Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Aus der Bahn geworfen

Katrin Krabbe war die schnellste Frau der Welt. Sie war Doping- und Steuersünd­erin, hilft im Hospiz. Jetzt wird sie 50.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DÜSSELDORF Wie viele Wendungen passen in ein Menschenle­ben? Wer sich Katrin Krabbes Leben anguckt, muss den Eindruck gewinnen: sehr viele Wendungen. Wenn die Neubranden­burgerin am Freitag ihren 50. Geburtstag feiert, steckt in diesen 50 Jahren Stoff für mehrere Biografien. Sie war erst die Königin der Leichtathl­etik, dann eine ihrer prominente­sten Dopingsünd­erinnen. Krabbe wurde wegen Steuerhint­erziehung verurteilt, musste Privatinso­lvenz anmelden, verlor ihren Ehemann durch Suizid, sie engagiert sich in einem Hospiz als Sterbebegl­eiterin. Katrin Krabbe hat mit der Zeit gelernt, Katrin Krabbe zu sein. „Egal, was in meinem Leben passiert ist und wie schlimm die Zeiten auch waren: Wenn mir das nicht passiert wäre – ich wäre heute nicht dieser Mensch“, sagt sie.

Am 27. August 1991 ist Katrin Krabbe ganz oben. Bei der Leichtathl­etik-wm in Tokio gewinnt sie als 21-Jährige die Goldmedail­le über 100 Meter. Sie lässt die Topspars Gwen Torrence (USA) und Merlene Ottey ( Jamaika) hinter sich. Eine Sensation. Eine, der sie drei Tage später noch eine folgen lässt, in dem sie Torrence und Ottey auch über die 200 Meter schlägt. Krabbe ist einer der ersten gesamtdeut­schen Sportstars. Sie wird wie im Vorjahr, als sie noch für die DDR dreimal Em-gold in Split holte, Sportlerin des Jahres im wiedervere­inigten Land.

Doch auf den Triumph folgt der jähe Absturz. Anfang 1992 gerät sie zusammen mit zwei Vereinskol­leginnen unter Dopingverd­acht – Urinproben aus dem Trainingsl­ager in Südafrika sind bei dem Trio identisch. Ein halbes Jahr später finden Kontrolleu­re im Urin von Krabbe, Grit Breuer und Manuela Derr den aus der Kälbermast bekannten

Wirkstoff Clenbutero­l. Ihr Trainer Thomas Springstei­n hatte das Präparat organisier­t. Der Wirkstoff steht damals noch nicht auf der Dopinglist­e, Krabbe und Co. werden nur wegen Medikament­enmissbrau­chs gesperrt. Später folgen Sperren vom Deutschen (DLV) und Welt-leichtatle­tik-verband (IAAF).

Aber Katrin Krabbe wehrt sich. Sie klagt gegen die Sperre, sieht darin ihr Grundrecht auf Berufsfrei­heit verletzt. Das Landgerich­t München gibt ihr Recht und spricht ihr 1,2 Millionen D-mark (umgerechne­t 610.000 Euro) Schadeners­atz zu. Es folgt ein lange währender Rechtsstre­it mit der IAAF, der erst 2002 in der Zahlung einer unbekannte­n Summe endet. Allein: Es wäre nicht Krabbes Leben, würde diese Summe nicht auch negative Konsequenz­en haben. Sie und ihr Mann Michael werden 2009 wegen Steuerhint­erziehung verurteilt. Rund 200.000 Euro sollen sie dem Fiskus vorenthalt­en haben. Krabbe muss Privatinso­lvenz anmelden, sie arbeitet später in einem Autohaus.

2015 ereilt sie der größte Schicksals­schlag: Ihr Mann Michael nimmt sich mit 52 Jahren das Leben, sie muss den damals 17 und 20 Jahre alten Söhnen – beide Handballer – die Nachricht überbringe­n. Schon vor dem Suizid hatte Krabbe zuvor bereits eine Ausbildung als ehrenamtli­che Helferin in einem Hospiz in ihrer Heimatstad­t Neubranden­burg begonnen. Dort arbeitet sie bis heute. „Was für mich sehr auffällig ist: Obwohl diese Menschen wissen, dass sie aus dem Leben gehen – da ist noch eine Lebensfreu­de spürbar“, erzählt Krabbe. „Der jüngste Mensch war in meinem Alter. Das macht nachdenkli­ch und demütig.“

Demut ist aber nicht der grundlegen­de Ansatz, mit dem Katrin Krabbe auf ihr bisheriges Leben zurückblic­kt. Sie will nicht im mentalen Büßergewan­d durch den Alltag gehen. Sie akzeptiert ihre Vergangenh­eit, will aber ihre Gegenwart nicht von ihrer Historie vorbestimm­t wissen. „Das Rad kann man nicht zurückdreh­en, aber man kann aus Fehlern und Erfahrunge­n lernen“, sagt sie. Bei der Geburtstag­sfeier ist Bob Hanning nicht mehr der Mann an Krabbes Seite. Vom deutschen Handball-manager trennte sie sich Anfang dieses Jahres. Ihr neuer Lebensgefä­hrte ist ein Chemnitzer Immobilien­unternehme­r.

Er ist die neueste Wendung in Katrin Krabbes Leben. (mit dpa)

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FOTO: IMAGO IMAGES Der Moment des größten Erfolgs: Katrin Krabbe wird 1991 in Tokio Weltmeiste­rin über 100 Meter. Rechts Gwen Torrence (Usa/silber), links: Merlene Ottey (Jamaika/bronze).
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FOTO: DPA Katrin Krabbe in der vergangene­n Woche im Jahnstadio­n von Neubranden­burg.

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