Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Klimaneutrale Weltumarmung
Die Band Coldplay veröffentlicht heute ihr neues Album „Everyday Life“. Das Aufregendste daran ist jedoch nicht die Musik.
LONDON Diese Musik klingt, als hätte man sie für ein Video produziert, mit dem sich ein Land der südlichen Erdhalbkugel um die Austragung der nächsten Fußball-wm bewirbt. Die Bilder sind bunt gefiltert, und die Menschen darauf schauen manchmal nachdenklich, weil ja wirklich nicht alles gut ist auf der Welt, aber meistens sind sie doch froh und zum Tanzen aufgelegt. Regional typische Instrumente behaupten Folklore, es gibt O-töne von zwitschernden Vögeln. Und dazu singt Chris Martin, der große Nebenhöhlen-melancholiker des Pop, der Welt zugewandte Texte wie diesen: „In Africa the rivers are perfectly deep and beautifully wide / In Africa the mothers will sing you to sleep / And say: It’s alright, child, it’s alright.“
Coldplay veröffentlichen heute ein neues Album, es heißt „Everyday Life“. Die populärste Band der Welt geheimnisste im Vorfeld viel in das Werk hinein: experimentell werde es sein, ein Doppelalbum zudem, das in zwei total unterschiedliche Hälften zerfalle. Tatsächlich sind die 16 Lieder der rund 53 Minuten langen Produktion in zwei Blöcken arrangiert, die mit „Sunrise“und „Sunset“überschrieben sind. Beide muten indes gleichermaßen wie ein vertonter Sonntagmorgen an.
Die Londoner Gruppe begann einst als Britpop-variante für Menschen mit Hochschul-hintergrund, Chris Martin und Jonny Buckland lernten sich in der Orientierungswoche am College kennen, und das im Jahr 2000 erschienene Debütalbum „Parachutes“war ziemlich schön. Das Lied „Yellow“ist allerfeinstes Happy-to-be-sad, das so nur Engländer hinbekommen, Herzschmerz im Nieselregen, und dafür wird man ihnen ewig dankbar sein. „A Rush Of Blood To The Head“war 2002 die nächste gute Platte; man höre nur noch einmal die Titel „The Scientist“und „Clocks“. Und 2005 wagten Coldplay tatsächlich, „Computerliebe“von Kraftwerk zur Gitarrenhymne umzuschreiben: „Talk“heißt der Song; er ist gar nicht mal schlecht. Danach begann mit „Viva La Vida“(2008) die große Langeweile, die sich einstellt, wenn eine Band in die Übergröße wechselt, in Stadien spielt und die Welt nur mehr von der erhöhten Aussicht im Pop
Olymp wahrnimmt: Platte um Platte, die man bloß deshalb macht, um Anlässe für Welttourneen zu haben.
„Everyday Life“ist nun also Album Nummer acht, und wenn die frühen Coldplay noch Richtung Radiohead geschielt haben, orientieren sie sich heute offenbar an Sting in seiner „Desert Rose“-phase. Sie mischen Sufi-gesänge in ihre zu großen Teilen balladesken Stücke, zudem arabisches Gemurmel, und einmal gospeln sie auch. Oft wird zum Piano gesungen, manchmal zur akustischen Gitarre. Chris Martin hat auf seinen Reisen fleißig die Aufnahme-funktion seines iphones benutzt, und so hört man auch Fieldrecordings aus Buenos Aires, Paris und Italien. Manches bleibt Skizze, acht Stücke enden vor der Drei-minuten-marke. Und wenn es droht, allzu kleinteilig zu werden, schwingen sich Coldplay auf zu einem ihrer Trademark-refrains, die man Open Air so gut mitsingen kann: „Oho-hoho“.
Manchmal fragt man sich, warum sie ihren Ansatz nicht radikaler verfolgen, Songstrukturen stärker aufbrechen und es einfach mal laufen lassen. Sich in unerschlossenes Terrain treiben lassen. Einen Vorschein, wie gut dieses Album hätte klingen können, wenn man den Ethnokitsch vermieden und das Weltmusikalische nicht lediglich als ästhetische Außenheizung missverstanden hätte, deutet „Arabesque“an. Das ist das erste Jazz-stück von Coldplay, da werden die Touristen zu Entdeckern und Forschern. Femi Kuti, der Sohn von Fela Kuti, pustet das Quartett aus seiner Komfortzone und eröffnet ihm die echte Welt hinter den Beschränkungen der Smartphone-linse. Der belgische Sänger Stromae kommt hinzu, die Temperatur steigt, die angestrebte Gemeinsamkeit der einen Welt scheint greifbar. Die Tauchfahrt in die Abstraktion ist jedoch bald beendet, die Exkursion ins Ungefähre wird rasch abgebrochen, und was als Experiment begann, ist in Wirklichkeit nur ein kurzer Blick über den Gartenzaun gewesen.
Die Stücke sind perfekt produziert, jedes Kabel war ganz offensichtlich von innen mit Samt ausgeschlagen, ein Herzschlag-bass pulsiert durch das Werk, aber bis auf drei, vier Ausnahmen driften die Lieder stets ins Süßliche. Das ist eine akustische Fleece-decke, Kaffeehausmusik für Instagram-globetrotter. „Everyday Life“ist zwar besser und ambitionierter als die drei völlig egalen Vorgängerplatten. Aber nicht annähernd so dringlich und bemerkenswert wie das Frühwerk der Band. Immerhin merkt man dem Album an, dass da ein glühender Kern ist, es hat menschliche Wärme, seine Versöhnlichkeit ist human. Man habe der Welt etwas Positives entgegenhalten wollen, sagt Chris Martin dazu. So ist denn das Radikalste und Aufregendste an dieser Veröffentlichung nicht die Musik. Sondern die Tatsache, dass Coldplay damit nicht auf Tour gehen wollen, solange solche Weltreisen mit großem Rock-tross nicht klimaneutral möglich sind.
Viva La Vida.
Sänger Chris Martin ist der große NebenhöhlenMelancholiker des Pop