Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Die Nationalmannschaft spielt wieder Fußball
Die Dfb-auswahl hat viel Kredit verspielt. Doch so langsam kämpft sie sich aus dem Leistungstief heraus. Es wächst eine spannende Spielergeneration heran. Auch abseits des Feldes geschah Bemerkenswertes.
Das Bild entsprach nicht dem Selbstverständnis des Deutschen Fußball-bundes (DFB). Das Dortmunder Stadion im Test gegen Argentinien war bei weitem nicht ausverkauft. Nur 45.000 Zuschauer – oder immerhin. Natürlich eine Frage der Sichtweise. Der Fußball im Allgemeinen, die Nationalmannschaft im Speziellen hat viel Kredit verspielt. Es ist nicht mehr alles ein Selbstläufer. Joachim Löw hat sich lange schwer damit getan, den Umbruch einzuleiten, zu sehr hing er an dem, was er selbst geschaffen hatte. Mittlerweile sieht man immer besser: Der deutsche Fußball hat nach wie vor einiges zu bieten, gleichwohl hat er aber auch mindestens ein paar größere Defizite.
Zunächst die beruhigende Erkenntnis: So viele kreative Spielertypen gab es selten in Reihen der deutschen Nationalmannschaft. Serge Gnabry, Kai Havertz, Julian Brandt. Wenn sie noch etwas effektiver werden, dann ist das schon eine stattliche Auswahl an Hochbegabten. Ob sie die Mentalität mitbringen, große Titel zu holen, eine Charaktereigenschaft, die besonders in Dortmund eine gewichtige Rolle spielt, wird sich erst in den kommenden Turnieren erweisen müssen. Vorsichtige Zweifel sind mindestens angebracht.
Die Dfb-auswahl wird weiter abliefern müssen, um Werbung in eigener Sache zu machen. Die Errungenschaften von 2014 verblassen immer mehr. Das ist vor allem eine Chance für die aktuelle Generation. Frei aufspielen kann man in einer deutschen Nationalmannschaft nie, dafür sind die Erwartungen an die Auswahl einfach zu gigantisch. Und klar ist auch: nur durch konstant gute Leistungen wird auch das Publikum wieder begeistert werden können. Der DFB braucht weniger Inszenierung, mehr Individualität, mehr Glaubwürdigkeit.
Es gab diesen einen Moment beim Länderspiel in Dortmund, der so viel mehr war, als jemals eine Choreografie des Fan-clubs powered by Coca Cola bewirken könnte. Als die Mannschaften sich zu einer Schweigeminute für die Opfer von Halle an der Saale am Mittelkreis versammelt hatten, wollte ein Zuschauer auf der Südtribüne die Nationalhymne anstimmen und grölte: „Einigkeit und Recht und Freiheit.“Im Publikum machte sich Unmut breit, weil es die Mehrheit als völlig unpassend in der Gemengelage empfunden hat, die Ruhe zu stören. Nach einem kurzen Augenblick rief ein Fan: „Halt die Fresse!“Der Krakeeler verstummte sofort, das Publikum applaudierte lautstark. Und auch die Nationalspieler fanden sichtbar Gefallen an der Reaktion.
So viel Einheit war schon lange nicht mehr bei einem Länderspiel. Ein wichtiges Signal.