Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Überwachungsverdacht bei Flaschenpost
tarbeiter erheben schwere Vorwürfe gegen den Getränke-lieferdienst. Das Start-up aus Münster steht nicht zum ersten Mal in der Kritik – und wehrt sich.
Flaschenpost hat rund 70 Millionen Euro von Investoren eingesammelt, doch die Mitarbeiter müssen als Dienstbekleidung Polo-hemden früherer Kollegen auftragen. Und selbst jene, die neue Kleidung vom Getränke-lieferdienst bekommen, werden nach eigenen Angaben so spärlich ausgestattet, dass sie gerade an heißentagen, an denen man verschwitzt die Wasserkisten in den fünften Stock liefern muss, mitunter kein sauberes Hemd mehr zum Wechseln haben. „Die Mitarbeiter müssen schnell waschen – oder die Sachen wieder schmutzig anziehen“, sagt ein Mitarbeiter achselzuckend.
Der Getränke-lieferdienst Flaschenpost ist für Investoren eines der spannendsten Projekte im Land. Die Hoffnungen sind groß, der Markt ist allein in Deutschland mit geschätzten 50 Milliarden Euro riesig. Entsprechend aggressiv treibt Flaschenpost daswachstum voran. Das Ziel ist klar: Platzhirsch werden, bevor Konkurrenten wie Durstexpress aus dem Hause Oetker aufholen.
Auf der Strecke bleiben dabei offenbar die Mitarbeiter, die immer wieder über miese Arbeitsbedingungen klagen. Ging es anfangs um Probleme wie Fahrzeuge ohne Klimaanlage, stehen nun auch juristisch heikle Vorwürfe im Raum. Frühere und aktuelle mitarbeit erberichten von permanenter Video überwachung in den Logistik zentren, von Vorgesetzten, die mit einer Abmahnung drohen, wenn jemand mal Pause machen will und einer Kultur, in der jeder Mitarbeiter ausgetauscht wird, dessen Leistung nicht stimmt.
Allein im Düsseldorfer Lager hängen mehrere Kameras in der Halle. „Die werden zur Überwachung der Mitarbeiter missbraucht“, sagt einer aus demunternehmen: „Die Halle ist in allen Ecken ausgeleuchtet und es wird auch aufgezeichnet.“Die Bilder könnten auch in der Zentrale in Münster angeschaut werden. Piet Meyer von der Gewerkschaft NGG ist alarmiert: „Sollte dies der Fall sein, ist diese Spionagemethodik auf das Schärfste zu verurteilen.“
Flaschenpost begründet den Einsatzmit dem Schutz vor Einbrüchen und Diebstählen. „Ein Zugriff auf diese Daten ist nur in begründeten Ausnahmefällen und mit vorheriger Genehmigung des Datenschutzbeauftragten möglich “, sagte in eSprecherin. Die Arbeitsleistungen der Mitarbeiter würden nicht ausgewertet. Ein Problem mit Mitarbeitern, die während der Arbeitszeit klauen, hat man unterdessen nach eigener Aussage nicht :„ Die Video aufzeichnungen dienender Prävention und Beweissicherung.“
Im Haus der Nrw- landes beauftragten für Datenschutz sieht man den Fall kritisch. „Generell kann eine Überwachung von Mitarbeitern nur ausnahmsweise zulässig sein, und zwar dann, wenn die Verhältnismäßigkeitsprüfung ergibt, dass die Interessen des Arbeitgebers überwiegen“, sagt ein Sprecher. Es müsse immer im Einzelfall geprüft werden .„ Wenn aber generell die einund ausgänge der Lager hallen sowie auch die Arbeitsabläufe überwacht werden, ohne dass hier auf den jeweiligen Einzelfall abgestellt wird, spricht Vieles dafür, dass es hierfür keine datenschutz rechtliche grundlage gibt “, so der Sprecher.
Auch an anderer Stelle wurde technisch zuletzt nachgebessert. Die Fahrzeuge wurden mit GPS-SENdern ausgerüstet. Laut Flaschenpost könne man demkunden so prognostizieren, wann seine Lieferung ankommt. Laut Mitarbeitern kann Flaschenpost so aber gleichzeitig sehen, ob diese vorschriftsmäßig ihre Route fahren – oder zwischendurch nochmal Pause beimcdonald’s machen und ob sie sich an die Verkehrsregeln halten.
Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung werden laut Flaschenpost nicht toleriert. Ein Mitarbeiter sagt jedoch: „Es ist gang und gäbe, dass Mitarbeiter zu schnell fahren.“Imdüsseldorfer Rheinufertunnel soll ein Fahrer mal mit 145 Stundenkilometern erwischt worden sein – erlaubt war nicht mal die Hälfte.
Namentlich zitieren lassen möchte sich kaum jemand aus Angst vor Konsequenzen. Wie die aussehen können, hat Florian Wieners am eigenen Leib erfahren. Der Student hat ein Jahr lang als Lagerist bei Flaschenpost in Münster gearbeitet. Nachdem er sich in einem Beitrag des WDR kritisch über die Arbeitsbedingungen geäußert hatte, wurde er zu einem Gespräch mit der Geschäftsleitung gebeten. „Das habe ich als sehr konstruktiv wahrgenommen“, sagt er. Doch wenig später bekam Wieners einen Anruf des Lagerleiters, in dem dieser ihm mitteilte, dass sein Vertrag nicht verlängert werde. „Begründet wurde das von ihm mit einem Auftragsrückgang“, sagt Wieners: „Ironischerweise hatte ich morgens noch eine E-mail bekommen, in der Lageristen für Doppelschichten gesucht wurden.“
Offenbar kein Einzelfall: „Mir wurde berichtet, dass die befristeten Verträge einzelner Beschäftigter, die sich in den letzten Wochen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen kritisch geäußert hatten, trotz vorheriger Zusage nicht verlängert wurden“, sagt Ngg-gewerkschafter Meyer. Flaschenpost widerspricht: Kritik, egal ob intern oder extern kommuniziert, führe nicht dazu, dass Arbeitsverträge nicht verlängert werden. Ob ein Vertrag verlängert werde, entscheide die individuelle Leistung des Arbeitnehmers, sagt eine Sprecherin. Dennoch sind viele Mitarbeiter lieber vorsichtig – immerhin hat der Großteil nur befristete Verträge.
Doch gegen Zusicherung von Anonymität sind viele bereit, über den Alltag bei Flaschenpost zu reden. Überstunden sollen vielerorts zur Tagesordnung gehören, auch wenn Flaschenpost das bestreitet. Man sei bemüht, die Anzahl der Überstunden auf ein Minimum zu beschränken. Lagerleiter sollen Mitarbeitern mit einer Abmahnung drohen, wenn diese ihre gesetzlich vorgeschriebene Pause antreten wollen. „Unsere Mitarbeiter sind dazu angehalten, die gesetzlichen Pausenzeiten einzuhalten“, sagt eine Flaschenpost-sprecherin: „Von Drohungen oder Ähnlichem haben wir keine Kenntnis und würden diese auch nicht tolerieren.“
Trotzdem ist diefluktuation offenbar hoch. Allein am Standort in Düsseldorf soll jeder zweite Mitarbeiter das Unternehmen inzwischen wieder verlassen haben oder wurde gekündigt, was Flaschenpost bestreitet. Viele Mitarbeiter seien seit dem ersten Tag beschäftigt. Es gebe aber durchaus einige Studenten, die übergangsweise Teil desteams seien, um kurzfristig Geld zu verdienen.
Dass diemitarbeiter Kleidung auftragen müssen, hängt damit natürlich zusammen. Laut Flaschenpost gebe man die Kleidung insbesondere auch ausgründen der Nachhaltigkeit nach einer professionellen Reinigung weiter. Ex-mitarbeiter Florian Wieners erinnert sich aber auch an andere Momente: „Speziell im Sommer war es oft ziemlich unappetitlich, wenn man als Spätschicht die Warnwesten von der Frühschicht übernehmen musste – und die Kollegen vorher schon stundenlang richtig reingeklotzt hatten.“
Möglicherweise hat die Sparsamkeit bei der Kleidung auch andere Gründe. Denn Geld wird für das Wachstum benötigt. 16 Standorte hat das Unternehmen aktuell – viele davon im Ruhrgebiet, wo zuletzt aber auch Konkurrent Durstexpress nach einemstandortleiter für ein geplantes Lager in Essen gesucht hat.
Die bestehenden Lager trimmt Flaschenpost wohl auch deshalb auf Effizienz. „Am Anfang war es bei Flaschenpost echt klasse“, sagt ein Mitarbeiter aus Düsseldorf. Im Mai 2018 hatte das Start-up hier sein Lager eröffnet. Inzwischen gebe es jedoch viel mehr Bestellungen, an der Zahl der eingesetzten Mitarbeiter habe sich jedoch nichts geändert. Beiflaschenpost sieht man das ganz anders. Der Einsatz von Mitarbeitern werde so schnell wie möglich dem Auftragsvolumen angepasst.
Doch davon merken viele in Düsseldorf offenbar nichts. Die Stimmung sei mies, sagt einer: „Ich kann verstehen, wenn Kollegen da krank machen.“Die Kranken- beziehungsweise Ausfallquote in Düsseldorf lag zeitweise angeblich zwischen 20 und 30 Prozent. Flaschenpost möchte sich dazu nicht äußern.
Und das ist nicht das einzige Problem für dieverantwortlichen. Denn offenbar kommenmitarbeiter oft zu spät oder gar nicht. „Wenn die Leute morgens nicht pünktlich da sind, kann das Lieferversprechen von zwei Stunden nicht eingehalten werden“, sagt einmitarbeiter. Im Februar hatte das Unternehmen gegenüber dem „Spiegel“noch davon gesprochen, die Pünktlichkeit liege deutschlandweit bei 95 Prozent. Aktuell ist von mehr als 90 Prozent die Rede. Von häufigenverspätungen will man bei Flaschenpost aber nichts wissen. Bis auf wenige Ausnahmen erschienen die Mitarbeiter pünktlich.
Als im Juli ein anonymer Brief erschien, in dem harsche Kritik anden Arbeitsbedingungen geübt wurde, verteidigte sich Geschäftsführer Stephen Weich im „Kölner Stadt-anzeiger“gegen dievorwürfe. „Wir fühlen uns zu Unrecht in eine falsche Ecke gedrängt.“Fehler erkennt man bis heute nicht. „Wir sind den Vorwürfen natürlich nachgegangen und konnten diese vollumfänglich entkräften“, sagt eine Sprecherin.
„Ich kann verstehen, wenn Kollegen krank machen“
Flaschenpost-mitarbeiter