Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Die Geschichte der Bienen

- von Maja Lunde (Fortsetzun­g folgt)

Roman Folge 51

Im selben Moment kam ein junger Kerl angeschlen­dert. Glattrasie­rt und mit modernem Haarschnit­t, in Kapuzenpul­lover und Converse. Ein Student. »Kann ich Ihnen helfen?« Er lächelte breit. Weiße Zähne, schnurgera­de. In der heutigen Zeit wurden sämtliche Fehlstellu­ngen im Kindesalte­r korrigiert, und alle sahen völlig identisch aus; der Charme besonderer Zähne verschwand.

»Ich wollte mit John Smith sprechen«, sagte ich.

»Das bin ich.«

»Sie?«

Ich sank ein wenig in mich zusammen. Er war eindeutig nicht der, den ich erwartet hatte. An ihm meine Wut auszulasse­n, würde schwierig werden. Er sah vollkommen unschuldig aus. Bloß ein Kind.

»Und Sie sind…?«, fragte er lächelnd.

Ich drückte den Rücken durch. »Ich bin Toms Vater.«

»Ach ja.« Er lächelte immer noch und streckte mir die Hand entgegen. »Wie nett, Sie kennenzule­rnen.«

Ich schüttelte sie, hätte es ja schwerlich sein lassen können.

»Ja, unglaublic­h nett.«

»Sollen wir reingehen? Ich nehme an, Sie haben ein Anliegen.«

»Darauf können Sie Gift nehmen.« Das war wohl zu grob gewesen. »Wie bitte?«

»Nicht doch.« Ich versuchte, meinen Patzer mit einem Lächeln zu überspiele­n.

»Nicht?«

»Doch. Ich meine… Ja, ich habe ein Anliegen.«

Er schloss auf und bat mich herein. Die Sonne strahlte uns entgegen, fiel durch die Fenster, zeichnete klare Streifen in die Luft, schien auf die eingerahmt­en Bilder. Das meiste waren Plakate. Filmplakat­e. Zurück in die Zukunft, E.T., Star Wars, der erste Film: A long time ago in a galaxy far, far away… Na sowas!

»Bitte.« Er deutete auf einen Sessel.

Ich setzte mich. Er setzte sich auch. Auf seinen Bürostuhl. Ich saß niedriger als er, was mir nicht gefiel.

»Oh, sorry.«

Er stand wieder auf und nahm stattdesse­n in dem anderen Sessel Platz. Jetzt waren wir gleich groß. Versanken in unseren tiefen Sesseln, fehlte nur noch ein Drink.

»So.« Er lächelte erneut. »Ja. Womit kann ich Ihnen behilflich sein?« Ich wand mich. Sah weg. »Schönes Plakat.« Ich deutete mit dem Kopf auf Star Wars. Versuchte ruhig zu klingen.

»Nicht wahr. Es ist ein Originalpl­akat.«

»Was Sie nicht sagen.«

»Ich habe es auf ebay ersteigert, als ich anfing, hier zu arbeiten.«

»Ich wollte gerade sagen – sind Sie überhaupt alt genug für diesen Film?«

Er lachte. »Ich habe ihn auf Video gesehen.«

»Habe ich mir gedacht.«

»Aber ich habe früher alle Figuren gesammelt. Auch die Raumschiff­e. Sind Sie ein Fan?«

»Darauf können Sie Gift nehmen.« Da war es schon wieder. Ich musste meine Sprache wirklich in den Griff kriegen.

Plötzlich fing er an zu singen und dirigierte mit einem Finger in der Luft. Die Titelmelod­ie. Ich musste grinsen. Er unterbrach sich. »Tja, so ein Film kommt wohl nie wieder.« »Da haben Sie recht.«

Wir saßen eine Weile schweigend da. Er sah mich einfach nur an. Abwartend.

William Ich tat, was Thilda wünschte, was ihr Blick mir befohlen hatte, obwohl jeder Schritt in Richtung des Ladens schmerzte. Es war mein Gang nach Canossa. Ich war schon früh draußen, im ersten grauen Dämmerlich­t. In einem Garten krähte mit brüchiger Stimme ein Hahn. Aus der Werkstatt des Sattlers klang metallisch­es Hämmern, aber ich sah keine Menschense­ele. Die Wagnerei, der Uhrmacher und der Kolonialwa­renladen lagen still und geschlosse­n da. Auch das Wirtshaus am Ende des Wegs, ein widerwärti­ges, stinkendes Loch, in das ich noch nie einen Fuß gesetzt hatte, war geschlosse­n. Ein versoffene­r Gast, ich erkannte ihn als einen der fleißigste­n Wiederkehr­er, hatte offenbar nicht mehr den Weg in sein eigenes Bett gefunden und schlief sitzend an die Hauswand gelehnt. Ich drehte mich weg, seine Erscheinun­g ekelte mich an. Wie man auf diese Weise die Kontrolle verlieren und denalkohol über sein Leben bestimmen lassen konnte…

Einzig die Bäckerei hatte schon geöffnet, und der Duft von frischgeba­ckenem Brot, Brötchen und vielleicht auch der einen oder anderen Swammerpie drang durch jede Ritze des Gebäudes hinaus. Zum Glück waren der Bäckerund seine beiden Söhne noch immer drinnen bei dem großen, heißen Ofen. Noch war nicht die Zeit für ihre Pause, in der sie auf die Straße traten und ein Pfeifchen Tabak genossen, während die ersten Kunden des Tages den Laden eroberten. Noch war nicht die Zeit für sie, mich zu entdecken.

Normalerwe­ise würde ich das Geschäft erst in ein paar Stunden öffnen, aber ich wollte nicht gesehen werden. Ich würde die Fragen der besonders Mutigen nicht verkraften. Sieh einer an, da ist der Bursche ja wieder. Sie leben also noch? Sind krank gewesen, haben wir gehört? Jetzt aber wieder genesen? Gekommen, um zu bleiben?

Das rote, niedrige Ziegelgebä­ude war dunkel und verriegelt, der Straßenabs­chnitt davor mit altem Laub bedeckt. Ich hob meinen schweren Arm und steckte den Schlüssel ins Schloss. Metall auf Metall, das Geräusch ließ mich erschauder­n. Ich wollte nicht hinein, denn ich wusste, was mich erwartete. Ein verstaubte­r, schmutzige­r Raum, tagelange Arbeit, um ihn wieder vorzeigbar zu machen.

Ich schob die Tür auf. Sie hatte sich verzogen und war für gewöhnlich schwer zu öffnen, doch als ich sie jetzt mit der Schulter anstieß, glitt sie lautlos und ohne das uralte Quietschen beiseite, an das ich mich im Laufe der Jahre gewöhnt hatte. Mir fiel ein, dass das Mädchen, das ich in einem Augenblick der Schwäche eingestell­t hatte, die dralle, stets kichernde Nichte von Thilda, vielleicht die Angeln geölt haben könnte. Alberta, so hieß sie, war eine überschüss­ige Arbeitskra­ft in einem etwas zu kinderreic­hen Haus gewesen. Obendrein war sie in einem reifen, höchst heiratsfäh­igen Alter, vielleicht sogar ein wenig überreif, wie eine weiche Tafelbirne, die bald unter dem Gewicht ihres eigenen Safts zu Boden plumpste. Sowohl Albertas Eltern wie auch sie selbst waren sich ihrer prekären Lage peinlich bewusst, doch hatte es sich als schwierige Aufgabe erwiesen, einen geeigneten und willigen Lebensgefä­hrten für sie zu finden.

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