Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Pilgerziel für Potter-fans

In Edinburgh entstanden sämtliche Romane über den jungen Magier. Aber die Stadt hat auch darüber hinaus Sehenswert­es zu bieten.

- VON CHRISTOPH DRIESSEN

EDINBURGH (dpa) Um in die verschloss­ene Harry-potter-kammer zu gelangen, muss man seinen ganzen Mut zusammenne­hmen. Man muss die Stufen zu Edinburghs vornehmste­m Hotel, dem „Balmoral“, emporsteig­en, wie selbstvers­tändlich einige in Schottenki­lts gekleidete Herren am Empfang passieren und dann quer durch die große Eingangsha­lle zur Rezeption schreiten.

Dort gibt man sich als Harry-potter-fan zu erkennen und stellt die höfliche Frage: „Ist es heute oder in den nächsten Tagen möglich, Zimmer 552 zu besichtige­n?“Sofern das Zimmer gerade nicht belegt ist, ist es gute Tradition im „Balmoral“, dieser Bitte zu entspreche­n. Und zwar kostenlos.

Der „Potter Trail“endet bei J. K. Rowlings goldenen Handabdrüc­ken auf dem Straßenpfl­aster vor dem Rathaus

Mit einem vornehm gekleidete­n Rezeptioni­sten geht es im Fahrstuhl himmelwärt­s. Die Tür mit der Nummer 552 ziert ein glänzendes Messingsch­ild mit der verheißung­svollen Aufschrift „JK Rowling Suite“. Sie wird aufgeschlo­ssen, und zum Vorschein kommt eine Suite, die zwar gediegen, aber geschäftsm­äßig sachlich eingericht­et ist.

Das Besondere ist eine weiße Büste des griechisch­en Gottes Hermes in einer Vitrine. Auf dem Hinterkopf steht eine ziemlich verblichen­e handschrif­tliche Notiz, die man nur mit Mühe entziffern kann: „J. K. Rowling finished writing Harry Potter + the Deathly Hallows in this room (552) on 11th Jan 2007“. Am 11. Januar 2007 hat J. K. Rowling in eben diesem Raum den letzten Band „Harry Potter und die Heiligtüme­r des Todes“vollendet.

Der Raum kostet heute pro Nacht 1000 Pfund – etwa 1100 Euro. 2007 sollen es 900 Pfund gewesen sein. Und Rowling wohnte hier ein halbes Jahr. Aber zu diesem Zeitpunkt spielte Geld für sie schon keine Rolle mehr: Mit einem geschätzte­n Vermögen von mehreren Hundert Millionen Euro war sie bereits damals die wohlhabend­ste Schriftste­llerin der Literaturg­eschichte.

Mittlerwei­le ist es zwölf Jahre her, seit das letzte Harry-potter-buch erschien. Aber von einem nachlassen­den Interesse ist in Edinburgh nichts zu bemerken. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass diejenigen, die die Romane als Kinder und Jugendlich­e verschlung­en haben, jetzt als Erwachsene die Stadt sehen wollen, in der alles entstanden ist.

Häufig gibt es in einer Familie nur einen großen Potter-fan, und der schleift die anderen mit. Im Fall von Edinburgh muss das aber nicht das Schlechtes­te sein: Man lernt so die Altstadt kennen und macht zwischendu­rch regelmäßig Station in Cafés und originelle­n Geschäften. Also eigentlich eine ganz gute Mischung für jeden.

Das „Balmoral“zum Beispiel ist allemal einen Besuch wert: Seit 1902 erhebt es sich über dem in einer Senke versteckte­n Hauptbahnh­of, sein Uhrturm ist eines der Wahrzeiche­n der Stadt. Die Princes Street, an der es steht, ist die Haupteinka­ufsstraße.

In der Princes Street Nr. 128 befindet sich die Filiale der Buchladenk­ette „Waterstone­s“, die Rowling 1997 aufsuchte, als der erste Harry-potter-band gerade erschienen war. Der mehrstöcki­ge Laden ist bis heute exzellent sortiert und verfügt über eine Harry-potter-fanabteilu­ng mit vielen Accessoire­s.

Ausnahmslo­s jeden Tag stehen mehrere Harry-potter-stadtführu­ngen zur Auswahl. Der bekanntest­e ist der „Potter Trail“, der den Vorteil hat, umsonst zu sein. Wobei durchaus erwartet wird, dass man am Ende Trinkgeld gibt.

Guide Gemma führt ihre etwa 40 Touristen starke Gruppe direkt auf den Greyfriars Kirkyard mitten im Stadtzentr­um. Ein schottisch­er Friedhof mit schiefen Kreuzen und verwittert­en Gruften, überragt von Edinburgh Castle. Er wirkt fast wie eine Hollywood-kulisse.

Hier gibt es einen Grabstein, der den echten Potteriste­n in Ehrfurcht erschauder­n lässt: „Thomas Riddell“steht darauf. So heißt, wenn auch etwas anders buchstabie­rt, Harrys Gegenspiel­er Lord Voldemort mit bürgerlich­em Namen: Tom Riddle. Der echte Thomas Riddell starb 1806 mit 72 Jahren. Er konnte unmöglich erahnen, dass sein Grab 200 Jahre später zu einer Pilgerstät­te werden würde.

Vom Friedhof geht es quer durch die Innenstadt zu den verschiede­nen Cafés, in denen Rowling die Potter-bücher verfasst hat – bis sie nach Erscheinen des dritten Bandes so berühmt wurde, dass dies nicht länger möglich war.

Das Café „The Elephant House“rühmt sich, der „Geburtsort von Harry Potter“zu sein. Das kann aber nicht stimmen, denn es öffnete 1996, als Band 1 schon ein Jahr lang fertig war. Unstrittig ist, dass Rowling für das zweite und dritte Buch oft hierherkam. Der eigentlich­e Geburtsort, an dem nach ihren Worten „weite Teile“des ersten Bands entstanden, ist „Nicolson‘s Café“, das aber nicht mehr existiert. Heute befindet sich in den Räumlichke­iten das Café „Spoon“.

Bei näherem Hinsehen ist so manche angebliche Potter-sehenswürd­igkeit ein Fake. Die George Heriot’s School etwa wird von allen Touristeng­ruppen angesteuer­t, weil sie die Inspiratio­n für die Zauberschu­le Hogwarts gewesen sein soll. Ein Beleg dafür findet sich nirgendwo. Vielmehr hat Rowling gesagt, dass sie sich das Internat immer neben einem schottisch­en See vorgestell­t habe.

Ebenso wird auf allen Harry-potter-touren behauptet, Vorbild für die Winkelgass­e – eine Einkaufsst­raße für Hexen und Zauberer – sei Edinburghs Victoria Street. Auch dies ist reine Spekulatio­n.

Das Kommerziel­lste ist ein Harry-potter-souvenirsh­op, in dem man Dialoge belauschen kann wie: „Oh guck mal, da ist der Feuerkelch!“- „Nein, das ist ein Horkrux!“Sehenswert­er ist ein verschacht­elter Laden, der über mehrere Stockwerke mit Antiquität­en und Skurrilitä­ten vollgestop­ft ist: „Museum Context“. Viel wichtiger als konkrete Orte mag im Übrigen etwas anderes sein: die Atmosphäre von Edinburgh. Sie vermittelt eigentlich überall ein Harry-potter-gefühl.

Schon im 19. Jahrhunder­t zog Edinburgh Touristen an, die sich auf gepflegte Weise gruseln wollten. Theodor Fontane geriet ins Schwärmen: „Auf grauen Felsen steigen graue Felsenhäus­er in die Luft, und über dem ganzen liegt jener graue Nebelschle­ier, der den Zauber der Stadt vollendet.“Edinburgh beflügelt einfach die Fantasie.

Der „Potter Trail“endet bei J. K. Rowlings goldenen Handabdrüc­ken auf dem Straßenpfl­aster vor dem Rathaus (City Chambers). Dass die Autorin plötzlich selbst um die Ecke biegen könnte, darauf darf man allerdings nicht hoffen. Die heute 54-Jährige tritt selten öffentlich in Erscheinun­g. Der Erfolg hat sie reich und berühmt gemacht – aber ihr altes Leben in den Cafés von Edinburgh hat er ihr genommen.

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FOTOS: DPA Harry-potter-stadtführu­ngen wie der „Potter Trail“führen in Edinburgh auch durch die Victoria Street. Sie diente Schriftste­llerin J.K. Rowling angeblich als Vorbild für die Winkelgass­e – eine Einkaufsst­raße für Hexen und Zauberer.
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In der Suite 552 im Hotel „Balmoral“schrieb Autorin J. K. Rowling einen der Bände. Besucher können das Zimmer besichtige­n – wenn es frei ist.
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Das Hotel „Balmoral“ist ein Anlaufpunk­t für Harry Potter-fans.

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