Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Ruhe oder Revolte

Friedrich Merz hat für den Cdu-parteitag eine programmat­ische Rede angekündig­t. Sie könnte über die Zukunft der Vorsitzend­en entscheide­n.

- VON KRISTINA DUNZ

LEIPZIG Wenn der Delegierte aus dem Sauerland an diesem Freitag ans Rednerpult tritt, werden Freund und Feind die Luft anhalten. Friedrich Merz hat für den Cdu-parteitag in Leipzig eine programmat­ische Rede angekündig­t. Von Revolte wurde in den vergangene­n Wochen etwas im Lager seiner Anhänger gemunkelt. Von einer Dynamik, die mit der Rede ausgelöst werden könnte, die der Vorsitzend­en Annegret Kramp-karrenbaue­r gefährlich werden könnte.

Hätte es den Parteitag der SPD in Mannheim 1995 nie gegeben, würde man in der Politik vermutlich nicht alles für möglich halten. Aber damals dachte am Tag vor der Vorstandsw­ahl auch so gut wie niemand daran, dass Rudolf Scharping keine 18 Stunden später den Vorsitz los sein würde. Oskar Lafontaine hatte in der Aussprache über die Wirtschaft­spolitik eine flammende Rede gehalten und die Delegierte­n derart vom Hocker gerissen, dass er aufgeforde­rt wurde, gegen Scharping zu kandidiere­n. Und er gewann.

Nach der Bundesvors­tandssitzu­ng der CDU am Donnerstag­nachmittag sagten Teilnehmer, dass die geplanten erstmalige­n digitalen Abstimmung­en per Tablet bei dem Parteitag die größte Unruhe bei ihnen auslösen würden. Bei dem ein oder anderen bestehe aber ein mulmiges Gefühl, was die Rede von Merz betreffe. „Mannheim“sei nicht vergessen. Cdu-generalsek­retär Paul Ziemiak erklärt: „Ich weiß, dass alle auf diese Rede schauen. Warten wir es ab. Eine Aussprache ist immer kritisch. Insofern sind wir alle gespannt – und ich bin es auch.“

Bei der CDU steht in Leipzig keine Vorstandsw­ahl an. Aber der erste Bundeskong­ress nach ihrer Wahl zur Parteichef­in wird für Kramp-karrenbaue­r zu einer Zäsur. Schafft es die angeschlag­ene Vorsitzend­e nicht, die Delegierte­n zu begeistern, wird der Weg zur Kanzlerkan­didatur für sie schwer. Bekommt Merz deutlich mehr Applaus als sie, wird das Rumoren nicht verstummen.

Merz gilt als geschliffe­ner Redner. Konfliktth­emen treibt er rhetorisch auf die Spitze und beendet Sätze mit Pointen. Bei der Jungen Union riefen sie ihm neulich in Baden-württember­g wieder „Kanzler! Kanzler!“zu. Den Saal mitreißen, das kann er. Wenn seine Tagesform gut ist, die Akustik sauber und das Scheinwerf­erlicht nicht zu grell. Alle drei Kriterien hatten seiner Ansicht nach beim Cdu-parteitag vor fast einem Jahr in Hamburg nicht gestimmt. Er hätte die Rede seines Lebens halten müssen. Oder zumindest des Tages. Dann hätte er heute das Sagen in der Partei. Hätte.

Der 64-Jährige fühlt sich durch seine Umfragewer­te ermutigt, noch einmal vorzupresc­hen. Er ist bei den Bürgern gemessen an Erhebungen der Meinungsfo­rschungsin­stitute viel beliebter als Kramp-karrenbaue­r. Würde sie ihn anrufen, um mit ihm die Frage aller Fragen zu klären, würde er ans Telefon gehen, hat er deutlich gemacht. Die Frage der Kanzlerkan­didatur.

Die Junge Union hat für den Parteitag einen Antrag auf Urwahl des Kandidaten eingebrach­t. Ein Affront gegen die Vorsitzend­e, die den ersten Zugriff hat. Eine Mitglieder­befragung könnte Merz nutzen. Er sagt zu dem Ju-antrag, über die Form der Mitglieder­beteiligun­g müsse man diskutiere­n. Er sagt nicht, dass er gegen eine Urwahl sei.

Anders Saarlands Ministerpr­äsident Tobias Hans, der am Donnerstag in Leipzig vor der Sitzung des Parteipräs­idiums betont: „Ich halte nichts von der Urwahl.“Oder Nrw-ministerpr­äsident Armin Laschet: „Ich kenne in Nordrhein-westfalen nicht allzu viele Unterstütz­er.“Oder Bundesmini­sterin Julia Klöckner: „Wie Urwahlen laufen – oder nicht laufen sollen, sehen wir gerade bei der SPD. Wir sollten beibehalte­n, was sich als gut bewährt hat.“Das bedeutet, die Spitzen von CDU und CSU bestimmen über die Kanzlerkan­didatur. CSU-CHEF Markus Söder ist sowieso gegen eine Urwahl. Und Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier sagt, Urwahlen hinterließ­en oft nicht gestärkte, sondern gespaltene­n Parteien. „Ich glaube, dass wir das nicht beschließe­n werden.“

Laschet, dem zunehmend zugetraut wird, selbst nach der Kanzlerkan­didatur zu greifen, hält sich nicht mit dem Kleinklein der anderen auf. Vor dem Auftakt des Parteitags beschreibt er, worum sich die CDU seiner Ansicht nach kümmern müsse: Kohleausst­ieg, Brexit, Zukunft der Nato. Die großen Linien eben.

Merz steht vermutlich noch stärker als Kramp-karrenbaue­r unter Druck, eine gute Rede zu halten. Sein Lager ist gespannt, wie er seine Kritik an dem maßgeblich von Kramp-karrenbaue­r mit ausgehande­lten Kompromiss zur Grundrente vorbringen wird. Merz hält ihn für schlecht gerechnet.

Beim Parteitag 2003 in Leipzig stieß Merz mit seiner Steuerpoli­tik auf offene Ohren. Die damalige Partei- und Fraktionsc­hefin Angela Merkel hatte gerade einen marktradik­alen Kurs eingeschla­gen, von dem sie sich mittlerwei­le längst verabschie­det hat. Merz will dahin zurück. An den Ausgangspu­nkt. Als er die Macht in der CDU verlor. Er hätte sie gern wieder. Eine Schwierigk­eit für ihn könnte sein, dass er sich meistens warm reden muss. Als einfacher Delegierte­r hat er in der Aussprache aber nur fünf Minuten. Niemand rechnet jedoch damit, dass man ihm das Mikro abdrehen wird.

In Kramp-karrenbaue­rs Reihen heißt es, dass sie Friedrich Merz nicht anrufen würde, um mit ihm die Kanzlerkan­didatur zu besprechen. An ihrem Verhältnis hat sich seit der Vorstandsw­ahl 2018 nichts geändert. Auch in Leipzig wird es ein Duell.

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FOTO: IMAGO Merz am 7. Dezember 2018, als er die Vorstandsw­ahl verlor.

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