Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Fantasie“aus der Versenkung

Ein Werk von Theo Kreiten erlebt nun seine Uraufführu­ng. Er ist der Vater des von den Nazis ermordeten Karlrobert Kreiten.

- VON ARMIN KAUMANNS

Wie das alles zusammenhä­ngt, wird wohl ein Rätsel bleiben. Aber ein wenig Licht können wir an dieser Stelle in die Geschichte bringen, die fürs Erste am Samstagabe­nd in der Tonhalle ein vorläufige­s Ende finden soll. Es ist die Geschichte einer Partitur. Zwischen weinroten Buchdeckel­n schlicht gebunden mit farblich ähnlichem Gewebeband ruhen rund hundert Seiten Papier auf dem Terrassent­isch von Bianca Petzinka. Der Dirigent Christian Ludwig hat sie mit in die Wohnung der Schriftfüh­rerin des Orchesters der Landesregi­erung (ODL) am Rand des Hofgartens gebracht. Die Blätter sind überrasche­nd unvergilbt, mehr oder weniger dicht beschriebe­n mit Noten, Schlüsseln, Taktstrich­en, Tempoanwei­sungen und Überschrif­ten. Trotz der Handschrif­t ziemlich leserlich in schwarzer Tinte. Nur wenig angestoßen das Ganze, nur am Vorsatz-blatt hat jemand das obere Viertel offenbar eilig mit der Schere abgeschnit­ten, was den Blick auf die erste Partiturse­ite teilweise freigibt. Hier steht neben der Satzbezeic­hnung „Andante“über den leeren Zeilen für Flöten bis Fagotte „Fantasie f. Klavier und Orchester“. Oben ins Eck ist mit Bleistift „Th Kreiten“gekritzelt. Und ganz oben auf der Seite steht eine römische Zwei, von fünf krakeligen Linien schräg durchgestr­ichen. Das ist dann doch reichlich merkwürdig.

Vor rund drei Jahren, als Bianca Petzinka wieder und aus Anlass des damals bevorstehe­nden 70-jährigen Jubiläums des ODL in einem Kabuff im Gebäude des Finanzmini­steriums die dort lagernden Notenbestä­nde des Orchesters archiviere­nd ordnete, mag sie die gleichen Fragezeich­en im Kopf gehabt haben, als ihr die Partitur in die Hände fiel. Natürlich wusste die Geigerin gleich etwas mit dem Namen Kreiten anzufangen. Gerade in jenen Tagen erinnerte sich die Stadt Düsseldorf nämlich aus Anlass des 100. Geburtstag­s ihres Sohnes Karlrobert Kreiten, des Ausnahmepi­anisten und Arrau-meistersch­ülers, der 1943, nach unbedachte­n Aussagen im privaten Kreis über den möglichen Ausgang des Krieges, denunziert, nach Plötzensee verschlepp­t und dort in den „Blutnächte­n“mit 27 Jahen hingericht­et wurde. Trotz Gnadengesu­chen von Wilhelm Furtwängle­r und anderen.

Theo Kreiten, dessen vollständi­ger Name samt Adresse Wasserstra­ße 14 neben der Bemerkung „Dauer 20 min.“auf dem Vorsatz vermerkt ist, war schnell als Karlrobert­s Vater identifizi­ert. Aber was ist das für ein Stück? Kein Datum, nichts gibt Hinweise. Nur diese rätselhaft­e „II“.

Kurz gesagt: Frau Petzinka und ihre Kolleginne­n müssen famose Detektive sein. Über eine (vernichten­de) Konzertkri­tik in der Abend-ausgabe der Düsseldorf­er Nachrichte­n vom 13. Januar 1928 gewann man den Eindruck, die „Fantasie“sei ein umgearbeit­eter Satz eines Klavierkon­zerts. Wenig später waren auch Bedenken ausgeräumt, bei der Partitur könne es sich um „Raubkunst“handeln. Da war schon an eine Uraufführu­ng gedacht. Die Mitarbeite­rin der Stadt gab mit dem Prädikat „lupenrein“ihr Okay. Flugs wurden Kreitens Nachfahren in den USA ausfindig gemacht, Theos Enkel Gilbert von Studnitz riet dem Orchesterv­orstand: „Machen Sie mal“. Über Kontakte zur Stiftung Lichterfel­d, die Musik verfemter Musiker widerbeleb­t, entstand ein Kontakt zur Musikhochs­chule Köln, wo Florence Millet mit Studierend­en aus der Partitur spielbare Stimmen herstellte. Und in Köln fand sich im Sieger des dort ausgericht­eten Karlrobert-kreiten-klavierwet­tbewerbs, dem Pianisten Philipp Scheucher, auch der Kandidat für die Uraufführu­ng. So schließt sich vor dem Konzert am Samstag der Kreiten-kreis um die wiedergefu­ndene „Fantasie“, die in dieser Form sehr sicher noch nie aufgeführt wurde.

Seit Januar probt das ODL an dem unkonventi­onellen Stück, trotz der in der Spätromant­ik fest verankerte­n Tonsprache. Dirigent Christi

an Ludwig nennt den Beginn in Art von Debussy „verträumt“, spricht von „durchbroch­ener Arbeit“, ungewöhnli­cher Intervalli­k, einem „skurrilen Fugato mit Fagott und Bassklarin­ette“, das das Zeug zum Ohrwurm hat. Der Klavierpar­t sei anspruchsv­oll und das Orchester groß besetzt. Zur Uraufführu­ng ist der Enkel samt Familie aus Kalifornie­n angereist, er wird auch am Freitag um 15 Uhr auf dem Südfriedho­f anwesend sein, wenn eine Gedenktafe­l für Karlrobert Kreiten enthüllt wird.

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Dirigent Christian Ludwig mit der Partitur des Komponiste­n Theo Kreiten.

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