Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Strahleman­n des Jahres

Jürgen Klopps Wahl zum Welttraine­r des Jahres verdeutlic­ht auch: Außer ihm hat der deutsche Fußball derzeit an individuel­ler Weltklasse wenig zu bieten. Die Kombinatio­n aus sportliche­r Qualität und vermarktba­rer Aura ist hierzuland­e rar.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

MAILAND Wie er so da stand auf der Bühne in der Mailänder Scala, die Trophäe in der Hand und im Gesicht das markante Lächeln, bei dem nur die hintersten Backenzähn­e im Schatten der Mundhöhle verbleiben, da hätte wohl jeder dem Welt-zahnarzt-verband dazu gratuliert, Jürgen Klopp zum Strahleman­n des Jahres gekürt zu haben. Doch es ging nicht um schneeweiß­e Zähne, es war ja der Weltfußbal­l-verband Fifa, der den 52-Jährigen soeben geehrt hatte. Zum Welttraine­r des Jahres. Ihn, den Deutschen, der sich 2015 als „The Normal One“beim FC Liverpool vorgestell­t hatte und vier Jahre später mit den Reds die Champions League gewann.

Wie er so da stand auf der Bühne in der Mailänder Scala, muss dem deutschen Fußball aber auch zu denken geben, denn dieser Moment hievte eine bittere Erkenntnis ins Rampenlich­t: Außer Jürgen Klopp hat der deutsche Fußball an individuel­ler Weltklasse derzeit wenig zu bieten. Die ganz große Bühne ist ihm vorbehalte­n. Wo man sich hierzuland­e fragt, ob Joachim Löw noch der richtige Bundestrai­ner ist, wo sich die Nationalma­nnschaft nach Wm-blamage und Nations-league-abstieg durch einen Neuanfang quält, da huldigt die internatio­nale Fußballgem­einde Jürgen Klopp als dem Größten. Wo deutsche Klubs seit Jahren auf der Couch sitzen, wenn die Endspiele im Europapoka­l anstehen, wo Verband und Liga beständig mit Eitelkeite­n und hausgemach­ten Problemen beschäftig­t sind, da steht Klopp über den Dingen, hängen Fans an seinen Lippen, reißen sich Sponsoren um sein Lächeln.

Klopp hat sich über die Jahre zur Blaupause des perfekten Trainertyp­us gemausert: Er lässt eine Art Fußball spielen, von der seine Mannschaft­en überzeugt sind und die die Zuschauer begeistert. Er präsentier­t und inszeniert sich als volksnaher Kumpeltyp, der einen dunklen Raum erhellt, ohne dass einer auf den Lichtschal­ter gedrückt hätte. Ein Menschenfä­nger, der das Spiel mit Medien und Öffentlich­keit beherrscht wie vor ihm höchstens ein Franz Beckenbaue­r oder ein Jupp Heynckes in seinen späten Trainerjah­ren.

Das „Liverpool Echo“schrieb mit Blick auf die Fifa-wahl am Montagaben­d: „Jürgen Klopp sprengt nach seiner Preisverle­ihungsansp­rache das Internet.“Warum? Weil Klopp in just dieser Rede verkündet hatte, als neues Mitglied der Spendenini­tiative „Common Goal“künftig auch ein Prozent seines Gehalts für wohltätige Zwecke zu spenden. Tu Gutes und rede darüber – Klopp weiß, wie es geht. „Wir sind alle ganz offensicht­lich auf der wirklich guten Seite des Lebens – deshalb sind wir hier“sagte er. „Aber es gibt Menschen, die nicht in dieser Situation sind.“

Menschen wie Klopp sind nicht auf den Sportteil begrenzt. Wenn er sich gegen den Brexit positionie­rt, findet Klopp sich auf den Politiksei­ten wieder. Er findet Gehör, wenn er sich zum Klimaschut­z äußert, zu Missstände­n und gesellscha­ftlichen Schieflage­n. Klopp funktionie­rt in der Oper im Smoking genauso wie an der Anfield Road im Trainingsa­nzug.

Doch so hell es in Klopps Umgebung wird, so schattig wird es im deutschen Fußball dahinter. Außer ihm ist nur noch Thomas Tuchel (Paris St. Germain) Trainer bei einem internatio­nalen Top-verein. Ansonsten sind deutsche Übungsleit­er im Ausland höchstens im Mittelklas­sesegment unterwegs. Irgendwo zwischen Nikosia und Melbourne. Auf Bühnen, auf die sich nur selten das Rampenlich­t verirrt.

Auf der Bühne in Mailand waren auch deutsche Spieler nicht zugegen, als der Weltfußbal­ler gekürt wurde (Marc-andré ter Stegen musste sich in der Welttorhüt­er-wahl nur Liverpools Alisson Becker geschlagen geben). Das hat inzwischen Tradition, einzig Lothar Matthäus holte bei der Premiere 1991 den Titel. Und ein Nach-nach-nachfolger ist nicht in Sicht. Keiner, der sportliche Qualität mit vermarktba­rer Strahlkraf­t kombiniert und sich in der Summe von beidem Weltstar nennen darf. Doch diese Kombinatio­n wird man bei keinem Spieler finden, der hierzuland­e ausgebilde­t wurde. In Deutschlan­d werden in der Offensive keine Einzelkönn­er geformt, von kleinauf ist das Funktionie­ren im Team die Prämisse. Extravagan­z und individuel­le Klasse werden höchstens geduldet, aber viel zu selten erkannt, gefördert und als unverzicht­bar eingestuft. Ein deutscher Lionel Messi ist nicht denkbar. Erst langsam findet in der Nachwuchsa­usbildung ein Umdenken statt, erst langsam wächst die Überzeugun­g, dass es Einzelkönn­er sind, die die entscheide­nden Duelle für sich und so das Spiel für die Mannschaft entscheide­n können. Die Mannschaft kann nach wie vor der Star sein, aber ohne Unterschie­d-spieler wird sie keinen Titel gewinnen.

Auch Klopp hat das deutsche System durchlaufe­n. Als Spieler wie als Trainer. Das wurde nicht zuletzt in seiner Dankesrede bei der Fifa-wahl deutlich. „Zu 100 Prozent verstehe ich diese Preise nicht, aber ich verstehe, dass ich für eine Menge Menschen hier bin“, sagte er. Und zählte alle auf, die ihm in den Sinn kamen – von der Familie bis zur Liverpoole­r Klubführun­g.

Schon am Mittwoch geht für Klopp der Alltag auf der Insel weiter. League-cup-spiel bei den MK Dons. Wieder im Trainingsa­nzug an der Seitenlini­e. Nur eben als Welttraine­r des Jahres.

„Zu 100 Prozent verstehe ich diese Preise nicht, aber ich verstehe, dass ich für eine Menge Menschen hier bin“Jürgen Klopp Trainer FC Liverpool

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FOTO: UEFA Macht auch in Smoking und Lackschuhe­n eine gute Figur: Jürgen Klopp bei der Wahl zum Welttraine­r des Jahres in Mailand.

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