Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Kindheit mit schizophre­ner Mutter

Das Düsseldorf­er Schauspiel­haus bringt Helene Hegemanns Roman „Bungalow“auf die Bühne – als drastische Familienge­schichte.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Heute ist einer der ganz schlechten Tage. Die Mutter hat viel getrunken. Nun sitzt sie in der Küche, frisst ein vergammelt­es Hühnchen, das sie samt Folie in rohem Ei gewendet hat, stopft auch die Verpackung in den Mund und klaubt die letzten Silben zusammen, um ihre Tochter zu beschimpfe­n. Charlie hat unzählige solcher Episoden mit ihrer schizophre­nen, süchtigen Mutter hinter sich. Doch diesmal hat sie ihren einzigen Schulfreun­d im Schlepptau, und nun fliegt auf, was sie durch unzählige Tricks zu verheimlic­hen versucht: Ihre Mutter ist unzurechnu­ngsfähig und das Leben mit ihr die Hölle.

Während Lea Ruckpaul als Charlie mit einem Blick voller Angst und Schmerz von dieser Szene berichtet, steht Judith Rosmair als ihre Mutter daneben, eng eingewicke­lt in Frischhalt­efolie, die ihr Gesicht zur Fratze verzieht. Sie kämpft gegen das Plastik, ringt um Luft, während ihre Tochter um Fassung bemüht den täglichen Wahnsinn zu Protokoll gibt. Die Zuschauer sind Adressaten der Lebenserzä­hlung einer Frau, die sich an ihre desolate Kindheit und Jugend erinnert. Sie spricht aus der Zukunft zu den Menschen im Theatersaa­l, inzwischen ist Charlie erwachsen, hat selbst Kinder. Doch es ist nicht alles gut geworden: Ein Krieg ist ausgebroch­en, die Gewalt im Innern der Gesellscha­ft ist auch äußerlich eskaliert.

In ihrem dritten Roman „Bungalow“erzählt die Berliner Autorin Helene Hegemann vom Aufwachsen eines Mädchens, das den aggressive­n Schüben der schizophre­nen Mutter ausgeliefe­rt ist. Die beiden leben in einem Hochhaus mit Sozialwohn­ungen, prekäres Umfeld, doch blicken sie auf eine Siedlung mit edel-spießigen Bungalows, in denen die Reichen wohnen. Die unerreichb­are soziale Klasse ist nur einen Steinwurf entfernt. Als in einen der Bungalows ein lässiges Schauspiel­erpaar einzieht, observiert Charlie wie besessen deren Alltag. Sie ist verliebt in die beiden – in das privilegie­rte Leben, das sie führen.

Hegemanns Roman spielt viele Themen an: psychische Erkrankung, moderne Verwahrlos­ung, soziale Spannungen, Umweltkata­strophe, Krieg. Manches wird nur angedeutet, zur Steigerung der apokalypti­schen Grundstimm­ung benutzt, doch gerade die Szenen zwischen Tochter und Mutter und die sarkastisc­he Selbstrefl­exion eines altklugen Teenagers in hilfloser Lage sind stark.

Simon Solberg hat den Stoff jetzt für das Düsseldorf­er Schauspiel­haus erstmals auf die Bühne gebracht und konzentrie­rt sich denn auch auf die Schilderun­g der dysfunktio­nalen Mutter-tochter-beziehung in all ihren drastische­n, erschrecke­nden, manchmal auch komischen Details. Mit der Uraufführu­ng eröffnet das Düsseldorf­er Schauspiel­haus in seinem renovierte­n Stammhaus auch seine Kammerspie­lstätte, wenngleich das Kleine Haus noch ganz Baustelle ist. Nur der Zuschauerr­aum wurde für die Öffentlich­keit zurückerob­ert, am Drumherum wird noch gearbeitet.

Solberg entwickelt treffende Bilder, um den erzählten Horror darzustell­en. Die Mutter wird dabei immer mehr zum ramponiert­en Objekt, am Ende hat sie viel Farbe im Gesicht und steht da wie eine leidende Madonna. Im Bühnenbild hängen bedrohlich­e Gemälde, wie sie Menschen mit Psychosen malen. Manchmal stößt die Mutter ihren Kopf durch ein Bild, taumelt im kantigen Rahmen über die Bühne. Die gesamte Inszenieru­ng ist in Schwarz-weiß gehalten. Es geht ja um Erinnerung­en, noch dazu um schwer erträglich­e. Lea Ruckpaul ist eine ideale Besetzung für die Rolle der Charlie, weil sie Bedrängnis und Leid ihrer Figur nicht ausschlach­tet, sondern ständig dagegen anzukämpfe­n scheint. Das macht ihre Darstellun­g noch verzweifel­ter. Sie will ihre Mutter nicht schlecht machen, sie liebt sie trotz allem, aber der Alltag mit ihr ist so unerträgli­ch, dass sie sich dem Publikum offenbaren muss. Ständig ringt sie mit etwas, mit Stoffbahne­n, die ins Bühnenbild wehen, mit Brettern, die sie nach einem apokalypti­schen 16-Tage-regen auf der Bühne auslegt. Dann steht sie wieder ganz allein im Zentrum der Bühne mit all ihrer Verzweiflu­ng, ihren Aggression­en, spricht gehetzt in ein Mikro, stark und verletzlic­h zugleich.

Ihr einziger Gefährte ist Iskender, den Jonas Friedrich Leonhardi als naiven Nerd zeichnet. Wie sehr auch er unter der „Scheißangs­t“leidet, die im Hegemann-kosmos alle bedrängt, zeigt er erst später in einem furiosen Solo.

Nur Minna Wündrich und Sebastian Tessenow als das coole Schauspiel­erpaar bleiben den Verhältnis­sen enthoben. Sie werden wie durch eine falsche Spiegelwan­d über Video zugeschalt­et, liefern sich hübsch zynische Dialoge über Schauspiel­erei und Verstellun­g. Da bekommt die Inszenieru­ng für Momente ein wenig Leichtigke­it.

Wie so oft bei Romanadapt­ionen ringt auch Solberg trotz vieler szenischer Ideen mit der Textmenge, zumal der Roman wie ein Gedankenst­rom hingeworfe­n ist, also wenig Dialoge bereithält. Wenn dann Charlies abwesender Vater an der Bühnenseit­e Wandbilder mit kitschiger Familiensi­lhouette klebt, wirkt das ein wenig verlegen. Auch kann die Inszenieru­ng Schwächen des Romans nicht wettmachen. Die „Liebesbezi­ehung“des Mädchens zu den coolen Nachbarn etwa bliebt unplausibl­e Pose, die apokalypti­schen Zeichen in der Umwelt düstere Staffage. Doch diese Elemente erzählt Solberg nur nebenher, konzentrie­rt sich auf die Stärken eines Textes, der mit großer Intensität aus dem Inneren einer persönlich­en Hölle erzählt.

Regisseur Solberg entwickelt treffende Bilder, um den erzählten Horror darzustell­en

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FOTO: THOMAS RABSCH Lea Ruckpaul in der Hauptrolle als Charlie in der Uraufführu­ng von Helene Hegemanns „Bungalow“am Düsseldorf­er Schauspiel­haus.

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