Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Ein neues altes Phänomen
In immer neuen Ausprägungen gibt es seit etwa 50 Jahren rechtsextreme Terroranschläge in Deutschland. Zu einer intensiven Auseinandersetzung hat dieser Umstand nicht geführt.
Es ist eine eindeutige Warnung des Generalbundesanwalts, die er in den „Tagesthemen“ausspricht. Im Terror von rechts, sagt er, sehe er ein „sehr ernst zu nehmendes Langzeitproblem für Staat und Gesellschaft“. Die Bundesrepublik hat gerade eine Reihe von rechtsextrem motivierten Anschlägen hinter sich.
Das war 1981. Der Generalbundesanwalt hieß Kurt Rebmann, Nachfolger des von der RAF ermordeten Siegfried Buback. Rebmanns Amtszeit war daher vom Kampf gegen die linken Terroristen geprägt. Seine Warnung, der Terror von rechts sei ein Langzeitproblem für Staat und Gesellschaft, ist umso bemerkenswerter.
Terroranschläge aus dem rechtsextrem motivierten Spektrum kennt die Bundesrepublik seit etwa 50 Jahren. Dass nach dem Attentat in Halle an der Saale trotzdem von einer neuen Qualität die Rede ist, hat zwei nennenswerte Gründe. Erstens, weil die Ausführung der Tat wirklich neu ist. Und zweitens, weil sich nie ein relevantes Bewusstsein für die Gefahr rechten Terrors in Deutschland entwickelt hat.
Der mutmaßliche Täter von Halle verfügt über ein antisemitisches, rassistisches Weltbild. Er wollte offenbar möglichst viele Juden töten, die er – der Urfassung des Antisemitismus entsprechend – für alles Übel verantwortlich macht. Aus Sicht des Tatverdächtigen bekämen Frauen zu wenig Kinder, deswegen würden Flüchtlinge nach Deutschland geholt, und Schuld an alldem hätten Juden. Das geht aus seinen Publikationen hervor, einem Livevideo und einem Pdf-dokument.
Die Gesinnung des 27-Jährigen ist in der Szene nicht ungewöhnlich. In unterschiedlichen Ausprägungen teilen sie viele Vertreter der Neuen Rechten. Sie verbindet ein derber Ausländerhass und unterschwellig transportierter, struktureller Antisemitismus. Ungewöhnlich an der Tat von Halle ist ihre Ausführung.
Rechte Terroristen haben in der Historie, anders als linke Terroristen, fast ausnahmslos auf klare Bekennerschreiben verzichtet. Der Hallenser Tatverdächtige streamte seinen mutmaßlichen Angriff live im Internet und veröffentlichte eine Art Motivationsschreiben. Dabei nutzte er auch die englische Sprache, wohl in der Hoffnung, seine Menschenverachtung verbreite sich so einfacher auf der ganzen Welt. Nicht zu Unrecht.
Generalbundesanwalt Peter Frank sprach von einem „doppelten Nachahmer“. Der mutmaßliche Täter habe einerseits eine Tat wie im neuseeländischen Christchurch kopieren, andererseits andere inspirieren wollen. Das Konzept des vermeintlichen einsamen Wolfs, der seine Tat allein begeht, aber über ein rechtsextremes Motivationsumfeld im Internet verfügt, hat spätestens seit dem Massaker in Norwegen 2011 einige Nachahmer gefunden. Deutschland blieb davon bis Mittwoch verschont.
Noch ist wenig über die Hintergründe in Halle bekannt. Dass aber einer eine Tat allein begeht, heißt nicht, dass er ein Einzeltäter ist. Das Internet bietet heute mannigfaltige Möglichkeiten der Vernetzung. Es gibt Portale im Darknet, wo sich potenzielle Terroristen inspirieren können. Es gibt die ganz gewöhnlichen digitalen Netzwerke, in denen offen Gewaltverbrechen verherrlicht und angekündigt werden.
Den früheren rechten Attentätern stand das Internet nicht als Netzwerk zur Verfügung. Sie mussten sich in der Realität verbinden, was sie etwa in der „Wehrsportgruppe Hoffmann“, der „Aktion Widerstand“oder der „Hepp-krexelGruppe“taten. Vielleicht hießen die Mitglieder dieser Gruppen heute auch „Einzeltäter“, wenn sie sich digital, also vermeintlich unsichtbar, verknüpfen würden. Aber auch als Gruppen sind sie, bis auf wenige Ausnahmen, nicht im Kollektivgedächtnis der Bundesrepublik.
Seit Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre gab es kontinuierlich rechtsextreme Anschläge in Deutschland – nur eine winzige Auswahl: Oktoberfest 1980, Solingen 1993, Düsseldorf ( Wehrhahn) 2000. Trotzdem erschienen die Mordserie des NSU, der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und nun der Angriff auf eine Hallenser Synagoge wie jeweils neue Eskalationsstufen. Das liegt auch an einem mangelnden Bewusstsein für die Bedrohungslage.
Ganze Phasen der Bundesrepublik wurden durch die Gefahren von linkem und islamistischem Terrorismus geprägt. Das hat sich in das Gedächtnis der Deutschen eingebrannt. Trotz der langen Geschichte hat es diese Phase bei rechtsextremem Terrorismus nie gegeben. Eine längere, intensive Auseinandersetzung in der breiten Öffentlichkeit mit der Gefahr des rechten Terrors hat nicht stattgefunden.
Möglicherweise, weil Taten juristisch anders eingestuft worden sind. Weil Taten nie gänzlich ausermittelt wurden. Weil Täter einfach als Einzeltäter abgetan wurden. Selbst die Debatte über die Verbrechen des NSU hat die Bedrohung von rechts nicht dauerhaft präsent gehalten.
Rechter Terror in Deutschland ist nicht neu, aber er erfindet sich immer wieder neu.