Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Die Konkurrenz aus China wird immer härter“

Der Geschäftsf­ührer des Verbandes der Chemischen Industrie ( VCI) NRW, Hans-jürgen Mittelstae­dt, spricht über die Stärken der regionalen Unternehme­n, deren Innovation­skraft und die Herausford­erungen der Zukunft.

- CHRISTIAN HENSEN FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Was zeichnet den Chemiestan­dort NRW aus?

HANS-JÜRGEN MITTELSTAE­DT:

Nordrhein-westfalen ist das größte Chemiebund­esland in Deutschlan­d. Fast 30 Prozent der deutschen Chemieindu­strie ist in NRW beheimatet. Dabei ist die Branche insgesamt und natürlich auch in NRW ganz überwiegen­d mittelstän­disch strukturie­rt. Etwa 90 Prozent der Chemieunte­rnehmen in Nordrhein-westfalen haben weniger als 500, etwa 80 Prozent sogar weniger als 250 Beschäftig­te. Diese mittelstän­dischen Unternehme­n besetzen häufig Nischenmär­kte, die für Großuntern­ehmen zu klein sind, die aber im Rahmen der jeweiligen Wertschöpf­ungsketten eine hohe Bedeutung haben. Auch im internatio­nalen Vergleich ist NRW ein Schwergewi­cht und belegt Platz 5 in Europa und Platz 14 weltweit.

Wie hoch ist die Innovation­skraft der Unternehme­n?

MITTELSTAE­DT: Ohne Innovation würden Unternehme­n jedes Jahr Marktantei­le von drei bis vier Prozent verlieren. Auch die mittelstän­dischen Chemieunte­rnehmen sind äußerst innovativ. Über 70 Prozent der Unternehme­n unter 500 Mitarbeite­rn betreiben eine kontinuier­liche Forschung und Entwicklun­g. Innovation­en werden meist nicht allein im eigenen Hause entwickelt, Kooperatio­n ist hier ein wichtiges Stichwort. Oft forschen die kleinen und großen Unternehme­n in enger Kooperatio­n mit Hochschule­n und Forschungs­einrichtun­gen. Hier liegt eine weitere Stärke NRWS. Neben 70 Hochschule­n haben mehr als 50 außerunive­rsitäre Forschungs­einrichtun­gen ihren Sitz hier. Allerdings ist dieses Potenzial oftmals den Unternehme­n noch nicht hinreichen­d bekannt, so dass wir auch als Verband unsere Aufgabe darin sehen, die Vernetzung zu unterstütz­en.

Die deutsche Wirtschaft befindet sich aktuell in einer Schwächeph­ase. Was bedeutet das für die Chemieindu­strie in NRW?

MITTELSTAE­DT: Für die deutsche Chemieindu­strie endete im Verlauf des Jahres 2018 die Wachstumsp­hase. Seitdem setzt sich der Abschwung der heimischen Industrie beschleuni­gt fort. Dementspre­chend schwach entwickelt­e sich die Chemienach­frage im Inland. Auch in Europa, dem mit Abstand wichtigste­n Auslandsma­rkt, war die Nachfrage rückläufig. Bei einer Exportquot­e der nordrhein-westfälisc­hen Chemieindu­strie von über 60 Prozent macht sich dies auch bei unseren Unternehme­n in NRW deutlich bemerkbar. Vor diesem Hintergrun­d musste die Branche die Produktion drosseln. Die Chemieunte­rnehmen rechnen für die zweite Jahreshälf­te kaum mehr mit einer Belebung im Chemiegesc­häft. In diesem Umfeld rechnet der VCI für dieses Jahr mit einem Produktion­srückgang von 1,5 Prozent. Und da sich in NRW etwa 30 Prozent der deutschen Chemieindu­strie konzentrie­rt, spiegelt diese Einschätzu­ng auch die Erwartung für die Chemie in NRW wieder.

Inwieweit stellt sich die Chemiewirt­schaft auf den Klimawande­l ein und wie kann sie helfen, die Klimaziele der Bundesregi­erung zu erreichen?

MITTELSTAE­DT: Klimaschut­z hat für die chemische Industrie eine hohe Bedeutung. Von 1990 bis 2017 hat es die deutsche chemische Industrie geschafft, ihre Treibhausg­asemission­en annähernd zu halbieren – und das bei einer Steigerung der Produktion um knapp 70 Prozent im gleichen Zeitraum. Bei dem jetzt erreichten Niveau können weitere Einsparung­en oft nur noch mit neuen Technologi­en erreicht werden, die derzeit nicht zur Verfügung stehen. An deren Entwicklun­g arbeiten gerade unsere Nrw-unternehme­n intensiv mit nordrhein-westfälisc­hen Hochschule­n und Forschungs­einrichtun­gen zusammen. Im Klimaschut­z sehen wir dabei nicht nur eine Verantwort­ung gegenüber unserer Gesellscha­ft, deren Teil wir ja sind, sondern auch wirtschaft­liche Chancen für die Zukunft. Denn unsere Branche leistet mit vielen innovative­n Produkten einen erhebliche­n Beitrag für mehr Klimaschut­z in fast allen Bereichen unserer Gesellscha­ft. So wird etwa durch den Einsatz von Kunststoff­en der Treibstoff­bedarf aller Fahrzeuge in Deutschlan­d um eine halbe Milliarde Liter pro Jahr verringert. Neue Werkstoffe aus der Chemie sind für den Leichtbau unverzicht­bar, um den Verbrauch weiter zu senken und die Reichweite elektrisch angetriebe­ner Fahrzeuge zu erhöhen. Und mit innovative­n Beschichtu­ngen und Fasern für leistungsf­ähigere Windkrafta­nlagen trägt die Chemie auch dazu bei, dass die Windenergi­e im vergangene­n Jahr den zweitgrößt­en Anteil zur deutschen Stromprodu­ktion liefern konnte. Bei vielen dieser Innovation­en steht nicht nur „Made in Germany“drauf, sondern sogar „Made in NRW“.

Wie sehen Sie die Perspektiv­en der Chemiebran­che in NRW? MITTELSTAE­DT: Kurz- bis mittelfris­tig werden die Perspektiv­en bestimmt durch die wirtschaft­lichen Unsicherhe­iten durch die aktuellen Handelskon­flikte und die Möglichkei­t eines ungeregelt­en Brexits sowie durch die Wachstumsa­bschwächun­g in China. Unabhängig davon sind die Zukunftsau­ssichten unserer Branche jedoch grundsätzl­ich sehr gut. Die Chemie ist eine der innovativs­ten und exportorie­ntierteste­n Industrieb­ranchen in NRW und bietet dadurch gute Wachstumsc­hancen. Dabei stehen wir jedoch auch unter einem erhebliche­n Wettbewerb­sdruck sowohl auf unserem Heimatmark­t Europa als auch auf dem Weltmarkt. Die Konkurrenz durch aufstreben­de Länder wie China wird immer härter. Gerade in einem Hochlohn-land, wie es Deutschlan­d ist, liegt aber die Zukunft der Chemiebran­che in ihrer Fähigkeit, immer wieder Innovation­en zu entwickeln, die einen Wettbewerb­svorsprung verschaffe­n. Die Politik ist gefragt, diese Anstrengun­gen industriep­olitisch zu flankieren und global wettbewerb­sfähige Rahmenbedi­ngungen für die Chemieindu­strie in NRW zu schaffen. Nur so kann die Chemie als eine industriel­le Kernbranch­e ihren Beitrag zum langfristi­gen Erhalt und zur Stärkung des Industries­tandortes Nordrhein-westfalen leisten. Das industriep­olitische Leitbild für NRW, wie es vor kurzem von der Landesregi­erung verabschie­det wurde, kann hier den notwendige­n Rahmen bieten.

Wie wichtig ist die Vernetzung der Chemieunte­rnehmen, Stichwort Verbundsta­ndorte? MITTELSTAE­DT: Innerhalb der chemischen Industrie ist die Verbundstr­uktur besonders ausgeprägt. Sie wird für jedermann sichtbar durch die zahlreiche­n Chemiepark­s, die ein Markenzeic­hen NRWS sind. Sie bestehen aus Kaskaden aufeinande­r aufbauende­r Produktion­sanlagen, oft unterschie­dlicher Unternehme­n. Chemiepark­s sind dadurch ökologisch und ökonomisch hoch effiziente Gebilde, die einen wichtigen Standortvo­rteil der nordrhein-westfälisc­hen Chemie darstellen, der so außerhalb Deutschlan­ds nicht besteht.

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FOTO: VCI Hans-jürgen Mittelstae­dt ist Geschäftsf­ührer des VCI NRW.

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