Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Diabetes-test mit tödlichen Folgen
Eine schwangere Frau und ihr ungeborenes Kind sind gestorben, nachdem die 28-Jährige ein Glukosepräparat aus einer Kölner Apotheke eingenommen hatte. Ermittelt wird nun wegen eines Tötungsdeliktes, weil eine giftige Substanz festgestellt wurde.
KÖLN In der Heilig-geist-apotheke im Kölner Stadtteil Longerich ist am Dienstagmorgen ganz normaler Betrieb. Kunden lösen Rezepte ein und kaufen Medikamente. Ungewöhnlich wirken auf sie nur die Kamerateams gegenüber. „Ist das Fernsehen?“, fragt eine Frau.
Am vergangenen Donnerstag hat sich eine schwangere Frau ein Glukosepräparat in der Apotheke gekauft und nebenan in einer gynäkologischen Praxis im Heilig-geist-krankenhaus eingenommen, um eine mögliche Diabetes-erkrankung erkennen zu können. Wenige Stunden später war die 28-Jährige tot, Todesursache: multiples Organversagen. Sie war in der 25. Schwangerschaftswoche, ihr Kind wurde noch per Notkaiserschnitt auf die Welt gebracht, es starb aber in der Kinderklinik. Der Gynäkologe der Facharztpraxis war es, der die Polizei einschaltete, nachdem die junge Frau in seiner Praxis unmittelbar nach Einnahme des eigentlich völlig harmlosen Traubenzuckerpräparats kollabiert war. Es gebe Auffälligkeiten bei Glukosetoleranztests, hatte er der Polizei gesagt.
Ermittler der Kölner Polizei hatten die Räume und das zur Apotheke gehörende Labor am Montagnachmittag durchsucht und mögliche Beweismittel sichergestellt. Bei einer ersten Durchsuchung Ende vergangener Woche hatten sie bereits einen Behälter mitgenommen, in dem ein Glukosepräparat war. Rechtsmediziner stellten bei Untersuchungen eine giftige Substanz in dem Behältnis fest – einen „toxischen Stoff, den es in Apotheken gibt, der aber in dem Gemisch nichts zu suchen hatte“, wie Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer am Dienstagmittag auf einer Pressekonferenz im Kölner Polizeipräsidium sagt.
Schon zwei Tage vor dem Todesfall war einer Schwangeren in der Praxis des Gynäkologen schlecht geworden, nachdem sie die Mischung getrunken hatte. „Man hatte der Frau gesagt, es würde süß schmecken, das tat es aber nicht, und sie brach die Einnahme nach wenigen Schlucken ab, weil ihr schlecht wurde“, sagt Kriminaldirektor Andreas Koch, der die Ermittlungen leitet. Die Frau blieb eine Nacht zur Beobachtung in der Klinik, es geht ihr gut. „Es sind aber noch nicht alle Untersuchungen abgeschlossen“, sagt Koch.
Nachdem am Montagnachmittag die Untersuchungsergebnisse aus der Rechtsmedizin vorlagen, war klar: Im Glukose-behälter war ein giftiger Stoff. Stadt Köln und Polizei veröffentlichten am Abend eine Warnung, Glukose-präparate aus der Heilig-geist-apotheke nicht einzunehmen. „Wer noch entsprechende Präparate in seinem Besitz hat, wird aufgefordert, diese bei der nächsten Polizeiwache abzugeben“, hieß es in den Mitteilungen. Bis Dienstag hat sich noch niemand bei der Polizei gemeldet. Die Staatsanwaltschaft hat ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet und ermittelt nun gegen Unbekannt wegen eines Tötungsdeliktes. „Wie der Stoff in den Behälter kam und wer dafür verantwortlich ist, müssen wir nun herausfinden. Wir wissen auch noch nicht, ob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt wurde“, sagt Oberstaatsanwalt Bremer. Um welchen toxischen Stoff es sich handelt, teilen die Ermittler nicht mit, solange die Zeugenvernehmungen noch laufen.
Zu den wichtigsten Zeugen gehört der Inhaber der Apotheke, Till Fuxius. „Ich bin fassungslos“, sagte er. „Das ist eine unvorstellbare persönliche Tragödie.“Er vertraue auf die Ermittlungen der Polizei. Ihm wurde vom Gesundheitsamt der Stadt Köln bis auf Weiteres untersagt, Medikamente aus eigener Produktion zu verkaufen oder Präparate abzufüllen wie im Fall des fertigen Glukosegemischs. Dass Apotheken auch selbst Präparate mischen oder herstellen, ist üblich. Die Ermittler einer Mordkommission werden sich auch mit dem Hersteller des Präparats beschäftigen. „Wir haben im Moment allerdings keine Hinweise darauf, dass es dort passiert sein könnte“, sagt Koch.
Bei Tests auf Schwangerschaftsdiabetes werden in der Regel zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche 75 Gramm Glukose in 300 Milliliter Wasser aufgelöst und innerhalb von fünf bis zehn Minuten getrunken. Die Einnahme findet in einer Arztpraxis statt, da sich die Frauen in den nächsten zwei Stunden nicht viel bewegen dürfen und wiederholt zum Bluttest müssen. Der zeigt, ob eine Schwangerschaftsdiabetes vorhanden ist oder nicht.
„Diese Mischung ist aber eigentlich weder für die Mutter noch für das Kind gefährlich“, sagt Sylvia Trolldner, Diabetes-beraterin aus Viersen. „Zumindest, wenn keine weiteren Erkrankungen vorliegen.“Die Glukose wird im Normalfall auch dann unproblematisch abgebaut, wenn eine Schwangerschaftsdiabetes vorliegt. „Indem das Insulin der Mutter durch die Nabelschnur an das Kind weitergegeben wird“, sagt Trolldner.
Trotz des „gravierenden Falls mit zwei Todesopfern“, wie Polizeisprecher Ralf Remmert sagt, gebe es derzeit keine Hinweise darauf, dass es in weiteren Apotheken Deutschlands „kontaminiertes Material“gebe. Fest steht, dass aus dem sichergestellten Behälter heraus schon Glukose an andere Schwangere verkauft worden war – ohne gesundheitliche Folgen. Da das Präparat nicht verschreibungspflichtig ist, gibt es keine Dokumentation, mit deren Hilfe man nachvollziehen könnte, wer das Präparat in der Heilig-geist-apotheke noch gekauft hat.
Das Heilig-geist-krankenhaus nebenan ist nach eigenen Angaben nicht betroffen. Man beziehe keine Medikamente aus der Apotheke, sagte ein Sprecher vor Ort. Die Apotheke sei eigenständig und gehöre nicht zum Krankenhaus. Der Aufruf, dass mögliche weitere Kundinnen oder Kunden sich an die Polizei wenden sollen, gilt nach wie vor, Hinweise an Telefon 0221-229-0.