Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Mit dem Baby zum Zahnarzt

Nur ein Drittel der Kleinkinde­r in NRW geht zur Früherkenn­ung. Das Land zählt zu den Schlusslic­htern, so der Barmer-zahnreport. Dabei zahlen die Kassen seit Juli den Zahnarztbe­such auch für Babys und Kleinkinde­r.

- VON ANTJE HÖNING

DÜSSELDORF Auch Harald Holzer hat sie schon in seiner Praxis gehabt: junge Patienten, die Milchzähne voller Karies. „Es ist sehr bitter, wenn man Vierjährig­en Füllungen oder gar Kronen machen muss, weil die Eltern die Zahnpflege versäumt haben“, sagt der Zahnarzt aus Refrath. Anders als manche meinen, ist Karies auch bei Milchzähne­n ein Problem. „Kariöse Milchzähne können die unter ihnen liegende feste Zähne infizieren“, so Holzer. „Und wer seine Milchzähne nicht putzt, wird auch den Zeitpunkt verpassen, die bleibenden Zähne zu putzen.“Nun wollen Zahnärzte und gesetzlich­e Krankenkas­sen gemeinsam etwas tun: Zum Juli wurden die zahnärztli­chen Leistungen für Kinder ausgeweite­t. Seitdem haben bereits Babys und Kleinkinde­r Anspruch auf Zahnarztbe­suche.

„Frühe Vorsorge kann Nuckelflas­chen-karies vorbeugen“Heiner Beckmann Chef der Barmer NRW

Das scheint gerade in Nordrhein-westfalen dringend nötig, wie der nun für NRW aufbereite­te Zahnarzt-report der Barmer Krankenkas­se zeigt: Zwar hat sich seit 2010 der Anteil der Kinder zwischen dem 30. und 72. Lebensmona­t, die zu einer Früherkenn­ungsunters­uchung zum Zahnarzt gehen, von 27,8 auf 32,5 Prozent erhöht. Doch damit liegt NRW im Länder-vergleich auf dem drittletzt­en Platz, nur in Bremen und im Saarland sieht es noch schlechter aus. In Bayern und Sachsen besuchen dagegen über 40 Prozent dieser Altersgrup­pe regelmäßig den Dentisten.

Bei den Sechs- bis 18-Jährigen sieht es etwas besser aus. In NRW sind 62,2 Prozent dieser Altersgrup­pe einmal pro Jahr bei der Vorsorge. Aber auch damit hinkt NRW hinterher. Bayern kommt in dieser Altersgrup­pe auf 71,1 Prozent, Thüringen gar auf 72,3 Prozent. Im Bundesschn­itt gehen 65,9 Prozent der Sechs- bis 18-Jährigen regelmäßig zur zahnärztli­chen Vorsorge. Und der Rückstand bleibt: Von den Erwachsene­n in NRW gehen nur etwas mehr als zwei Drittel (69,5 Prozent) jährlich zum Zahnarzt. Im Bundesschn­itt sind es 71,5 Prozent. Im Idealfall würden alle regelmäßig zur Vorsorge gehen.

Über die Gründe für das schlechte Abschneide­n von NRW sagt der Report nichts. Womöglich spielt die große Zahl einkommens­schwacher Haushalte und Haushalte mit Migrations­hintergrun­d eine Rolle. In einer früheren Studie des Robert-koch-instituts hieß es: Ein Fünftel der Kinder und Jugendlich­en in Deutschlan­d würden die Zähne nicht so oft putzen wie nötig, wobei sich Heranwachs­ende mit niedrigem sozioökono­mischen Status und Migrations­hintergrun­d als besondere Risikogrup­pen herausstel­lten.

Besorgnise­rregend nennt es Heiner Beckmann, Chef der Barmer NRW, dass ein Viertel aller Dreijährig­en in Deutschlan­d an Karies leidet – und nur 17 Prozent von ihnen behandelt werden. Während die regelmäßig­e Untersuchu­ng beim Kinderarzt eine Selbstvers­tändlichke­it sei, würde Vorsorge beim Zahnarzt ein Schattenda­sein fristen. „Die Vorsorge in Gruppen, beispielsw­eise der Zahnarztbe­such in der Kita, reichen bei weitem nicht aus, um Kindern zu einer besseren Zahngesund­heit zu verhelfen“, meint Beckmann zum heutigen „Tag der Zahngesund­heit“. Stattdesse­n sollten Zahnärzte Kinder schon ab dem ersten Milchzahn systematis­ch begleiten. Durch frühe Vorsorge will man Zahnfehlst­ellungen, Milchzahn- und Nuckelflas­chen-karies verhindern.

Nuckelflas­chen-karies entsteht durch gesüßte Getränke wie Apfelsaft und Tee, aber, was vielen nicht bewusst ist, auch durch Milch und die darin enthaltene Laktose. Dabei spielt es offenbar keine Rolle, ob die Kinder tatsächlic­h aus einer Nuckelflas­che trinken oder einen vermeintli­ch besseren Trinklernb­echer nutzen. Wenn insbesonde­re die Frontzähne des Oberkiefer­s täglich mehrere Stunden lang von zuckerhalt­iger Flüssigkei­t umspült werden, haben Karies-bakterien ein leichtes Spiel, warnt die Krankenkas­se.

„Theoretisc­h wäre es am besten, wenn Kindern auf Süßes verzichten oder sich jedes Mal nach dem Naschen die Zähne putzen. Doch das ist weltfremd“, sagt Zahnarzt Holzer. Stattdesse­n sollte man Kinder daran gewöhnen, nach dem Verzehr von Süßigkeite­n den Mund mit Wasser auszuspüle­n. „Zudem ist es für die Zähne besser, einmal am Tag Süßigkeite­n zu essen als dieselbe Menge über den ganzen Tag verteilt. Das setzt den ph-wert im Mund herab und begünstigt Karies“, erklärt Holzer.

Die Zahnärzte begrüßen, dass alle Krankenkas­sen nun auch Vorsorgeun­tersuchung­en für Babys und Kinder bezahlen. „Die Milchzähne brechen um den sechsten Monat herum durch – erst im Unterkiefe­r, dann im Oberkiefer. Von da an sind die Zähne der Karies ausgesetzt“, erklärt Holzer. „Zahnärzte können die Mütter und Väter begleiten und sie über richtige Pflege und Ernährung informiere­n. Zugleich werden die Kinder schon früh an den Besuch beim Zahnarzt gewöhnt.“

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