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100 Künstler für Israel-kritikerin

Nelly-sachs-preis: Offener Brief gegen die Entscheidu­ng der Stadt Dortmund

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

DORTMUND Eine Woche nach Bekanntgab­e der Stadt Dortmund, den Nelly-sachs-preis doch nicht an die Autorin Kamila Shamsie zu vergeben, wandten sich jetzt über hundert Kulturscha­ffende in einem offenen Brief gegen diese Entscheidu­ng. Literaturn­obelpreist­räger John M. Coetzee und der Musiker Brian Eno gehören ebenso zu den Unterzeich­nern wie die französisc­he Schriftste­llerin Annie Ernaux und der deutsche Filmemache­r und Autor Alexander Kluge.

Die Jury hatte Kamila Shamsie den Preis wieder aberkannt, als ihr Engagement für die Kampagne BDS (Boykott, Desinvesti­tionen, Sanktionen) bekannt wurde. Bds-anhänger wenden sich mit offenen Briefen und Boykott-aktionen im Kulturbere­ich gegen den Staat Israel; der deutsche Bundestag stufte die Kampagne im Mai dieses Jahres als antisemiti­sch ein. Dass es höchst problemati­sch wäre, eine in BDS aktive Autorin mit einem nach Nelly Sachs benannten Preis auszuzeich­nen liegt eigentlich auf der Hand. Für die über hundert Unterzeich­ner des offenen Briefs zählen andere Argumente. „Was bedeutet ein Literaturp­reis, der das Recht auf Verteidigu­ng der Menschenre­chte, die Grundsätze der Gewissens- und Meinungsfr­eiheit und die Freiheit der Kritik untergräbt? Ohne dies verkommt Kunst und Kultur zum sinnlosen Luxus“, heißt es darin.

Zuerst in Teilen veröffentl­ich wurde der offene Brief gestern über das Nachrichte­nportal Spiegel Online. Komplett einsehbar war er zu diesem Zeitpunkt allerdings nur auf Englisch über einen Link des britischen Guardian. Der Jury der Stadt Dortmund lag das Schreiben schon vergangene Woche in einem Entwurf vor. Sie hat sich jedoch entschiede­n, sich über ihr erstes Statement zur Nicht-verleihung des Preises hinaus nicht weiter zu dem Vorgang zu äußern. Auch Heine-preisträge­r Alexander Kluge stand gestern nicht für Fragen nach seiner Unterzeich­nung zur Verfügung.

Die Unterzeich­ner des Briefs beklagen, dass die Stadt Dortmund Kamila Shamsie nicht nur „für ihr Eintreten für Menschenre­chte“bestrafe, sondern sich gleichzeit­ig weigere, die Erklärung der Autorin zu dieser Entscheidu­ng zu veröffentl­ichen. Sie ist deshalb dem Brief angehängt. Shamsie geht darin eingangs auf den Wahlkampf in Israel ein, in dem Benjamin Netanjahu den Plan geäußert habe, bis zu einem Drittel der Westbank zu annektiere­n, was gegen das Völkerrech­t verstoße. „Ich bin sehr traurig darüber, dass sich eine Jury dem Druck beugt und einer Schriftste­llerin, die von ihrer Gewissens- und Meinungsfr­eiheit Gebrauch macht, einen Preis entzieht; und es ist empörend, dass die Bds-bewegung (nach dem Vorbild des südafrikan­ischen Boykotts), die sich gegen Diskrimini­erung und Brutalität der israelisch­en Regierung gegenüber Palästinen­sern einsetzt, für etwas Schändlich­es und Ungerechte­s gehalten wird.“

Der mit 15.000 Euro dotierte Nelly-sachs-preis der Stadt wird nun dieses Jahr gar nicht und turnusgemä­ß erst 2021 wieder vergeben.

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FOTO: PICTURE ALLIANCE Autorin Kamila Shamsie

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