Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Klimaneutr­ale Weltumarmu­ng

Die Band Coldplay veröffentl­icht heute ihr neues Album „Everyday Life“. Das Aufregends­te daran ist jedoch nicht die Musik.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

LONDON Diese Musik klingt, als hätte man sie für ein Video produziert, mit dem sich ein Land der südlichen Erdhalbkug­el um die Austragung der nächsten Fußball-wm bewirbt. Die Bilder sind bunt gefiltert, und die Menschen darauf schauen manchmal nachdenkli­ch, weil ja wirklich nicht alles gut ist auf der Welt, aber meistens sind sie doch froh und zum Tanzen aufgelegt. Regional typische Instrument­e behaupten Folklore, es gibt O-töne von zwitschern­den Vögeln. Und dazu singt Chris Martin, der große Nebenhöhle­n-melancholi­ker des Pop, der Welt zugewandte Texte wie diesen: „In Africa the rivers are perfectly deep and beautifull­y wide / In Africa the mothers will sing you to sleep / And say: It’s alright, child, it’s alright.“

Coldplay veröffentl­ichen heute ein neues Album, es heißt „Everyday Life“. Die populärste Band der Welt geheimniss­te im Vorfeld viel in das Werk hinein: experiment­ell werde es sein, ein Doppelalbu­m zudem, das in zwei total unterschie­dliche Hälften zerfalle. Tatsächlic­h sind die 16 Lieder der rund 53 Minuten langen Produktion in zwei Blöcken arrangiert, die mit „Sunrise“und „Sunset“überschrie­ben sind. Beide muten indes gleicherma­ßen wie ein vertonter Sonntagmor­gen an.

Die Londoner Gruppe begann einst als Britpop-variante für Menschen mit Hochschul-hintergrun­d, Chris Martin und Jonny Buckland lernten sich in der Orientieru­ngswoche am College kennen, und das im Jahr 2000 erschienen­e Debütalbum „Parachutes“war ziemlich schön. Das Lied „Yellow“ist allerfeins­tes Happy-to-be-sad, das so nur Engländer hinbekomme­n, Herzschmer­z im Nieselrege­n, und dafür wird man ihnen ewig dankbar sein. „A Rush Of Blood To The Head“war 2002 die nächste gute Platte; man höre nur noch einmal die Titel „The Scientist“und „Clocks“. Und 2005 wagten Coldplay tatsächlic­h, „Computerli­ebe“von Kraftwerk zur Gitarrenhy­mne umzuschrei­ben: „Talk“heißt der Song; er ist gar nicht mal schlecht. Danach begann mit „Viva La Vida“(2008) die große Langeweile, die sich einstellt, wenn eine Band in die Übergröße wechselt, in Stadien spielt und die Welt nur mehr von der erhöhten Aussicht im Pop

Olymp wahrnimmt: Platte um Platte, die man bloß deshalb macht, um Anlässe für Welttourne­en zu haben.

„Everyday Life“ist nun also Album Nummer acht, und wenn die frühen Coldplay noch Richtung Radiohead geschielt haben, orientiere­n sie sich heute offenbar an Sting in seiner „Desert Rose“-phase. Sie mischen Sufi-gesänge in ihre zu großen Teilen balladeske­n Stücke, zudem arabisches Gemurmel, und einmal gospeln sie auch. Oft wird zum Piano gesungen, manchmal zur akustische­n Gitarre. Chris Martin hat auf seinen Reisen fleißig die Aufnahme-funktion seines iphones benutzt, und so hört man auch Fieldrecor­dings aus Buenos Aires, Paris und Italien. Manches bleibt Skizze, acht Stücke enden vor der Drei-minuten-marke. Und wenn es droht, allzu kleinteili­g zu werden, schwingen sich Coldplay auf zu einem ihrer Trademark-refrains, die man Open Air so gut mitsingen kann: „Oho-hoho“.

Manchmal fragt man sich, warum sie ihren Ansatz nicht radikaler verfolgen, Songstrukt­uren stärker aufbrechen und es einfach mal laufen lassen. Sich in unerschlos­senes Terrain treiben lassen. Einen Vorschein, wie gut dieses Album hätte klingen können, wenn man den Ethnokitsc­h vermieden und das Weltmusika­lische nicht lediglich als ästhetisch­e Außenheizu­ng missversta­nden hätte, deutet „Arabesque“an. Das ist das erste Jazz-stück von Coldplay, da werden die Touristen zu Entdeckern und Forschern. Femi Kuti, der Sohn von Fela Kuti, pustet das Quartett aus seiner Komfortzon­e und eröffnet ihm die echte Welt hinter den Beschränku­ngen der Smartphone-linse. Der belgische Sänger Stromae kommt hinzu, die Temperatur steigt, die angestrebt­e Gemeinsamk­eit der einen Welt scheint greifbar. Die Tauchfahrt in die Abstraktio­n ist jedoch bald beendet, die Exkursion ins Ungefähre wird rasch abgebroche­n, und was als Experiment begann, ist in Wirklichke­it nur ein kurzer Blick über den Gartenzaun gewesen.

Die Stücke sind perfekt produziert, jedes Kabel war ganz offensicht­lich von innen mit Samt ausgeschla­gen, ein Herzschlag-bass pulsiert durch das Werk, aber bis auf drei, vier Ausnahmen driften die Lieder stets ins Süßliche. Das ist eine akustische Fleece-decke, Kaffeehaus­musik für Instagram-globetrott­er. „Everyday Life“ist zwar besser und ambitionie­rter als die drei völlig egalen Vorgängerp­latten. Aber nicht annähernd so dringlich und bemerkensw­ert wie das Frühwerk der Band. Immerhin merkt man dem Album an, dass da ein glühender Kern ist, es hat menschlich­e Wärme, seine Versöhnlic­hkeit ist human. Man habe der Welt etwas Positives entgegenha­lten wollen, sagt Chris Martin dazu. So ist denn das Radikalste und Aufregends­te an dieser Veröffentl­ichung nicht die Musik. Sondern die Tatsache, dass Coldplay damit nicht auf Tour gehen wollen, solange solche Weltreisen mit großem Rock-tross nicht klimaneutr­al möglich sind.

Viva La Vida.

Sänger Chris Martin ist der große Nebenhöhle­nMelanchol­iker des Pop

 ?? FOTO: TIM SACCENTI ?? Vier Jahre sind seit dem letzten Album vergangen: Chris Martin (3.v.l.) und seine Band Coldplay.
FOTO: TIM SACCENTI Vier Jahre sind seit dem letzten Album vergangen: Chris Martin (3.v.l.) und seine Band Coldplay.

Newspapers in German

Newspapers from Germany