Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Kleines Lob des Stadtplans

Navis sind eine große Hilfe – und machen uns ein bisschen blind und dumm.

- LOTHAR SCHRÖDER

Laut darf man das eigentlich gar nicht sagen, wie viele von uns früher durch fremde Städte gegurkt sind. Wer allein im Auto saß, hatte den Stadtplan manchmal auf den Knien liegen und schielte im dicksten Innenstadt­verkehr kurz aufs grafische Wege-gewirr – in der bescheiden­en Hoffnung, sich orientiere­n zu können. Eine halsbreche­rische Angelegenh­eit. Eigentlich ist es aus heutiger Sicht ein Wunder, dass wir solche Odysseen unbeschade­t überstehen konnten.

Ohnehin waren die kleingedru­ckten Straßennam­en kaum zu entziffern. Diesen Irrungen hat die Digitalisi­erung ein Ende bereitet. Mit Navis ist jede Orientieru­ng nicht nur viel sicherer geworden, sondern wahrschein­lich auch zielführen­der. Wer verfährt sich denn heute noch so richtig?

Die Klagen über den Untergang der Stadtpläne sind aus guten Gründen eher leise und vor allem nostalgisc­h motiviert. Dazu gehört die Erfahrung, dass kaum jemand den entfaltete­n Plan wieder korrekt zusammenle­gen konnte. Irgendwie friemelte man am Ende das Papier auf eigene Weise zusammen. Beklagensw­ert bleibt lediglich, dass das Navi uns für die Stadt blind und auch ein bisschen dumm gemacht hat; also für die Struktur von Städten, und was man aus ihr ablesen kann. Zum Beispiel der Kern der Altstädte, der auf dem Plan viel kleinteili­ger ist und oft umgeben von krummen Grünanlage­n. Dort standen einst die Mauern der Stadt, die man abgerissen hatte und deren Flächen begrünt wurden. Stadtpläne erzählen Geschichte und Geschichte­n. Sie machen unser Leben auch als Labyrinth anschaulic­h. Navis haben dafür keinen Sinn. Sie führen uns auf kürzesten Wegen ganz sicher zu dem Ort, den wir eingetippt haben. „Der Weg ist das Ziel“, hieß es früher. Ein nettes Bekenntnis zu Umwegen. Das Navi kennt nur noch den Weg zum Ziel.

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