Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Löws neuer Musterschü­ler

Beim 2:2 gegen Argentinie­n zeigt Serge Gnabry erneut eine starke Leistung im Dfb-dress. In der Startelf von Bundestrai­ner Joachim Löw hat der Offensivsp­ieler von Bayern München längst einen festen Platz.

- VON ROBERT PETERS

DORTMUND Es war mal wieder an der Zeit für die alte Geschichte von dem Fußballspi­el, das zwei so verschiede­ne Hälften hatte. Bundestrai­ner Joachim Löw erzählte sie so: „Die erste Halbzeit war schon sehr, sehr stark. Wir waren sehr mutig, sehr beherzt. In der zweiten Halbzeit waren die Argentinie­r sehr stark.“Sein Kapitän Joshua Kimmich bemühte die leicht abgewandel­te Version: „Die erste Halbzeit war sehr gut, in der zweiten Halbzeit haben wir zu früh die Bälle verloren. Dann kriegen wir die Gegentore.“Zusammenge­setzt ergaben die beiden Hälften im mit gerade mal 45.000 Zuschauern eher unterdurch­schnittlic­h besetzten Stadion in Dortmund ein stimmiges Ganzes: Deutschlan­d trennte sich im Freundscha­ftsspiel von Argentinie­n mit 2:2. Leistungsg­erecht, wie es immer so schön heißt.

Löw war trotzdem zufrieden. Er habe „sehr viele positive Erkenntnis­se gewonnen“, erklärte er, „Kompliment an meine Mannschaft, die mit so viel Herz und Mut gespielt hat. Das war sehr vielverspr­echend.“Er meinte natürlich die erste Hälfte der Begegnung und vielleicht noch zehn Minuten nach der Pause, in der seine extrem ersatzgesc­hwächte Mannschaft eine in Anbetracht der personelle­n Möglichkei­ten „verdammt gute Leistung“geboten hatte.

Namentlich seine Debütanten überzeugte­n. Zum Beispiel der Freiburger Verteidige­r Robin Koch, der innerhalb von ein paar Tagen diesen Werdegang hatte: Am Wochenende war er noch allenfalls ein Perspektiv­spieler für irgendwann, am Montag infolge einer der erstaunlic­hsten Absagewell­en der Länderspie­lgeschicht­e nachnomini­ert, und am Mittwoch stand er plötzlich in der Startelf, weil sich ein anderer möglicher Debütant, der Berliner Niklas Stark, mit Magen-darm-beschwerde­n abmelden musste. Koch erledigte den Job im Zentrum der Abwehr-dreierkett­e ohne einen erkennbare­n Hauch von Nervosität. „Sehr stabil, sehr selbstbewu­sst“, sagte Löw. Und ein bisschen hörte man das Staunen heraus.

Oder Kochs Mannschaft­skollege Luca Waldschmid­t. Der Freiburger Stürmer hetzte wie ein Hase hinter den Argentinie­rn her und leistete damit wichtige Beiträge für ein TIAN CHARISIUS/DPA

lange Zeit mutiges, schwungvol­les Auftreten seiner Mannschaft. Beide haben bewiesen, dass sie brauchbare Alternativ­en zu den Stammspiel­ern sind. Das findet Löw selbstvers­tändlich gut. „Konkurrenz­kampf ist immer wichtig“, erklärte er.

Schon am Sonntag im Em-qualifikat­ionsspiel in Estland wird Waldschmid­t diesen Konkurrenz­kampf aber vermutlich von der Ersatzbank bestreiten. In Marco Reus und Timo Werner stehen zwei der Spieler wohl wieder bereit, die dem Freiburger an Erfahrung und vermutlich auch an Klasse überlegen sind. Koch könnte zum zweiten Mal in Folge gebraucht werden, denn Stark wird ebenso weiter ausfallen wie der an einer fiebrigen Erkältung leidende Jonathan Tah. Die anderen möglichen Innenverte­idiger Matthias Ginter, Antonio Rüdiger und Thilo Kehrer werden ohnehin keine Spontanhei­lung ihrer Verletzung­en erleben.

In Estland wird das nicht so sehr ins Gewicht fallen. Auch der notgedrung­en tüchtig verjüngten Mannschaft, die gegen das ebenfalls ohne die ganz großen Namen angetreten­e Argentinie­n ein 2:2 zu Wege brachte, dürfte ein Erfolg beim baltischen Fußballzwe­rg zugetraut werden. Und sie wird wahrschein­lich nicht nur durch Reus und Werner, sondern auch durch Ilkay Gündo

gan verstärkt.

Einer wie er, der in kritischen Phasen ein Spiel beruhigen und mal auf die Bremse treten kann, wenn der Gegner stärker wird, fehlte den Deutschen gegen Argentinie­n. Sie leisteten sich nach der Pause viele Ballverlus­te, mussten oft hinterherl­aufen und gerieten völlig folgericht­ig bildschön ins Schwimmen. Da hatte der Nachwuchs zu wenig Halt, die eingewechs­elten Suat Serdar und Nadiem Amiri hätten eine starke Schulter gebraucht. Und sogar Spieler von internatio­naler Klasse wie Torwart Marc-andré ter Stegen und Kapitän Kimmich machten unter Druck Fehler.

Gegen die Esten werden sie vermutlich nicht so sehr unter Druck stehen. Da kommt es eher darauf an, einen Abwehrrieg­el zu knacken. Wichtiger Hebel bei diesem Versuch: Serge Gnabry. Vor ein paar Monaten hat Löw ihm mal jenen Garantiesc­hein ausgestell­t, den Louis van Gaal einst dem Bayern-stürmer Thomas Müller unterschri­eb. Van Gaal sagte: „Müller spielt immer.“Löw sagte: „Bei mir spielt Gnabry immer.“Der Münchner Angreifer zeigte auch gegen die Argentinie­r, warum das so ist. Er hat die Dynamik, vor der sich Verteidige­r fürchten, er kann sich auf engem Raum durchsetze­n, er nimmt seine Nebenspiel­er wahr. Und: Er schießt Tore. In elf Länderspie­len sind es schon zehn. Das ist eine traumhafte Quote. Die Schlusspha­se, in der das Spiel zugunsten der Argentinie­r kippte, erlebte Gnabry auf der Bank. Löw schonte ihn für die nächsten Aufgaben. „Wir brauchen ihn“, betonte der Trainer. Wer das immer noch nicht wusste, der hat es Dortmund wieder mal gesehen. Vor allem in der einen, der ersten Hälfte.

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FOTO: CHRIS- Als Gnabry im Spiel gegen Argentinie­n in der 71. Minute für den Schalker Suat Serdar Platz macht, belohnt ihn Bundestrai­ner Joachim Löw angesichts der guten Leistung mit einer Umarmung.

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