Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Wo Verlieren erwünschth­t ist

Die Miami Dolphins schenken eine Football-saison ab, umsich für die Zukunft aufzustell­en. Es ist ein Scheitern mit Kalkül.

- VON PHILLIP OLDENBURG

DÜSSELDORF 10:59, 0:43, 6:31 – der Saisonstar­t der Miami Dolphins in der Us-profi-football-liga NFL ist gehörig in die Hose gegangen. Nicht erst seit diesem katastroph­alem Auftakt erhärtet sich der Verdacht, dass das Team aus Florida vorsätzlic­h eine schlechte Spielzeit fabriziere­n will.

Aber absichtlic­h verlieren? Das dürfte jedem Sportler widerstreb­en, egal ob Profi oder Amateur. Der Sport lebt davon, dass sich zwei Akteure miteinande­r messen, die gewinnen wollen. In der NFL passen Niederlage­n bei manchen Teams jedoch besser in die Zukunftspl­anungen als jeder Sieg. Denn Misserfolg wird von der Liga belohnt. Möglich macht dies das sogenannte Draft-system. Hierbei darf das schlechtes­te Team der Vorsaison im Jahr danach als Erster bei der Talenteaus­wahl zugreifen. Eine ganze Saison abschenken, um sich für die Zukunft aufzustell­en, ist deswegen im Us-sport durchaus üblich. Die Amerikaner haben dafür sogar einen eigenen Begriff: „Tanking“. Zugeben würde das natürlich niemand. Denn dieses Vorgehen widerspric­ht auch in den USA allem, was Sportsgeis­t ausmacht. Verboten oder nachzuweis­en ist Tanking allerdings nicht. Moralischv­erwerflich dafür allemal.

Alles deutet darauf hin, dass die Dolphins die Saison 2019/20 einzig und allein dafür nutzen, um sich die Draft-position Nummer eins zu sichern. Die Ergebnisse und Transferak­tivitäten unterstrei­chen dies. Gegen die Baltimore Ravens (10:59), dienew England Patriots (0:43) und die Dallas Cowboys (6:31) kassierte man Klatschen.

Dabei hat Miami in der Vorsaison akzeptabel abgeschnit­ten, immerhin gelangen sieben Siege in 16 Spielen. Doch der letzte Super-bowl-triumph liegt bereits 46 Jahre zurück, es folgten viele Jahre im Mittelmaß. Denverantw­ortlichen fehlte nun offenbar dasvertrau­en ins Team – und die Perspektiv­e. Der Kader wurde radikal verändert, teure Stars wurden gegen bessere Ausgangspo­sitionen beim Draft eingetausc­ht. Darüber hinaus minimierte­n die Dolphins ihr Gehaltsgef­üge. Ein weiterer wichtiger Faktor, denn Nfl-teams dürfen nicht beliebig hohe Gehälter zahlen, es gibt eine für alle Teams verbindlic­he Gehaltsobe­rgrenze. Alles klare Anzeichen. Niemand gibt ohne Grund Leistungst­räger ab.

Man stelle sich das einmal für den Fußball vor: Ein Bundesligi­st verkauft vor der Saison alle Großverdie­ner und Leistungst­räger. Die Fans würden auf die Barrikaden gehen. Erst recht, wenn die ersten Saisonspie­le verloren gehen. Natürlich würde kein Fußball-verein vorsätzlic­h seine Mannschaft schwächen, weil der Abstieg drohen würde und es im europäisch­en Fußball kein Draft-system gibt. Doch Absteigen kann man in der NFL nicht.

Warum aber wird immer das schlechtes­te Team belohnt? Vorbilder, die zeigen, dass es auch anders geht, findet man im Us-sport genug. Beim Basketball (NBA) entscheide­t eine Draft-lotterie über die Pick-reihenfolg­e. In der Lotterie sind alle 14 Teams, welche die Play-offs verpasst haben. Zwar haben die schwächste­n Teams die besten Chancen, doch eine Garantie gibt es nicht.

Stattdesse­n erhält man lediglich die höchsten Wahrschein­lichkeiten, um im Lotterie-verfahren doch auf Rang eins zu landen. Die drei Teams mit der schlechtes­ten Bilanz haben eine 14-prozentige Gewinnchan­ce, die theoretisc­he Chance der „besten“drei Klubs liegt bei ein Prozent. 2019 hatte New Orleans das erste Wahlrecht. Den Pelicans genügte eine sechsproze­ntige Wahrschein­lichkeit, um sich in Zion Williamson das wohl größte Basketball-talent zu sichern. Auch in der nordamerik­anischen Eishockey-liga NHL gibt es eine Draft-lotterie.

In der NFL kann das praktizier­te System so schon mal zu Wettbewerb­sverzerrun­g führen. Für manche Teams können sich Niederlage­n mehr lohnen als Siege.

Eine Garantie auf eine glorreiche Zukunft ist dieser Weg natürlich nicht. Manche Teams und Fans müssen Jahre warten, ehe sich der Neuaufbau auszahlt. Jüngstes Beispiel sind die Cleveland Browns. Das Team stand wie kein zweites für Misserfolg. Mickrige vier von 48 Spielen gewannen die Browns von 2015 bis 2017. 2017 legte das Team sogar eine sieglose Saison hin, der absolute Tiefpunkt. Doch die Lachnummer der Liga hat sich zu einem konkurrenz­fähigen Team gemausert. Mittlerwei­le träumt man bereits von den Play-offs. Es wäre die erste Teilnahme seit 2002.

Dorthin wollen die Dolphins auch wieder. Ob dies schon 2020 klappt, ist offen. Dafür bietet selbst Tanking keine Garantie.

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FOTO: AP Amari Cooper von den Dallas Cowboys mit dem Ball in der Endzone. Die Defensive der Dolphins ist geschlagen.

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