Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
„Es geht der Union nicht gut“
Der Ministerpräsident des Saarlands warnt vor einem Niedergang seiner Partei, wenn Personaldebatten weiter die Sacharbeit überlagern.
SAARBRÜCKEN Tobias Hans ist ein politisches Ziehkind von Annegret Kramp-karrenbauer im Saarland. Der 41-jährige Ministerpräsident stellt sich jetzt vor die angeschlagene Cdu-chefin und gegen die Junge Union, wenn es um die Entscheidung über die nächste Kanzlerkandidatur geht. Am Freitagabend wird er sich mit der JU bei deren Kongress in Saarbrücken darüber streiten.
Herr Hans, was halten Sie von dem Antrag, die Parteibasis mit einer Urwahl über die nächste Kanzlerkandidatur entscheiden zu lassen? HANS Die Junge Union muss immer rebellisch sein. Das schätze ich sehr. Aber sie muss überlegen, ob sie wirklich eine Urwahl will. Wir erleben derzeit eine Krise beider Volksparteien. Deshalb darf die CDU nicht den gleichen Fehler machen wie die SPD und sich in Personaldebatten verlieren, sonst werden ihre Umfragewerte weiter sinken. Die Union muss jetzt weiter Sacharbeit leisten und die Frage der Kanzlerkandidatur dann entscheiden, wenn sie ansteht. Das ist derzeit nicht der Fall. Wir sind bisher gut damit gefahren, die Kanzlerkandidatin oder den Kanzlerkandidat von den Spitzen von CDU und CSU gemeinsam bestimmen zu lassen. Wenn es so weit ist, habe ich die Hoffnung, dass wir das in großer Geschlossenheit hinbekommen. Dann wird es nur einen Kandidaten oder eine Kandidatin geben, und dann brauchen wir auch keine Urwahl.
Der Ju-kongress wird ein Schaulaufen der möglichen Kandidaten: Kramp-karrenbauer, Jens Spahn, Friedrich Merz, Armin Laschet, Markus Söder werden da sein. Der Ju-deutschlandtag als Pulsmesser? HANS Die JU ist wichtig für die Frage, wie es der Partei geht. Ohne sie lässt sich kein Wahlkampf gewinnen. Das wissen wir alle. Ich freue mich, dass so viele hochkarätige Unionspolitiker nach Saarbrücken kommen. Vor zwei Jahren hatten alle noch gedacht, außer Angela Merkel könne niemand die Partei und das Land führen. Nun wird gleich mehreren Persönlichkeiten zugetraut, große Verantwortung zu übernehmen. Das ist doch gut.
Laut Umfragen sinkt gerade das Vertrauen in Annegret Kramp-karrenbauer, mehr Verantwortung zu übernehmen. Sie kennen sie besser als viele andere. Wie erklären Sie sich die momentane Schwäche? HANS Es geht der Union nicht gut. Wir haben seit Längerem keine wirklich zufriedenstellenden Wahlergebnisse. Und vieles, was schief läuft, wird automatisch der Parteivorsitzenden angelastet. Aber man muss auch wissen, dass man nicht innerhalb eines Jahres als Parteichefin das Ruder komplett herumreißen kann. Annegret Kramp- Karrenbauer ist auf gutem Weg, der CDU wieder mehr Selbstbewusstsein zu geben, und hat bereits überfällige Debatten angestoßen. Da sollte uns der Mut nicht verlassen, auch wenn die Umfragen derzeit nicht besonders erfreulich sind. Auch dies wird wieder besser werden.
Wird die Machtpartei CDU jemandem die Kanzlerkandidatur überlassen, der oder die unpopulär ist? HANS Annegret Kramp-karrenbauer ist eine Kämpferin und eine sehr erfahrene Politikerin. Außer ihr hat keiner unterhalb von Merkel eine so breite Erfahrung in Regierungsämtern und mit Wahlkämpfen. Sie hat immer gezeigt, dass sie eine Situation in letzter Minute noch drehen
und ins Positive wenden kann. Das hat sie erfolgreich in vielen Wahlen bewiesen. Ich bin sicher: Sie wird sich behaupten.
Wird sie sich als Kanzlerkandidatin behaupten?
HANS Sie hat als Parteivorsitzende das erste Zugriffsrecht.
Zum Schwerpunkt Digitalisierung: Wie wollen Sie eine Spaltung zwischen der jungen digitalen Generation und analogen älteren Menschen verhindern?
HANS Es gibt nicht die digitale Welt und die analoge Welt. Es gibt nur eine Welt. Und die sogenannte Provinz gibt es nicht mehr. Die jungen Leute auf dem Land ticken heute nicht anders als in der Stadt: New York, Rio, Tokio, Püttlingen. Es wird nicht mehr menschliche Ansprechpartner an jedem Ort geben, der Fleischer, der Bäcker, die Bank und die Post werden nicht mehr einzeln in allen Gemeinden bestehen bleiben. Dennoch wird immer noch ein Mensch da sein, der hilft, Angebote auf dem Tablet zu verstehen. Das kann der Ortsvorsteher mit einem Team sein.
Im Saarland wollen die beiden großen Stahlunternehmen ein Fünftel der Mitarbeiter abbauen. Sind das Auswirkungen der Us-strafzölle? HANS Selbstverständlich macht sich der Handelskonflikt zwischen den USA und China bei uns bemerkbar. China wirft den Stahl nun zu Dumpingpreisen auf den europäischen Markt, und wir haben wegen des Brexits Absatzschwierigkeiten auf dem britischen Markt. Auch die Automobilbranche hat Probleme. Und die hochenergetische Produktion von Stahl wird noch teurer durch die Co2-bepreisung. Wir erleben momentan eine so prekäre Situation, dass mittelfristig das Ende der kompletten deutschen Stahlindustrie droht. Wenn wir das in Kauf nehmen, zerstören wir eine Schlüsselindustrie im Land und erweisen dem Klimaschutz einen Bärendienst, weil der Stahl dann andernorts klimaschädlicher erzeugt wird.
Was soll die Kanzlerin tun?
HANS Es ist eine nationale Aufgabe, dieser Gefahr zu begegnen. Wir brauchen dafür einen nationalen Konsens ähnlich wie beim Kohleausstieg. Das Bundeskabinett muss sich zur Stahlproduktion bekennen und Innovationen bei der Umstellung auf eine klimaneutrale Stahlproduktionstechnik fördern. Wir brauchen ein massives Finanzierungsprogramm, um eine mit Wasserstoff oder mit Gas betriebene Stahlerzeugung voranzutreiben. Es muss ein Milliardenbetrag sein. Das können nicht die Bundesländer mit den Stahl-standorten leisten.