Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
In der DDR hatte das Unrecht System
ESSAY Zum Jubiläum des Mauerfalls geht der Blick zurück auf das, was zum Zusammenbruch der DDR vor 30 Jahren führte. Ein Unrechtsstaat sei das Sed-regime dennoch nicht gewesen, behaupten nun Spitzenpolitiker in Ostdeutschland. Das ist ein Irrtum.
Ein politischer Debattenbeitrag, so nebulös wie jetzt schon mancher Morgen im Herbst, weht durch das Land, das sich in diesen Tagen daran erinnert, wie es vor 30 Jahren war: In Berlin tanzten Menschen triumphierend auf der Mauer. Dahinter dämmerte denen, die ihr Volk so lange eingesperrt hatten, dass das Spiel aus war. Bald sollten die Bürger in Ost und West erfahren, wie wenig wert Männer, Frauen und Kinder im Sed-staat gewesen waren – es sei denn, der Westen kaufte sie frei. Und heute? In diesen Tagen des abnehmenden Lichts sagen Bodo Ramelow und Manuela Schwesig: Die DDR war kein Unrechtsstaat.
Die Behauptung stammt von Politikern, die im Osten Regierungsverantwortung tragen – der eine als Ministerpräsident in Thüringen, die andere als Regierungschefin in Mecklenburg-vorpommern. Der eine, 63, kommt aus dem Westen, vertritt aber die Linke, die zum großen Teil aus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands hervorgegangen ist. Die andere, 45, Sozialdemokratin, wuchs in der DDR auf als Tochter eines Schlossers und einer Verwaltungsangestellten. All dies und der 70. Jahrestag der Ddr-gründung am 7. Oktober sowie der herannahende 30. des Mauerfalls am 9. November liefern einen Teil der Erklärung, warum das Thema nun prominent hochkommt. Außerdem wird in Thüringen am 27. Oktober gewählt. An Sinnhaftigkeit gewinnt die Argumentation indes dadurch nicht.
Die DDR sei zwar eine Diktatur gewesen, sucht Schwesig zu präzisieren. Der Begriff Unrechtsstaat werde aber von vielen Menschen, die in der DDR gelebt hätten, als herabsetzend empfunden. Ramelow wiederum windet sich mit den Worten, die DDR habe viel Unrecht zu verantworten, sie sei sogar „eindeutig kein Rechtsstaat“gewesen. „Der Begriff Unrechtsstaat aber ist für mich persönlich unmittelbar und ausschließlich mit der Zeit der Nazi-herrschaft und dem mutigen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer und seiner Verwendung des Rechtsbegriffs Unrechtsstaat in den Auschwitz-prozessen verbunden“, erläutert Ramelow.
Klüger lässt einen das nicht zurück. Was bleibt, ist der Verdacht, dass es um mehr geht als um wärmende Ostalgie zum Jubiläum, dass es sich in Wahrheit um den Versuch handeln könnte, aus dem bisschen Rechtsstaat, der in der DDR übrig war, „keinen Unrechtsstaat“zu konstruieren, um damit einmal mehr ein schuldbeladenes Kapitel deutscher Geschichte zu relativieren. Es ist auch diese Vergangenheit, die Bündnisse zwischen SPD und Linken noch immer schwierig macht.
Der Rechtsstaat aber, da sind sich nicht nur Verfassungsexperten ziemlich einig, bezeichnet einen Staat, der vom Recht und nicht von Gewalt oder Willkür beherrscht wird. Alle, aber auch wirklich alle, haben sich an das Recht zu halten. Der Rechtsstaat ist zentraler Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft. Es gibt keine Demokratie ohne Rechtsstaat und keinen Rechtsstaat ohne Demokratie.
In der Deutschen Demokratischen Republik gab es Wahlen, wenngleich niemand einer Oppositionspartei seine
Stimme geben konnte. Es existierte keine.
Die Schlussfolgerung daraus, die DDR könne dann ja nicht ganz undemokratisch gewesen sein, darf man bestenfalls belächeln. Und ja: In der DDR bekam einer, der zu schnell fuhr, einen verdienten Strafzettel. Es konnte aber auch sein, dass er bei dem Versuch, unerlaubt das Land zu verlassen, erschossen wurde. Das wussten alle, obwohl von offizieller Seite stets bestritten wurde, dass es einen Schießbefehl gab. Kein Wunder: Die skrupellose Order stand im krassen Widerspruch zu geltenden Gesetzen der DDR. Sie war Ausdruck purer Willkür des Politbüros. „Zögern Sie nicht mit der Anwendung der Schusswaffe, auch dann nicht, wenn die Grenzdurchbrüche mit Frauen und Kindern erfolgen, was sich die Verräter schon oft zunutze gemacht haben“, heißt es in der siebenseitigen Dienstanweisung vom 1. Oktober 1973. Und kein einziger Mensch in der ganzen DDR hatte irgendein Recht, sich dagegen zu wehren.
An diesem Punkt ist es müßig, nach weiteren Indizien dafür zu suchen, warum die DDR ohne Wenn und Aber ein Unrechtsstaat war. Man muss auch die 33.755 politischen Gefangenen, für die der bankrotte Unrechtsstaat im Laufe seiner Geschichte 3,5 Milliarden D-mark kassierte, nicht erwähnen, sollte aber wissen, dass es sie und Abertausende andere Verfolgte gab, wenn man abwägt, ob die DDR das Prädikat verdient, kein Unrechtsstaat gewesen zu sein.
Ganz zu schweigen von der grundsätzlichen Absicht des Ddr-staates, jedem seiner Bürger beim kleinsten Verdacht einen Angriff auf den Sozialismus zu unterstellen und ihn so ins Unrecht zu setzen. „Zwischen einer Diktatur und einem Unrechtsstaat bedarf es keiner Differenzierung“, befindet der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte. „Die DDR war beides. Alles andere ist Geschichtsklitterung. Wer in Deutschland politische Verantwortung trägt, sollte das wissen.“
„Es wirkt so, als sei das ganze Leben Unrecht gewesen“, wendet Manuela Schwesig ein: „Wir brauchen aber mehr Respekt vor ostdeutschen Lebensleistungen.“Ein seltsamer Gedanke. Tatsächlich gab und gibt es Millionen anständiger Ostdeutscher, die auch in der Diktatur anständig geblieben sind. Das kann und will ihnen niemand wegnehmen. Schon gar nicht den Respekt vor einer Leistung, die zur historischen Wende führte: Die Bürger der DDR nahmen es nämlich nicht mehr hin, dass ihr Staat Menschenrechte in dem Sinne interpretierte, wie es für das System gerade passte. Man könnte es auch so formulieren: Sie nahmen es nicht weiter hin, in einem Staat zu leben, der von sich behauptete, alles Mögliche zu sein, nur eben kein Unrechtsstaat.
Es war diese Lüge, kein Unrechtsstaat zu sein, die am Ende einfach unerträglich geworden war.