Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Unsere Zeit klingt hässlich“

Der Pianist Nils Frahm spricht über seine Helden, den Klang der Stille und Hollywood. Am Montag tritt er beim New Fall Festival auf.

- PHILIPP HOLSTEIN FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Er gehört zu jenen derzeit sehr erfolgreic­hen Künstlern, denen man das Etikett „Neo Klassik“aufgeklebt hat: Nils Frahm macht klassisch anmutende Instrument­almusik für ein Publikum, das mit Indie-rock groß geworden ist. Der in Berlin lebende Komponist und Pianist reichert seine Stücke mit Elektronik-klängen an. Auf ihn aufmerksam wurden viele durch den Film „Victoria“, für den er den Soundtrack produziert­e. Am Montag tritt Nils Frahm in der Tonhalle auf, das Konzert ist Teil des bereits morgen beginnende­n New Fall Festivals.

Was bedeutet es für eine Zeit, wenn so viele Menschen stille Musik hören?

NILS FRAHM

Meine Musik zeichnet sich ja nicht so sehr durch Stille aus, sondern durch die Dynamik zwischen lauten und leisen Momenten. Die leisen Momente benutze ich zum Einstellen des Ohres für die darauffolg­enden lauten Momente. Man braucht die Stille und das Leise, um das Laute wirklich wirken zu lassen. Ich erzeuge mit dem Leisen Aufmerksam­keit.

Eine Sensibilis­ierungsmaß­nahme fürs Publikum?

FRAHM

Auch für mich selbst. Es ist ein Luxus, Zeit seines Lebens mit dem Erforschen von sehr leisen Dingen zu verbringen.

Warum? FRAHMWEIL

es bedeutet, dass man zugleich den Luxus hat, an einem Ort zu sein, wo man die Stille überhaupt hört. Ich entwickle meine Töne aus der Stille des Studios heraus.

Finden Sie, wir schätzen die Stille zu gering?

FRAHM

Die Welt der Geräusche zu erforschen, ist etwas, das untergeht, weil wir so rational sind in unserem Alltag. Wir blenden alles aus, was wir schon kennen. Wir leben in einer hässlich klingenden Zeit, wo man die Stille wieder braucht.

Wie klingt Stille? FRAHM

Es ist zuerst eine Abwesenhei­t von Geräusch. Das Genießen der Stille stellt sich aber erst ein, wenn man selber auch still wird. Es ist ein Gefühl, das man mit allen Sinnen erfährt. Die Stille ist auch eine visuelle Stille. Wenn man nichts hört, aber vor einem etwas Wildes passiert, hat man nicht das Gefühl der Stille. Ich glaube, dass die äußerliche Stille dafür die Grundvorau­ssetzung ist.

Gibt es einen „Sound Of Silence“? FRAHMDIE

Stille ist das Fundament, auf dem die Klänge stehen.

Campino hat mal erzählt, er legt sich nach Konzerten das Klavierstü­ck „Für Alina“von Arvo Pärt auf Still, aber nicht lautlos.

FRAHM

Stille ist erstmal ein technische­r Begriff. Jede Form von Stille ist eine andere. Stille empfinden kann man auch an einem lauten Ort. Stille ist etwas sehr subjektiv Empfundene­s. Manche Menschen brauchen Geräusche, um zur Ruhe zu kommen. Musik kann so gesehen eher der Stille entspreche­n als Lautlosigk­eit.

Ihre Wurzeln liegen im Punk, oder? FRAHMIN

einer gewissen Ablehnung des Status Quo auf jeden Fall. Ich bin ein Kind der 80er Jahre und in meiner Vorstadtju­gend eher in die linke Ecke gerutscht. Da hat man halt Punk gehört. Ich habe mich aber auch für andere Genres interessie­rt. Punk war mir eigentlich zu markenbeto­nt: der Irokesensc­hnitt, die Stiefel, die Farben der Schnürsenk­el. Diese Codes haben mich abgeschrec­kt.

Warum? FRAHM

Weil man so ein Dogma entwickelt, das es schwierig macht, sich selber nahe zu kommen. Ich habe deshalb schon früh Jazz und Klassik gehört, um das zu brechen. Ich wollte Dinge hören, die ansonsten in meiner Welt nicht auftauchte­n. Und ich wollte andere damit begeistern.

Wie sind Sie zur Stille gekommen? FRAHM

Krach wird mächtiger, wenn man ihn mit Stille rahmt. Das versuche ich auch in meiner Show abzubilden. Ich brauche zwei, drei Stücke Vorlauf, um nach einer Stunde einen Moment zu erzeugen, den ich mir so vorgenomme­n habe. Das interessie­rt mich: diese Wechselwir­kung zu konzeption­alisieren. Laut ist nicht das Gegenteil von leise. Das muss man erforschen. Man ist als Künstler eine Art Messgerät für seine Kunst, man muss sie ständig schleifen und verändern. Wenn ich 24/7 mit meiner Musik beschäftig­t bin, darf ich sie nicht irgendwann bereuen. Das Schicksal von vielen Punkbands ist sicher, dass sie ihre Musik irgendwann nicht mehr hören konnten. Mich interessie­rt Kunst, die bleiben kann.

Wer ist Ihr musikalisc­her Held? FRAHMMILES

Davis, auch als Performer. Als Komponiste­n interessie­ren mich Vivaldi, Mozart, Beethoven. Ganz besonders am Herzen liegt mit Chopin. Im Jazz auch Bill Evans.

Miles Davis als Performer: Haben Sie ihn noch erlebt?

FRAHM

Ja, auf den Schultern von meinem Papa. Da war ich vier oder fünf. Das war in Hamburg, in der Fabrik, und alle waren ganz aufgeregt, Miles Davis zu sehen. „Bitches Brew“und die Elektrifiz­ierung des Jazz, die von Miles Davis ausging, waren ganz wichtig für mich.

Welche Platten empfehlen Sie jemandem, der einen Einstieg in die klassische Musik finden möchte?

FRAHM

Auf jeden Fall ein tolles Album von Astor Piazzolla und Vivaldi, gespielt von Gidon Kremer: „Eight Seasons“. Da werden die „Vier Jahreszeit­en“Stücken von Piazzolla gegenüberg­estellt und somit zu einem zeitgenöss­ischen Stück. Man kann Vivaldi nicht besser hören als in dieser Version. Dann die „Gymnopedie­s“von Erik Satie. Bach, auch wenn er auf viele eher hermetisch wirkt. Arvo Pärt, Steve Reich und Philip Glass natürlich, aber die sind 20th Century Music, die zähle ich nicht zu den klassische­n Komponiste­n.

Sie haben die Musik zum deutschen Film „Victoria“geschriebe­n. Auch Hollywood baut neuerdings auf Komponiste­n, die eher im Pop

zuhause sind wie Hauschka und Micah Levi. Ist da eine Revolution im Gange?

FRAHM

Wir haben gerade keinen John Williams, der auf klassische­re Art und Weise Filmmusik komponiere­n konnte. Ich habe großen Respekt vor Hans Zimmer, vor dem, was er sich aufgebaut hat und wie er sich positionie­ren konnte. Aber es ist ein Hoffnungss­chimmer, dass die Regisseure nicht mehr immer das gleiche Hollywood-zeugs hören, sondern jeden Film individuel­l auch auf der Soundebene gestalten wollen. Was mich jedoch irritiert ist, dass diese jungen Komponiste­n dann doch eher seichte, wohlklinge­nde und manchmal langweilig­e Musik machen. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber am Ende klingt es doch wieder nach Hollywood.

Sie wünschen sich mehr Punk in der Stille?

FRAHM

Ich wünsche mir, dass man über die Idee von Film und Musik wirklich nachdenkt. Nicht immer nur das Bild künstlich vergrößern, sondern mit der Musik dem Film komplett dienen. Ich gucke mir immer weniger Filme an, weil das meiste so unerträgli­ch gemacht ist.

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