Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Die Geschichtenerzählerin
Die ehemalige Lehrerin Ruth Schleyer aus Gerresheim bietet lebendige Führungen durch Düsseldorf an – mit wachsendem Erfolg.
GERRESHEIM Es begann ganz harmlos: Lehrerin Ruth Schleyer machte Anfang der 90er Jahre mit ihrer Latein-gruppe eine Paris-reise. Hintergrund war die Geschichte von Héloise und Abélard im Mittelalter, die Schüler hatten deren Liebesbriefe ins Deutsche übersetzt, jetzt sollte unter anderem das Grabmal des gelehrten Paares aus dem 12. Jahrhundert besucht werden. „Oh Gott, das ganze Organisieren, ich dachte, das könnte ich nie“, blickt die ehemalige Pädagogin am Goethe-gymnasiummit Schaudern zurück. Wenn sie aber nun mal etwas machen musste, dann machte sie es auch richtig. Penibel bereitete sich Ruth Schleyer vor, die Reise wurde ein Erfolg – und fortan eine Institution am Goethe. Jedes Jahr aufs Neue freuten sich Französisch- oder Latein-schüler auf den Trip in die französische Hauptstadt. „Ich habe mich immer entsprechend eingelesen, wollte bei Ausflügen die Jugendlichen ja nicht langweilen. Aber ich habe gemerkt, dass sie mir zuhörten und dass es offenbar gut bei ihnen ankam, was ich erzählte und wie ich es erzählte.“
Der Tag kam, als Ruth Schleyer aus dem Schuldienst ausschied. Und ihre ehemalige Direktorin sie bat, doch für sie und ein paar Kollegen eine kleine Führung rund um die Schumacher-brauerei an der Oststraße zu organisieren, wo sie später einkehren wollten. „Da ist doch gar nichts Besonderes, was sollte ich denen da denn zeigen?“, fragte sich die Gerresheimerin. Aber sie setzte sich auch dieses Mal wieder hin und stellte mit Sorgfalt etwas zusammen, über die Geschichte der Berliner Allee, wie sich die Innenstadt entwickelt, dermartin-luther-platz, das Ingenhoven-tal, und sie führte die Teilnehmer ins japanische Viertel rund um die Immermannstraße. „Alle waren glücklich, und spätestens da habe ich gemerkt, das ist was für mich“, sagt Schleyer.
2017 machte sie eine Schulung bei Düsseldorf Tourismus als Guide mit dem Ziel, privat Führungen anbieten zu können, die sie selbst konzipiert hat. „Free Walking Tours“ist das internationale Fachwort für so etwas. Ruth Schleyer stellt die Führungen immer unter ein bestimmtes Thema und gibt der Tour einen verführerischen Titel: „Märchenhafte Kö – die Schöne und ihr (Bau) Schmuck“etwa. Oder: „Der Kammerherr von Jan Wellem führt durch die barocke Altstadt“. Und natürlich: „Was Sie immer schon über Gerresheim wissen wollten“.
Ruth Schleyer verschweigt dabei lieber ein paar Fakten und erzählt durchaus gestenreich und emotional eine zusammenhängende Geschichte, „der rote Faden ist mir wichtig“, sagt sie. Um für den Gerresheimer Kulturkreis Führungen vor ihrer Haustür anbieten zu können, hat sie sich drei Monate in die Historie von St. Margareta und alles, was dazugehört, eingearbeitet. Jetzt kann sie ihren Zuhörern vieles über die schöne Agnes von Mansfeld, die Kanonissin des Stifts Gerresheim, und ihren edlen Ritter erzählen, deren unheilvolle Liaison im Truchsessischen Krieg mündete. „Da hängen mir die Zuhörer an den Lippen“, sagt Schleyer.
Ihre Gruppen haben nie mehr als zwölf Teilnehmer, eine Führung
sollte höchstens 90 Minuten dauern. Der Preis liegt stets unter zehn Euro pro Person. Ruth Schleyer arbeitet auch für die Kulturliste, die Menschen mit geringem Einkommen kulturelle Erfahrungen ermöglicht. Und sie bietet ihre Führungen bei Bedarf in englischer oder französischer Sprache an. „Ich erzähle nie alles, was ich weiß, die Leute sollen ja noch Fragen stellen können“, sagt die 67-Jährige. In ihrem Kopf hat sie noch viele weitere Ideen für ausgefallene Touren durch die Stadt, „Düsseldorf hat doch so viel zu bieten, und ich sehe es auch als meine Aufgabe an, den Menschen davon zu erzählen, denn ein Großteil ist kaum bekannt.“Und neben vielen Informationen und Insider-tipps bekommen die Menschen von Ruth Schleyer auch immer etwas, für das sie garantieren kann: „Ein Lächeln.“