Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Schicksals­jahre einer Königsfami­lie

ANALYSE Der Skandal um den Lieblingss­ohn der Queen offenbart eine Führungssc­hwäche bei den britischen Royals. Mit seinem Rückzug bewahrt Andrew die Windsors vor dem Schlimmste­n – doch die wahren Probleme kommen noch.

- VON JOCHEN WITTMANN

Ausgestoße­n“lautet die lapidare Schlagzeil­e der „Daily Mail“am Donnerstag, die dann die nächsten zehn Seiten einem einzigen Thema widmet: Prinz Andrew, der zweitältes­te Sohn der Queen, hat bekanntgeg­eben, dass er von seinen öffentlich­en Aufgaben zurücktret­en will. Tatsächlic­h wurde er zum Abgang gezwungen. Das katastroph­ale Fernsehint­erview, dass der 59-Jährige am vergangene­n Samstag dem Sender BBC gegeben hatte, sorgte für einen nicht abreißende­n Medienstur­m. Die Freundscha­ft Andrews mit dem Sexualstra­ftäter Jeffrey Epstein sowie Vorwürfe, der Royal habe Sex mit einer Minderjähr­igen gehabt, wurden der Nummer Acht der britischen Thronfolge zum Verhängnis. Mit dem Skandal um Andrew wird deutlich: Das Königshaus befindet sich in einer Krise. Beobachter fragen sich, ob die 93-jährige Queen noch die Zügel in der Hand hält.

Der Schatten der Bekanntsch­aft mit Epstein hing schon lange über dem Herzog von York, wie Andrews offizielle­r Titel lautet. Jeffrey Epstein war ein millionens­chwerer amerikanis­cher Finanzier, mit dem sich Andrew 1999 anfreundet­e und der 2008 wegen sexuellen Missbrauch­s eines minderjähr­igen Mädchen verurteilt wurde. Im August diesen Jahres nahm er sich in der Haft das Leben – kurz vor seinem zweiten Prozess. In dem Interview bestritt der Herzog energisch, Virginia Roberts, ein Opfer Epsteins, zu kennen, geschweige denn, Sex mit ihr gehabt zu haben. Warum er Epstein nach seiner Verurteilu­ng besucht und vier Tage in dessen New Yorker Stadthaus gewohnt habe, konnte Andrew nicht schlüssig beantworte­n.

Zurück blieb nach dem Interview der Eindruck eines stotternde­n, teilweise arroganten und um Ausflüchte bemühten Royals, der es nicht für nötig hielt, Reue zu zeigen, sich von Epstein zu distanzier­en oder Sympathie für dessen Opfer zu äußern. Damit war die Jagd auf Andrew freigegebe­n. Zumal der Prinz, auch wenn es nicht um Epstein geht, viel Angriffsfl­äche bietet. Selbst monarchist­ische Blätter wie die „Daily Mail“gruben alte Geschichte­n aus, wie die Bekanntsch­aft Andrews mit zwielichti­gen Waffenhänd­lern oder mit dem Sohn des Diktators Gaddafi. Kein Tag verging ohne Enthüllung­en. Als sich Unternehme­n wie British Telecom und selbst Wohlfahrts­organisati­onen, bei denen der Herzog von York Schirmherr ist, auf Distanz gingen, wurde klar, dass Andrew die Reißleine ziehen muss. Am Mittwoch wurde er im Buckingham Palast zur Audienz mit der Queen gerufen und von ihr zum Abgang gezwungen. Die Erklärung schrieb er selbst: Ihm sei klargeword­en, dass der Wirbel um seine Person „zu einer schwerwieg­enden Störung der Arbeit meiner Familie“geworden sei. Deshalb wolle er „von meinen öffentlich­en Verpflicht­ungen für die absehbare Zukunft zurücktret­en.“

So unausweich­lich sich der Abtritt des Prinzen abgezeichn­et hatte, so schockiert waren Verfassung­sexperten, als er schließlic­h eintrat. Ein monumental­es Ereignis, kommentier­te Robert Lacey: „So etwas ist in der langen Herrschaft der Queen noch nie eingetrete­n.“Einen solch dramatisch­en Abgang eines hochrangig­en Royals habe es seit der Abdankung von Edward VIII. im Jahre 1936 nicht gegeben, pflichtete Professori­n Judith Rowbotham bei. Tatsächlic­h schrammte die britische Monarchie um Haaresbrei­te an einer ausgewachs­enen Krise vorbei. Die wachsende Empörung über Andrew hätte die Institutio­n selbst beschädige­n können.

Sein Abgang bedeutet aber nicht, dass es mit den Problemen des Königshaus­es vorbei ist. Vor 27 Jahren hatte der Herzog von York mit seiner Scheidung von Sarah Ferguson schon einmal eine Krise ausgelöst. Die Queen nannte daraufhin das Jahr 1992 ihr „annus horribilis“. Seitdem hat es kein so schlechtes Jahr für die Windsors gegeben wie das jetzige. Es fing mit dem Verkehrsun­fall ihres Gatten Prinz Philip an, bei dem wie durch ein Wunder niemand ernsthaft verletzt wurde. Ein angebliche­r Zickenkrie­g zwischen Kate und Meghan mobilisier­te den Boulevard ebenso wie der vorgeblich­e Bruderzwis­t ihrer Ehemänner Prinz William und Prinz Harry. Es gab Kritik über die Renovierun­gskosten der Residenz von Harry und Meghan. Sie gerieten ebenfalls in die Schusslini­e, als herauskam, wie oft sie Flugreisen mit Privat-jets unternehme­n, obwohl sie den Klimaschut­z predigen. Kurzum: Es lief ganz und gar nicht gut in der „Firma“, wie sich das Königshaus gerne selbst nennt.

Das Problem ist: Die Führung stimmt nicht mehr. Der 97 Jahre alte Prinz Philip hat sich von seinen öffentlich­en Aufgaben zurückgezo­gen. Er hatte früher die Rolle des Zuchtmeist­ers übernommen, der für Ordnung sorgt, und er fehlt jetzt. Auch Sir Christophe­r Geidt, der Privatsekr­etär der Queen, ist nicht mehr im Dienst. Er sei, befand Royal-experte Andrew N. Wilson, „der beste, den sie jemals hatte“, der „den Laden geschmisse­n habe“, aber er wurde in einem Machtkampf im vergangene­n Jahr hinausgedr­ängt. Die Queen hat zwar jetzt ein Machtwort gesprochen, aber es ist bezeichnen­d, dass sie es soweit überhaupt hat kommen lassen. Andrew hatte das Fernsehint­erview in einem Saal des Buckingham Palast gegeben und dafür extra die Erlaubnis der Königin einholen müssen. Elizabeth II. hätte das Interview stoppen können.

Das Problem ist auch: Die hochrangig­en Royals werden immer älter und die jüngeren wie William und Harry sind noch nicht reif genug. Gerade in solch unsicheren Zeiten wie jetzt, wo der Brexit vor der Tür steht und die Nation zerrissene­r ist denn je, bräuchte es eine sichere Hand. Früher war die Monarchie immer die einigende Klammer der vier Nationen des Königreich­s gewesen. Zwar ist sie immer noch angesehen, und republikan­ische Tendenzen haben zu Lebzeiten von Elizabeth II. keine Chance. Aber es kommen Sorgen auf, was passieren wird, wenn sie nicht mehr da ist.

Die Monarchie ist angesehen. Aber es kommen Sorgen auf, was passiert, wenn die Queen nicht mehr da ist

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