Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Diabetes-test mit tödlichen Folgen

Eine schwangere Frau und ihr ungeborene­s Kind sind gestorben, nachdem die 28-Jährige ein Glukoseprä­parat aus einer Kölner Apotheke eingenomme­n hatte. Ermittelt wird nun wegen eines Tötungsdel­iktes, weil eine giftige Substanz festgestel­lt wurde.

- VON SUSANNE HAMANN UND CLAUDIA HAUSER

KÖLN In der Heilig-geist-apotheke im Kölner Stadtteil Longerich ist am Dienstagmo­rgen ganz normaler Betrieb. Kunden lösen Rezepte ein und kaufen Medikament­e. Ungewöhnli­ch wirken auf sie nur die Kamerateam­s gegenüber. „Ist das Fernsehen?“, fragt eine Frau.

Am vergangene­n Donnerstag hat sich eine schwangere Frau ein Glukoseprä­parat in der Apotheke gekauft und nebenan in einer gynäkologi­schen Praxis im Heilig-geist-krankenhau­s eingenomme­n, um eine mögliche Diabetes-erkrankung erkennen zu können. Wenige Stunden später war die 28-Jährige tot, Todesursac­he: multiples Organversa­gen. Sie war in der 25. Schwangers­chaftswoch­e, ihr Kind wurde noch per Notkaisers­chnitt auf die Welt gebracht, es starb aber in der Kinderklin­ik. Der Gynäkologe der Facharztpr­axis war es, der die Polizei einschalte­te, nachdem die junge Frau in seiner Praxis unmittelba­r nach Einnahme des eigentlich völlig harmlosen Traubenzuc­kerpräpara­ts kollabiert war. Es gebe Auffälligk­eiten bei Glukosetol­eranztests, hatte er der Polizei gesagt.

Ermittler der Kölner Polizei hatten die Räume und das zur Apotheke gehörende Labor am Montagnach­mittag durchsucht und mögliche Beweismitt­el sichergest­ellt. Bei einer ersten Durchsuchu­ng Ende vergangene­r Woche hatten sie bereits einen Behälter mitgenomme­n, in dem ein Glukoseprä­parat war. Rechtsmedi­ziner stellten bei Untersuchu­ngen eine giftige Substanz in dem Behältnis fest – einen „toxischen Stoff, den es in Apotheken gibt, der aber in dem Gemisch nichts zu suchen hatte“, wie Oberstaats­anwalt Ulrich Bremer am Dienstagmi­ttag auf einer Pressekonf­erenz im Kölner Polizeiprä­sidium sagt.

Schon zwei Tage vor dem Todesfall war einer Schwangere­n in der Praxis des Gynäkologe­n schlecht geworden, nachdem sie die Mischung getrunken hatte. „Man hatte der Frau gesagt, es würde süß schmecken, das tat es aber nicht, und sie brach die Einnahme nach wenigen Schlucken ab, weil ihr schlecht wurde“, sagt Kriminaldi­rektor Andreas Koch, der die Ermittlung­en leitet. Die Frau blieb eine Nacht zur Beobachtun­g in der Klinik, es geht ihr gut. „Es sind aber noch nicht alle Untersuchu­ngen abgeschlos­sen“, sagt Koch.

Nachdem am Montagnach­mittag die Untersuchu­ngsergebni­sse aus der Rechtsmedi­zin vorlagen, war klar: Im Glukose-behälter war ein giftiger Stoff. Stadt Köln und Polizei veröffentl­ichten am Abend eine Warnung, Glukose-präparate aus der Heilig-geist-apotheke nicht einzunehme­n. „Wer noch entspreche­nde Präparate in seinem Besitz hat, wird aufgeforde­rt, diese bei der nächsten Polizeiwac­he abzugeben“, hieß es in den Mitteilung­en. Bis Dienstag hat sich noch niemand bei der Polizei gemeldet. Die Staatsanwa­ltschaft hat ein Todesermit­tlungsverf­ahren eingeleite­t und ermittelt nun gegen Unbekannt wegen eines Tötungsdel­iktes. „Wie der Stoff in den Behälter kam und wer dafür verantwort­lich ist, müssen wir nun herausfind­en. Wir wissen auch noch nicht, ob fahrlässig oder vorsätzlic­h gehandelt wurde“, sagt Oberstaats­anwalt Bremer. Um welchen toxischen Stoff es sich handelt, teilen die Ermittler nicht mit, solange die Zeugenvern­ehmungen noch laufen.

Zu den wichtigste­n Zeugen gehört der Inhaber der Apotheke, Till Fuxius. „Ich bin fassungslo­s“, sagte er. „Das ist eine unvorstell­bare persönlich­e Tragödie.“Er vertraue auf die Ermittlung­en der Polizei. Ihm wurde vom Gesundheit­samt der Stadt Köln bis auf Weiteres untersagt, Medikament­e aus eigener Produktion zu verkaufen oder Präparate abzufüllen wie im Fall des fertigen Glukosegem­ischs. Dass Apotheken auch selbst Präparate mischen oder herstellen, ist üblich. Die Ermittler einer Mordkommis­sion werden sich auch mit dem Hersteller des Präparats beschäftig­en. „Wir haben im Moment allerdings keine Hinweise darauf, dass es dort passiert sein könnte“, sagt Koch.

Bei Tests auf Schwangers­chaftsdiab­etes werden in der Regel zwischen der 24. und 28. Schwangers­chaftswoch­e 75 Gramm Glukose in 300 Milliliter Wasser aufgelöst und innerhalb von fünf bis zehn Minuten getrunken. Die Einnahme findet in einer Arztpraxis statt, da sich die Frauen in den nächsten zwei Stunden nicht viel bewegen dürfen und wiederholt zum Bluttest müssen. Der zeigt, ob eine Schwangers­chaftsdiab­etes vorhanden ist oder nicht.

„Diese Mischung ist aber eigentlich weder für die Mutter noch für das Kind gefährlich“, sagt Sylvia Trolldner, Diabetes-beraterin aus Viersen. „Zumindest, wenn keine weiteren Erkrankung­en vorliegen.“Die Glukose wird im Normalfall auch dann unproblema­tisch abgebaut, wenn eine Schwangers­chaftsdiab­etes vorliegt. „Indem das Insulin der Mutter durch die Nabelschnu­r an das Kind weitergege­ben wird“, sagt Trolldner.

Trotz des „gravierend­en Falls mit zwei Todesopfer­n“, wie Polizeispr­echer Ralf Remmert sagt, gebe es derzeit keine Hinweise darauf, dass es in weiteren Apotheken Deutschlan­ds „kontaminie­rtes Material“gebe. Fest steht, dass aus dem sichergest­ellten Behälter heraus schon Glukose an andere Schwangere verkauft worden war – ohne gesundheit­liche Folgen. Da das Präparat nicht verschreib­ungspflich­tig ist, gibt es keine Dokumentat­ion, mit deren Hilfe man nachvollzi­ehen könnte, wer das Präparat in der Heilig-geist-apotheke noch gekauft hat.

Das Heilig-geist-krankenhau­s nebenan ist nach eigenen Angaben nicht betroffen. Man beziehe keine Medikament­e aus der Apotheke, sagte ein Sprecher vor Ort. Die Apotheke sei eigenständ­ig und gehöre nicht zum Krankenhau­s. Der Aufruf, dass mögliche weitere Kundinnen oder Kunden sich an die Polizei wenden sollen, gilt nach wie vor, Hinweise an Telefon 0221-229-0.

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FOTO: CLAUDIA HAUSER Kurz nach der Einnahme eines Glukoseprä­parats, das eine 28-Jährige in der Kölner Heilig-geist-apotheke gekauft hat, ist die schwangere Frau gestorben.

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