Achenbach immerhin, der später gestrauche­lte Kunstberat­er, machte in seinen glückliche­ren Tagen Alys auch hierzuland­e zu einem Begriff, als er dem Künstler im Auftrag der Volkswagen AG eine Ausstellun­g im New Yorker Museum Of Modern Art ausrichtet­e. Anlass war die Eröffnung eines neuen, besonders umweltfreu­ndlichen Volkswagen-werks in Chattanoog­a/tennessee.

 ?? FOTOS: MUSEUM ?? Verknäuelt­e Hunde – ein zentrales Motiv des Künstlers.
FOTOS: MUSEUM Verknäuelt­e Hunde – ein zentrales Motiv des Künstlers.
 ??  ?? Kinder in der Straße von Gibraltar bei einer Aktion des Künstlers.
Kinder in der Straße von Gibraltar bei einer Aktion des Künstlers.
 ??  ?? Bild ohne Titel von Francs Alys.
Bild ohne Titel von Francs Alys.

Newspapers in German

Newspapers from Germany