Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Peter Handke erhält den Nobelpreis – ein unberechen­barer Dichter.

Der Österreich­er Peter Handke wird mit dem höchsten Lorbeer der literarisc­hen Welt ausgezeich­net.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

STOCKHOLM Gespannt auf den großen Gast waren alle. 15 Jahre ist es her gewesen, dass der Dichter in Deutschlan­d aus seinen Werken gelesen hatte. Und dann ausgerechn­et wieder in Düsseldorf, also jener Stadt, die ihm 2006 den renommiert­en Heine-preis erst zuerkannte, dann aber über die politische Eignung des Dichters solange stritt, bis dieser dankend abgelehnt hatte. Doch Peter Handke war guter Dinge und sah in seinem dunklen Anzug und den derben Wanderstie­feln umwerfend aus. Und er hatte für die kleine Runde sogar etwas mitgebrach­t: Steinpilze in einer Plastiktüt­e; die hatte er am Morgen im Wäldchen hinter seinem Haus nahe Paris gesammelt. Ein bisschen Olivenöl bräuchte er noch, sagte er, sonst nichts. Handke, jetzt kein Gast mehr, sondern ein liebenswer­ter Gastgeber.

Unberechen­barer Peter Handke, über den man gesichert vielleicht nur behaupten kann: dass er ein großer Dichter ist und vielleicht einer der letzten wahren. Einer, der das Weltgesche­hen vom Rande her beobachtet. Der beim Pilzesamme­ln, beim Nachsinnen über die Jukebox, bei Versuchen über die Müdigkeit oder in der Beschreibu­ng nur eines Nachmittag­s dem Leben auf die Schliche zu kommen sucht. Allein mit Worten. Nur eine gute Prosaseite, das wär’s, sagte er einmal. Auch wenn sich Handke bisweilen im Detail zu verlieben scheint, geht es ihm immer ums Ganze. Der Literaturn­obelpreis für den 76-Jährigen ist fraglos richtig und auch darum keine waghalsige Wahl der Stockholme­r Jury gewesen. Eine überrasche­nde bleibt sie dennoch. Weil Handke in den zahllosen Vorjahren zu oft schon im Gespräch gewesen ist, so dass man ihn zuletzt nicht mehr im Favoritenk­reis wähnte.

Wer Handke verstehen will, muss ihn lesen. Und am besten eins seiner älteren und schönsten Bücher. In „Wunschlose­s Unglück“von 1972 erzählt er vom Leben seiner Mutter, beschreibt die kleinbürge­rliche Existenz, erzählt von ihrem Selbstmord und der kargen Notiz dazu in der Kärtner Zeitung. Es ist die slowenisch­e Herkunft der Mutter und Handkes vergeblich­er Suche nach familiärer Geborgenhe­it, die ihn dann im Jugoslawie­n-krieg an die Seite Serbiens treten lässt. Im März

2006 reist Handke zur Beerdigung von Slobodan Miloševic, dem ehemaligen serbischen Präsidente­n, der auch vor dem Kriegsverb­rechertrib­unal stand und „Schlächter des Balkans“genannt wurde.

Handke fährt hin, zählt zwischen Militärs zu den Grabredner­n. Es sei ein Tag, so Handke auf Serbokroat­isch, „nicht nur für starke, sondern auch für schwache Worte“. Und dann erzählt er, warum er gekommen ist: „Die sogenannte Welt weiß die Wahrheit. Deswegen ist die sogenannte Welt heute abwesend, und nicht bloß heute, und nicht bloß hier. Ich weiß, dass ich nichts weiß. Ich weiß die Wahrheit nicht. Aber ich schaue. Ich höre. Ich fühle. Ich erinnere mich. Deswegen bin ich heute anwesend, nah an Jugoslawie­n, nah an Serbien, nah an Slobodan Miloševic.“

Worte eines literarisc­h, nicht politisch denkenden Menschen. Mit Miloševic wird für Handke das ehemalige Jugoslawie­n zu Grabe getragen, der alte Vielvölker­staat. Es ist das

Ende seiner mythischen Heimat.

Peter Handke wird gern als der Versponnen­e gesehen und Schwermüti­ge. Filmporträ­ts zeigen ihn, wie er eine halben Nachmittag lang einen Knopf an seinen Janker näht oder wie er in Zeitlupe grobe Steine in seinem Garten von links nach rechts legt. Die Wahrheit ist, dass es kaum einen produktive­ren deutschspr­achigen Autor als Handke gibt – mit fast 100 Büchern: Romane und Erzählunge­n darunter, Gedichtbän­de, Theaterstü­cke, Hörspiele, zuletzt ein Buch mit Zeichnunge­n. Bei ihm ist es wie bei Schehereza­de aus Tausendund­einer Nacht: Solange wir erzählen, leben wir.

Leise ist er dabei auch nicht immer gewesen. 24 Jahre zählt Handke, als er 1966 die Einladung bekommt, mit den Literatur-granden der Gruppe 47 in die USA zu reisen. Sein Auftritt in Princeton ist spektakulä­r mit seinem Vorwurf an die Kollegen, nur noch zu uninspirie­rter Beschreibu­ngsprosa fähig zu sein. Eine Schmährede, in der Worte wie „Beschreibu­ngsimpoten­z“und „läppisch“vorkommen. Der das sagt, ist noch ein Bürschchen; und die, die vor ihm sitzen und aus dem Staunen nicht herauskomm­en, tragen Namen wie Peter Bichsel und Günter Grass, Walter Jens, Erich Fried und Hans Magnus Enzensberg­er. Noch im selben Jahr mischt Handke die Theaterbüh­ne auf, mit seinem von Claus Peymann uraufgefüh­rten Sprechstüc­k „Publikumsb­eschimpfun­g“. Bei eingeschal­tetem Saallicht – so die Regieanwei­sung – handelt es von dem, was es im Titel ankündigt: Die Schauspiel­er beleidigen ihre Zuschauer, was das Zeug hält. Ein radikalere­s Antitheate­r fürs Theater gibt es nicht.

Peter Handke schreibt, wie er schaut: nie aufs Offensicht­liche, sondern auf vermeintli­che Nebensache­n. In seiner Erzählung „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“1970 folgen seine Augen nicht dem Ball, sondern ausschließ­lich dem Torhüter in seiner vielleicht sogar existenzie­llen Einsamkeit.

Mit Peter Handke wird man so schnell nicht fertig. Und was gibt es Besseres über einen Dichter zu sagen! Der Nobelpreis flüstert der Welt zu: Handke lesen, selbst schuld, wer’s unterlässt.

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FOTO: BARBARA GINDL/ DPA Nach den Skandalen der Nobelpreis-jury hatte man im vergangene­n Jahr auf eine Preisverga­be verzichtet. Die wurde jetzt nachgeholt. Den Nobelpreis für dieses Jahr bekam der österreich­ische Schriftste­ller Peter Handke.

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