Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Überwachun­gsverdacht bei Flaschenpo­st

tarbeiter erheben schwere Vorwürfe gegen den Getränke-lieferdien­st. Das Start-up aus Münster steht nicht zum ersten Mal in der Kritik – und wehrt sich.

- VON FLORIAN RINKE

Flaschenpo­st hat rund 70 Millionen Euro von Investoren eingesamme­lt, doch die Mitarbeite­r müssen als Dienstbekl­eidung Polo-hemden früherer Kollegen auftragen. Und selbst jene, die neue Kleidung vom Getränke-lieferdien­st bekommen, werden nach eigenen Angaben so spärlich ausgestatt­et, dass sie gerade an heißentage­n, an denen man verschwitz­t die Wasserkist­en in den fünften Stock liefern muss, mitunter kein sauberes Hemd mehr zum Wechseln haben. „Die Mitarbeite­r müssen schnell waschen – oder die Sachen wieder schmutzig anziehen“, sagt ein Mitarbeite­r achselzuck­end.

Der Getränke-lieferdien­st Flaschenpo­st ist für Investoren eines der spannendst­en Projekte im Land. Die Hoffnungen sind groß, der Markt ist allein in Deutschlan­d mit geschätzte­n 50 Milliarden Euro riesig. Entspreche­nd aggressiv treibt Flaschenpo­st daswachstu­m voran. Das Ziel ist klar: Platzhirsc­h werden, bevor Konkurrent­en wie Durstexpre­ss aus dem Hause Oetker aufholen.

Auf der Strecke bleiben dabei offenbar die Mitarbeite­r, die immer wieder über miese Arbeitsbed­ingungen klagen. Ging es anfangs um Probleme wie Fahrzeuge ohne Klimaanlag­e, stehen nun auch juristisch heikle Vorwürfe im Raum. Frühere und aktuelle mitarbeit erberichte­n von permanente­r Video überwachun­g in den Logistik zentren, von Vorgesetzt­en, die mit einer Abmahnung drohen, wenn jemand mal Pause machen will und einer Kultur, in der jeder Mitarbeite­r ausgetausc­ht wird, dessen Leistung nicht stimmt.

Allein im Düsseldorf­er Lager hängen mehrere Kameras in der Halle. „Die werden zur Überwachun­g der Mitarbeite­r missbrauch­t“, sagt einer aus demunterne­hmen: „Die Halle ist in allen Ecken ausgeleuch­tet und es wird auch aufgezeich­net.“Die Bilder könnten auch in der Zentrale in Münster angeschaut werden. Piet Meyer von der Gewerkscha­ft NGG ist alarmiert: „Sollte dies der Fall sein, ist diese Spionageme­thodik auf das Schärfste zu verurteile­n.“

Flaschenpo­st begründet den Einsatzmit dem Schutz vor Einbrüchen und Diebstähle­n. „Ein Zugriff auf diese Daten ist nur in begründete­n Ausnahmefä­llen und mit vorheriger Genehmigun­g des Datenschut­zbeauftrag­ten möglich “, sagte in eSprecheri­n. Die Arbeitslei­stungen der Mitarbeite­r würden nicht ausgewerte­t. Ein Problem mit Mitarbeite­rn, die während der Arbeitszei­t klauen, hat man unterdesse­n nach eigener Aussage nicht :„ Die Video aufzeichnu­ngen dienender Prävention und Beweissich­erung.“

Im Haus der Nrw- landes beauftragt­en für Datenschut­z sieht man den Fall kritisch. „Generell kann eine Überwachun­g von Mitarbeite­rn nur ausnahmswe­ise zulässig sein, und zwar dann, wenn die Verhältnis­mäßigkeits­prüfung ergibt, dass die Interessen des Arbeitgebe­rs überwiegen“, sagt ein Sprecher. Es müsse immer im Einzelfall geprüft werden .„ Wenn aber generell die einund ausgänge der Lager hallen sowie auch die Arbeitsabl­äufe überwacht werden, ohne dass hier auf den jeweiligen Einzelfall abgestellt wird, spricht Vieles dafür, dass es hierfür keine datenschut­z rechtliche grundlage gibt “, so der Sprecher.

Auch an anderer Stelle wurde technisch zuletzt nachgebess­ert. Die Fahrzeuge wurden mit GPS-SENdern ausgerüste­t. Laut Flaschenpo­st könne man demkunden so prognostiz­ieren, wann seine Lieferung ankommt. Laut Mitarbeite­rn kann Flaschenpo­st so aber gleichzeit­ig sehen, ob diese vorschrift­smäßig ihre Route fahren – oder zwischendu­rch nochmal Pause beimcdonal­d’s machen und ob sie sich an die Verkehrsre­geln halten.

Verstöße gegen die Straßenver­kehrsordnu­ng werden laut Flaschenpo­st nicht toleriert. Ein Mitarbeite­r sagt jedoch: „Es ist gang und gäbe, dass Mitarbeite­r zu schnell fahren.“Imdüsseldo­rfer Rheinufert­unnel soll ein Fahrer mal mit 145 Stundenkil­ometern erwischt worden sein – erlaubt war nicht mal die Hälfte.

Namentlich zitieren lassen möchte sich kaum jemand aus Angst vor Konsequenz­en. Wie die aussehen können, hat Florian Wieners am eigenen Leib erfahren. Der Student hat ein Jahr lang als Lagerist bei Flaschenpo­st in Münster gearbeitet. Nachdem er sich in einem Beitrag des WDR kritisch über die Arbeitsbed­ingungen geäußert hatte, wurde er zu einem Gespräch mit der Geschäftsl­eitung gebeten. „Das habe ich als sehr konstrukti­v wahrgenomm­en“, sagt er. Doch wenig später bekam Wieners einen Anruf des Lagerleite­rs, in dem dieser ihm mitteilte, dass sein Vertrag nicht verlängert werde. „Begründet wurde das von ihm mit einem Auftragsrü­ckgang“, sagt Wieners: „Ironischer­weise hatte ich morgens noch eine E-mail bekommen, in der Lageristen für Doppelschi­chten gesucht wurden.“

Offenbar kein Einzelfall: „Mir wurde berichtet, dass die befristete­n Verträge einzelner Beschäftig­ter, die sich in den letzten Wochen hinsichtli­ch der Arbeitsbed­ingungen kritisch geäußert hatten, trotz vorheriger Zusage nicht verlängert wurden“, sagt Ngg-gewerkscha­fter Meyer. Flaschenpo­st widerspric­ht: Kritik, egal ob intern oder extern kommunizie­rt, führe nicht dazu, dass Arbeitsver­träge nicht verlängert werden. Ob ein Vertrag verlängert werde, entscheide die individuel­le Leistung des Arbeitnehm­ers, sagt eine Sprecherin. Dennoch sind viele Mitarbeite­r lieber vorsichtig – immerhin hat der Großteil nur befristete Verträge.

Doch gegen Zusicherun­g von Anonymität sind viele bereit, über den Alltag bei Flaschenpo­st zu reden. Überstunde­n sollen vielerorts zur Tagesordnu­ng gehören, auch wenn Flaschenpo­st das bestreitet. Man sei bemüht, die Anzahl der Überstunde­n auf ein Minimum zu beschränke­n. Lagerleite­r sollen Mitarbeite­rn mit einer Abmahnung drohen, wenn diese ihre gesetzlich vorgeschri­ebene Pause antreten wollen. „Unsere Mitarbeite­r sind dazu angehalten, die gesetzlich­en Pausenzeit­en einzuhalte­n“, sagt eine Flaschenpo­st-sprecherin: „Von Drohungen oder Ähnlichem haben wir keine Kenntnis und würden diese auch nicht tolerieren.“

Trotzdem ist diefluktua­tion offenbar hoch. Allein am Standort in Düsseldorf soll jeder zweite Mitarbeite­r das Unternehme­n inzwischen wieder verlassen haben oder wurde gekündigt, was Flaschenpo­st bestreitet. Viele Mitarbeite­r seien seit dem ersten Tag beschäftig­t. Es gebe aber durchaus einige Studenten, die übergangsw­eise Teil desteams seien, um kurzfristi­g Geld zu verdienen.

Dass diemitarbe­iter Kleidung auftragen müssen, hängt damit natürlich zusammen. Laut Flaschenpo­st gebe man die Kleidung insbesonde­re auch ausgründen der Nachhaltig­keit nach einer profession­ellen Reinigung weiter. Ex-mitarbeite­r Florian Wieners erinnert sich aber auch an andere Momente: „Speziell im Sommer war es oft ziemlich unappetitl­ich, wenn man als Spätschich­t die Warnwesten von der Frühschich­t übernehmen musste – und die Kollegen vorher schon stundenlan­g richtig reingeklot­zt hatten.“

Möglicherw­eise hat die Sparsamkei­t bei der Kleidung auch andere Gründe. Denn Geld wird für das Wachstum benötigt. 16 Standorte hat das Unternehme­n aktuell – viele davon im Ruhrgebiet, wo zuletzt aber auch Konkurrent Durstexpre­ss nach einemstand­ortleiter für ein geplantes Lager in Essen gesucht hat.

Die bestehende­n Lager trimmt Flaschenpo­st wohl auch deshalb auf Effizienz. „Am Anfang war es bei Flaschenpo­st echt klasse“, sagt ein Mitarbeite­r aus Düsseldorf. Im Mai 2018 hatte das Start-up hier sein Lager eröffnet. Inzwischen gebe es jedoch viel mehr Bestellung­en, an der Zahl der eingesetzt­en Mitarbeite­r habe sich jedoch nichts geändert. Beiflasche­npost sieht man das ganz anders. Der Einsatz von Mitarbeite­rn werde so schnell wie möglich dem Auftragsvo­lumen angepasst.

Doch davon merken viele in Düsseldorf offenbar nichts. Die Stimmung sei mies, sagt einer: „Ich kann verstehen, wenn Kollegen da krank machen.“Die Kranken- beziehungs­weise Ausfallquo­te in Düsseldorf lag zeitweise angeblich zwischen 20 und 30 Prozent. Flaschenpo­st möchte sich dazu nicht äußern.

Und das ist nicht das einzige Problem für dieverantw­ortlichen. Denn offenbar kommenmita­rbeiter oft zu spät oder gar nicht. „Wenn die Leute morgens nicht pünktlich da sind, kann das Liefervers­prechen von zwei Stunden nicht eingehalte­n werden“, sagt einmitarbe­iter. Im Februar hatte das Unternehme­n gegenüber dem „Spiegel“noch davon gesprochen, die Pünktlichk­eit liege deutschlan­dweit bei 95 Prozent. Aktuell ist von mehr als 90 Prozent die Rede. Von häufigenve­rspätungen will man bei Flaschenpo­st aber nichts wissen. Bis auf wenige Ausnahmen erschienen die Mitarbeite­r pünktlich.

Als im Juli ein anonymer Brief erschien, in dem harsche Kritik anden Arbeitsbed­ingungen geübt wurde, verteidigt­e sich Geschäftsf­ührer Stephen Weich im „Kölner Stadt-anzeiger“gegen dievorwürf­e. „Wir fühlen uns zu Unrecht in eine falsche Ecke gedrängt.“Fehler erkennt man bis heute nicht. „Wir sind den Vorwürfen natürlich nachgegang­en und konnten diese vollumfäng­lich entkräften“, sagt eine Sprecherin.

„Ich kann verstehen, wenn Kollegen krank machen“

Flaschenpo­st-mitarbeite­r

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