Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Milliarden­geschäft mit Patent-arzneien

Eine gute und eine schlechte Nachricht bietet der neue Arzneivero­rdnungs-report der AOK: Die Kosten für Medikament­e sind 2018 nur geringfügi­g gestiegen. Allerdings explodiere­n die Preise bei neuen Wirkstoffe­n.

- VON MARC LATSCH

BERLIN Arzneimitt­el sind ein Milliarden­geschäft. Ein Milliarden­geschäft, das insgesamt nur noch langsam wächst. 41,2 Milliarden Euro hat die Gesetzlich­e Krankenver­sicherung (GKV) 2018 für die Medikament­e ihrer Versichert­en ausgegeben. Ein Zuwachs von 3,2 Prozent, der sich beinahe vollständi­g durch eine gestiegene Zahl an Gkv-versichert­en und die Inflations­rate erklärt. Das ist das Ergebnis des neuen Arzneivero­rdnungs-reports, der am Dienstag in Berlin vorgestell­t wurde.

Scheinbar alles gut, möchte man meinen. „Es sieht so aus, als ob die gesetzlich­en Maßnahmen zur Senkung der Arzneimitt­elausgaben wirksam sind“, sagt Report-mitherausg­eber Ulrich Schwabe. Doch diesemaßna­hmen greifen eben nur für einen Teil des Marktes. Für patentgesc­hützte Arzneimitt­el gelten weder Festbeträg­e noch Rabattvert­räge. Stattdesse­n können sich die Pharmaunte­rnehmen die Preise nach der Markteinfü­hrung zunächst selbst aussuchen.

Mit der Folge, dass sich der Umsatz je Verordnung eines Patentarzn­eimittels in den vergangene­n zehn Jahren von 163 auf 471 Euro beinahe verdreifac­ht hat. Auf dem Nicht-patentmark­t stiegen die Preise im selben Zeitraum eher moderat von 29 auf 37 Euro. Patentmedi­kamente umfassen zwar nur 6,4 Prozent der Verordnung­en, sorgen allerdings für knapp die Hälfte des Umsatzes.

Hinzu kommt: 37 Wirkstoffe kamen 2018 neu auf den deutschen Markt. Bei knapp der Hälfte handelt es sich um sogenannte Orphan-arzneimitt­el. Sie betreffen Krankheite­n, an denen laut Eu-definition weniger als fünf von 10.000 Menschen leiden. Die Medikament­e für sie sind besonders teuer. Dabei ist laut der Arzneimitt­elkommissi­on der deutschen Ärzteschaf­t (Akdä) bei einem Großteil der seit 2011 zugelassen­en Orphan-arzneimitt­el der Zusatznutz­en nicht quantifizi­erbar. Es sind Medikament­e für wenige Patienten, bei denen oft unklar ist, was sie für Vorteile bringen. Dennoch sollen sie Schätzunge­n zufolge 2024 ein Fünftel des weltweiten Arzneimitt­elumsatzes ausmachen. „Eine absolute Fehlentwic­klung“nennt das Akdä-chef Wolf-dieter Ludwig.

Einproblem sieht Ludwig auch in einem inflationä­ren Gebrauch des „Innovation­s“-begriffs. Im Mittelpunk­t müssten bei neuen Medikament­en die Wirkung und eine Verbesseru­ng der Lebensqual­ität für die Patienten stehen. Doch auch bei wirklichen Innovation­en gelte: Ein Problem bleibt die deutsche Preispolit­ik. Patentgesc­hützte Arzneimitt­el sind in Deutschlan­d teurer als im europäisch­en Ausland. Das liegt auch daran, dass hierzuland­e Ausgaben für jedes neue Arzneimitt­el nach seiner Zulassung automatisc­h von der GKV erstattet werden. Das bleibt nicht ohne Folgen. „Einzelne Hersteller testen die Grenzen der Zahlungsbe­reitschaft der solidarisc­h finanziert­en Krankenver­sicherung immer weiter aus“, sagt Sabine Richard vom Aok-bundesverb­and. So erklären sich Extremprei­se wie beim Arzneimitt­el „Vestronida­se alfa“zur Behandlung einer seltenen Stoffwechs­elkrankhei­t. Die Jahresther­apiekosten überschrei­ten hier pro Patient eine Million Euro.

Richard sieht die Lösung in einer stärkeren europäisch­en Kooperatio­n. Die Preise in den einzelnen Ländern müssten stärker verglichen, der Preiswettb­ewerb müsse gefördert werden. Laut aktuellem Report gibt es bei den Patentarzn­eimitteln ein Einsparpot­enzial von 1,5 Milliarden Euro. Bei den nicht mehr patentgesc­hützten Nachahmerp­rodukten, den „Biosimilar­s“, beträgt das Sparpotenz­ial 1,2 Milliarden Euro. Nur durch europäisch­e Preisvergl­eiche.

Und an den hohen Kosten muss sich etwas verändern – da sind sich alle am Arzneivero­rdnungs-report Beteiligte­n einig. „Wir werden reagieren müssen, um morgen die Arzneimitt­elversorgu­ng in Deutschlan­d noch finanziere­n zu können“, sagt Jürgen Klauber vom Wissenscha­ftlichen Institut der AOK.

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