Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Strahlemann des Jahres
Jürgen Klopps Wahl zum Welttrainer des Jahres verdeutlicht auch: Außer ihm hat der deutsche Fußball derzeit an individueller Weltklasse wenig zu bieten. Die Kombination aus sportlicher Qualität und vermarktbarer Aura ist hierzulande rar.
MAILAND Wie er so da stand auf der Bühne in der Mailänder Scala, die Trophäe in der Hand und im Gesicht das markante Lächeln, bei dem nur die hintersten Backenzähne im Schatten der Mundhöhle verbleiben, da hätte wohl jeder dem Welt-zahnarzt-verband dazu gratuliert, Jürgen Klopp zum Strahlemann des Jahres gekürt zu haben. Doch es ging nicht um schneeweiße Zähne, es war ja der Weltfußball-verband Fifa, der den 52-Jährigen soeben geehrt hatte. Zum Welttrainer des Jahres. Ihn, den Deutschen, der sich 2015 als „The Normal One“beim FC Liverpool vorgestellt hatte und vier Jahre später mit den Reds die Champions League gewann.
Wie er so da stand auf der Bühne in der Mailänder Scala, muss dem deutschen Fußball aber auch zu denken geben, denn dieser Moment hievte eine bittere Erkenntnis ins Rampenlicht: Außer Jürgen Klopp hat der deutsche Fußball an individueller Weltklasse derzeit wenig zu bieten. Die ganz große Bühne ist ihm vorbehalten. Wo man sich hierzulande fragt, ob Joachim Löw noch der richtige Bundestrainer ist, wo sich die Nationalmannschaft nach Wm-blamage und Nations-league-abstieg durch einen Neuanfang quält, da huldigt die internationale Fußballgemeinde Jürgen Klopp als dem Größten. Wo deutsche Klubs seit Jahren auf der Couch sitzen, wenn die Endspiele im Europapokal anstehen, wo Verband und Liga beständig mit Eitelkeiten und hausgemachten Problemen beschäftigt sind, da steht Klopp über den Dingen, hängen Fans an seinen Lippen, reißen sich Sponsoren um sein Lächeln.
Klopp hat sich über die Jahre zur Blaupause des perfekten Trainertypus gemausert: Er lässt eine Art Fußball spielen, von der seine Mannschaften überzeugt sind und die die Zuschauer begeistert. Er präsentiert und inszeniert sich als volksnaher Kumpeltyp, der einen dunklen Raum erhellt, ohne dass einer auf den Lichtschalter gedrückt hätte. Ein Menschenfänger, der das Spiel mit Medien und Öffentlichkeit beherrscht wie vor ihm höchstens ein Franz Beckenbauer oder ein Jupp Heynckes in seinen späten Trainerjahren.
Das „Liverpool Echo“schrieb mit Blick auf die Fifa-wahl am Montagabend: „Jürgen Klopp sprengt nach seiner Preisverleihungsansprache das Internet.“Warum? Weil Klopp in just dieser Rede verkündet hatte, als neues Mitglied der Spendeninitiative „Common Goal“künftig auch ein Prozent seines Gehalts für wohltätige Zwecke zu spenden. Tu Gutes und rede darüber – Klopp weiß, wie es geht. „Wir sind alle ganz offensichtlich auf der wirklich guten Seite des Lebens – deshalb sind wir hier“sagte er. „Aber es gibt Menschen, die nicht in dieser Situation sind.“
Menschen wie Klopp sind nicht auf den Sportteil begrenzt. Wenn er sich gegen den Brexit positioniert, findet Klopp sich auf den Politikseiten wieder. Er findet Gehör, wenn er sich zum Klimaschutz äußert, zu Missständen und gesellschaftlichen Schieflagen. Klopp funktioniert in der Oper im Smoking genauso wie an der Anfield Road im Trainingsanzug.
Doch so hell es in Klopps Umgebung wird, so schattig wird es im deutschen Fußball dahinter. Außer ihm ist nur noch Thomas Tuchel (Paris St. Germain) Trainer bei einem internationalen Top-verein. Ansonsten sind deutsche Übungsleiter im Ausland höchstens im Mittelklassesegment unterwegs. Irgendwo zwischen Nikosia und Melbourne. Auf Bühnen, auf die sich nur selten das Rampenlicht verirrt.
Auf der Bühne in Mailand waren auch deutsche Spieler nicht zugegen, als der Weltfußballer gekürt wurde (Marc-andré ter Stegen musste sich in der Welttorhüter-wahl nur Liverpools Alisson Becker geschlagen geben). Das hat inzwischen Tradition, einzig Lothar Matthäus holte bei der Premiere 1991 den Titel. Und ein Nach-nach-nachfolger ist nicht in Sicht. Keiner, der sportliche Qualität mit vermarktbarer Strahlkraft kombiniert und sich in der Summe von beidem Weltstar nennen darf. Doch diese Kombination wird man bei keinem Spieler finden, der hierzulande ausgebildet wurde. In Deutschland werden in der Offensive keine Einzelkönner geformt, von kleinauf ist das Funktionieren im Team die Prämisse. Extravaganz und individuelle Klasse werden höchstens geduldet, aber viel zu selten erkannt, gefördert und als unverzichtbar eingestuft. Ein deutscher Lionel Messi ist nicht denkbar. Erst langsam findet in der Nachwuchsausbildung ein Umdenken statt, erst langsam wächst die Überzeugung, dass es Einzelkönner sind, die die entscheidenden Duelle für sich und so das Spiel für die Mannschaft entscheiden können. Die Mannschaft kann nach wie vor der Star sein, aber ohne Unterschied-spieler wird sie keinen Titel gewinnen.
Auch Klopp hat das deutsche System durchlaufen. Als Spieler wie als Trainer. Das wurde nicht zuletzt in seiner Dankesrede bei der Fifa-wahl deutlich. „Zu 100 Prozent verstehe ich diese Preise nicht, aber ich verstehe, dass ich für eine Menge Menschen hier bin“, sagte er. Und zählte alle auf, die ihm in den Sinn kamen – von der Familie bis zur Liverpooler Klubführung.
Schon am Mittwoch geht für Klopp der Alltag auf der Insel weiter. League-cup-spiel bei den MK Dons. Wieder im Trainingsanzug an der Seitenlinie. Nur eben als Welttrainer des Jahres.
„Zu 100 Prozent verstehe ich diese Preise nicht, aber ich verstehe, dass ich für eine Menge Menschen hier bin“Jürgen Klopp Trainer FC Liverpool