Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
„Unsere Zeit klingt hässlich“
Der Pianist Nils Frahm spricht über seine Helden, den Klang der Stille und Hollywood. Am Montag tritt er beim New Fall Festival auf.
Er gehört zu jenen derzeit sehr erfolgreichen Künstlern, denen man das Etikett „Neo Klassik“aufgeklebt hat: Nils Frahm macht klassisch anmutende Instrumentalmusik für ein Publikum, das mit Indie-rock groß geworden ist. Der in Berlin lebende Komponist und Pianist reichert seine Stücke mit Elektronik-klängen an. Auf ihn aufmerksam wurden viele durch den Film „Victoria“, für den er den Soundtrack produzierte. Am Montag tritt Nils Frahm in der Tonhalle auf, das Konzert ist Teil des bereits morgen beginnenden New Fall Festivals.
Was bedeutet es für eine Zeit, wenn so viele Menschen stille Musik hören?
NILS FRAHM
Meine Musik zeichnet sich ja nicht so sehr durch Stille aus, sondern durch die Dynamik zwischen lauten und leisen Momenten. Die leisen Momente benutze ich zum Einstellen des Ohres für die darauffolgenden lauten Momente. Man braucht die Stille und das Leise, um das Laute wirklich wirken zu lassen. Ich erzeuge mit dem Leisen Aufmerksamkeit.
Eine Sensibilisierungsmaßnahme fürs Publikum?
FRAHM
Auch für mich selbst. Es ist ein Luxus, Zeit seines Lebens mit dem Erforschen von sehr leisen Dingen zu verbringen.
Warum? FRAHMWEIL
es bedeutet, dass man zugleich den Luxus hat, an einem Ort zu sein, wo man die Stille überhaupt hört. Ich entwickle meine Töne aus der Stille des Studios heraus.
Finden Sie, wir schätzen die Stille zu gering?
FRAHM
Die Welt der Geräusche zu erforschen, ist etwas, das untergeht, weil wir so rational sind in unserem Alltag. Wir blenden alles aus, was wir schon kennen. Wir leben in einer hässlich klingenden Zeit, wo man die Stille wieder braucht.
Wie klingt Stille? FRAHM
Es ist zuerst eine Abwesenheit von Geräusch. Das Genießen der Stille stellt sich aber erst ein, wenn man selber auch still wird. Es ist ein Gefühl, das man mit allen Sinnen erfährt. Die Stille ist auch eine visuelle Stille. Wenn man nichts hört, aber vor einem etwas Wildes passiert, hat man nicht das Gefühl der Stille. Ich glaube, dass die äußerliche Stille dafür die Grundvoraussetzung ist.
Gibt es einen „Sound Of Silence“? FRAHMDIE
Stille ist das Fundament, auf dem die Klänge stehen.
Campino hat mal erzählt, er legt sich nach Konzerten das Klavierstück „Für Alina“von Arvo Pärt auf Still, aber nicht lautlos.
FRAHM
Stille ist erstmal ein technischer Begriff. Jede Form von Stille ist eine andere. Stille empfinden kann man auch an einem lauten Ort. Stille ist etwas sehr subjektiv Empfundenes. Manche Menschen brauchen Geräusche, um zur Ruhe zu kommen. Musik kann so gesehen eher der Stille entsprechen als Lautlosigkeit.
Ihre Wurzeln liegen im Punk, oder? FRAHMIN
einer gewissen Ablehnung des Status Quo auf jeden Fall. Ich bin ein Kind der 80er Jahre und in meiner Vorstadtjugend eher in die linke Ecke gerutscht. Da hat man halt Punk gehört. Ich habe mich aber auch für andere Genres interessiert. Punk war mir eigentlich zu markenbetont: der Irokesenschnitt, die Stiefel, die Farben der Schnürsenkel. Diese Codes haben mich abgeschreckt.
Warum? FRAHM
Weil man so ein Dogma entwickelt, das es schwierig macht, sich selber nahe zu kommen. Ich habe deshalb schon früh Jazz und Klassik gehört, um das zu brechen. Ich wollte Dinge hören, die ansonsten in meiner Welt nicht auftauchten. Und ich wollte andere damit begeistern.
Wie sind Sie zur Stille gekommen? FRAHM
Krach wird mächtiger, wenn man ihn mit Stille rahmt. Das versuche ich auch in meiner Show abzubilden. Ich brauche zwei, drei Stücke Vorlauf, um nach einer Stunde einen Moment zu erzeugen, den ich mir so vorgenommen habe. Das interessiert mich: diese Wechselwirkung zu konzeptionalisieren. Laut ist nicht das Gegenteil von leise. Das muss man erforschen. Man ist als Künstler eine Art Messgerät für seine Kunst, man muss sie ständig schleifen und verändern. Wenn ich 24/7 mit meiner Musik beschäftigt bin, darf ich sie nicht irgendwann bereuen. Das Schicksal von vielen Punkbands ist sicher, dass sie ihre Musik irgendwann nicht mehr hören konnten. Mich interessiert Kunst, die bleiben kann.
Wer ist Ihr musikalischer Held? FRAHMMILES
Davis, auch als Performer. Als Komponisten interessieren mich Vivaldi, Mozart, Beethoven. Ganz besonders am Herzen liegt mit Chopin. Im Jazz auch Bill Evans.
Miles Davis als Performer: Haben Sie ihn noch erlebt?
FRAHM
Ja, auf den Schultern von meinem Papa. Da war ich vier oder fünf. Das war in Hamburg, in der Fabrik, und alle waren ganz aufgeregt, Miles Davis zu sehen. „Bitches Brew“und die Elektrifizierung des Jazz, die von Miles Davis ausging, waren ganz wichtig für mich.
Welche Platten empfehlen Sie jemandem, der einen Einstieg in die klassische Musik finden möchte?
FRAHM
Auf jeden Fall ein tolles Album von Astor Piazzolla und Vivaldi, gespielt von Gidon Kremer: „Eight Seasons“. Da werden die „Vier Jahreszeiten“Stücken von Piazzolla gegenübergestellt und somit zu einem zeitgenössischen Stück. Man kann Vivaldi nicht besser hören als in dieser Version. Dann die „Gymnopedies“von Erik Satie. Bach, auch wenn er auf viele eher hermetisch wirkt. Arvo Pärt, Steve Reich und Philip Glass natürlich, aber die sind 20th Century Music, die zähle ich nicht zu den klassischen Komponisten.
Sie haben die Musik zum deutschen Film „Victoria“geschrieben. Auch Hollywood baut neuerdings auf Komponisten, die eher im Pop
zuhause sind wie Hauschka und Micah Levi. Ist da eine Revolution im Gange?
FRAHM
Wir haben gerade keinen John Williams, der auf klassischere Art und Weise Filmmusik komponieren konnte. Ich habe großen Respekt vor Hans Zimmer, vor dem, was er sich aufgebaut hat und wie er sich positionieren konnte. Aber es ist ein Hoffnungsschimmer, dass die Regisseure nicht mehr immer das gleiche Hollywood-zeugs hören, sondern jeden Film individuell auch auf der Soundebene gestalten wollen. Was mich jedoch irritiert ist, dass diese jungen Komponisten dann doch eher seichte, wohlklingende und manchmal langweilige Musik machen. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber am Ende klingt es doch wieder nach Hollywood.
Sie wünschen sich mehr Punk in der Stille?
FRAHM
Ich wünsche mir, dass man über die Idee von Film und Musik wirklich nachdenkt. Nicht immer nur das Bild künstlich vergrößern, sondern mit der Musik dem Film komplett dienen. Ich gucke mir immer weniger Filme an, weil das meiste so unerträglich gemacht ist.