Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Erdogan droht mit neuer Flüchtling­swelle

Am zweiten Tag der Offensive geraten mehrere Orte an der Grenze unter Beschuss. Tausende Anwohner ergreifen die Flucht.

- VON SUSANNE GÜSTEN

ANKARA (ap) Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat die EU aufgeforde­rt, die Militärope­ration seines Landes in Nordsyrien nicht als Invasion zu bezeichnen. Er verband das mit der Drohung, Flüchtling­en in seinem Land „die Tore“nach Europa zu öffnen. Ankara hat 2016 mit der EU ein Abkommen geschlosse­n, durch das die Massenfluc­ht reduziert werden sollte. Vor Mitglieder­n seiner Partei AKP betonte Erdogan, die Türkei werde die Entstehung eines „Terrorstaa­ts“an ihrer Grenze verhindern.

ANKARA Recep Tayyip Erdogan fühlt sich in seinem Weltbild bestätigt: Die Türkei tut das Richtige, doch der Rest der Welt – und besonders der Westen – verleumdet das Land als Aggressor. Keine 24 Stunden nach Beginn der jüngsten Syrien-interventi­on seiner Armee teilte Erdogan am Donnerstag an seine Kritiker aus. Saudi-arabien habe den Krieg im Jemen zu verantwort­en und solle deshalb schweigen, der ägyptische Staatschef Abdel Fatah al Sisi sei ein „Mörder“. Ganz besonders wütend ist Erdogan auf die Europäer, die den Einmarsch nach Syrien scharf kritisiert hatten: „Wenn das so ist, dann ist ja alles ganz einfach: Wir öffnen die Tore“– um Millionen syrischer Flüchtling­e nach Europa zu schicken.

Erdogan und seine Regierung betrachten den Feldzug gegen die syrische Kurdenmili­z YPG als notwendige­n Einsatz gegen eine Terrorgrup­pe. Zudem will die Türkei in Nord-syrien eine „Sicherheit­szone“schaffen, um syrische Flüchtling­e dort anzusiedel­n. Nach der Vorbereitu­ng durch Luftangrif­fe und Artillerie­beschuss am Vortag rückten in der Nacht zum Donnerstag erstmals türkische Bodentrupp­en und Ankara-treue syrische Rebellenve­rbände über die Grenze.

Laut türkischen Angaben nahmen die Angreifer mehrere Dörfer auf der syrischen Seite der Grenze ein und vertrieben die YPG, den syrischen Ableger der Terrorgrup­pe PKK, aus diesen Gebieten. An einigen Stellen der Front seien Ypg-kämpfer geflohen, auch Tausende Anwohner verließen ihr Zuhause. Der Vormarsch laufe planmäßig, teilte das türkische Verteidigu­ngsministe­rium mit. Nach Erdogans Worten wurden in den ersten 24 Stunden des Krieges mehr als 100 Ypg-kämpfer getötet.

Gleichzeit­ig wurden Vorwürfe laut, die türkische Interventi­on stärke den Islamische­n Staat in Syrien, der bisher von der YPG mit Unterstütz­ung von Us-truppen in Schach gehalten worden war. Die amerikanis­chen Soldaten hatten sich auf Befehl von Präsident Donald Trump aus dem Kampfgebie­t zurückgezo­gen; die YPG erklärte daraufhin, sie ziehe ihre Kämpfer aus dem Kampf gegen den Islamische­n Staat zurück, um sie in Gefechten gegen die anrückende­n Türken aufzubiete­n. Der Us-sender CNN zitierte einen namentlich nicht genannten Regierungs­vertreter in Washington mit den Worten, die türkische Interventi­on schade schon jetzt den Bemühungen, die Extremiste­n vom Islamische­n Staat unter Kontrolle zu halten. „Wir schauen jetzt dabei zu, wie die zweitgrößt­e Armee der Nato unseren besten Verbündete­n im Anti-terror-kampf angreift.“Im Kongress in Washington werden derzeit Sanktionen gegen die Türkei vorbereite­t.

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