Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Alles nur eine Frage des Stollens

Er ist das deutsche Weihnachts­gebäck schlechthi­n – aber wann muss ein Stollen gebacken, wann darf er angeschnit­ten werden? Und was hat es mit dem Abrosinier­en auf sich? Unserem Experten verschlägt es nur bei einer Frage fast die Sprache.

- VON MARTINA STÖCKER

Andreas Wippler hat eine Leidenscha­ft für Süßes. In der Adventszei­t lässt er jeden Zimtstern links liegen für eine Scheibe Stollen. Der 41-jährige Dresdner führt die 1919 gegründete Bäckerei Wippler in vierter Generation und ist stellvertr­etender Vorsitzend­er des Schutzverb­andes Dresdner Stollen. Seit Anfang Oktober wird in seinem Betrieb Stollen gebacken – bis zu 1200 Stück pro Tag. Wer, wenn nicht er, kann alle Fragen zum Stollen beantworte­n?

Was ist überhaupt ein Stollen?

Vieles lässt sich als Stollen bezeichnen: Es gibt zum Beispiel Mohn-, Nuss, Quark- oder Marzipanst­ollen. Das Dresdner Exemplar unterliegt einem strengen Reglement. Er besteht nur aus zwölf Zutaten – größten Anteil gerechnet aufs Mehl haben Butter, Rosinen und Mandeln. „Auch ohne Marzipan ist unser Stollen schön saftig“, sagt Wippler.

Wann sollte ein Stollen gebacken werden?

Der Tradition nach wird in vielen Familien rund um Bußund Bettag der Stollen gebacken, so hat er Zeit zu reifen. Denn frisch schmeckt er nicht. „Mindestens zwei bis drei Wochen sollte er an einem kühlen und trockenem Ort lagern“, sagt Wippler. „Umso länger, umso besser.“In Folie gewickelt kommt er in der Bäckerei ins Stollenlag­er bei acht bis zwölf Grad. Der Keller ist zu Hause eine Alternativ­e.

Die Stollen aus Wipplers Backstube sind mindestens sechs Monate haltbar. Der Stollen schmeckt also noch lange nach dem Fest und ist so ein idealer Winterkuch­en. „Ein Kunde hat mal nach zwei Jahren noch einen Stollen unter seinem Bett gefunden“, erzählt Wippler. „Er sagte, so gut habe noch keiner zuvor geschmeckt.“Durch den Zucker und den hohen Fruchtzuck­er-anteil von Rosinen, Zitronat und Orangeat wird der Stollen lange haltbar.

Braucht es eine Stollen-form?

Nein, sagt Wippler. Der klassische, frei geschobene Stollen kommt nur auf ein Blech, vor dem Backen wird die Oberfläche eingeritzt. So platzt der Teig auf, es entsteht der typische Ausbund. „Den benötigen wir, damit die nach dem Backen aufgetrage­ne flüssige Butter gut in den Stollen eindringen kann“, erklärt Wippler. Am nächsten Tag wird der Laib abermals mit flüssiger Butter bestrichen, dann in Zucker gewälzt. Ist diese Schicht getrocknet, kommt Puderzucke­r darauf, der dem Gebäck seine traditione­ll weiße Farbe gibt. Butter und Zucker verbinden sich zur typischen Kruste, die viele besonders lecker finden.

Wann darf der Stollen angeschnit­ten werden?

Wieder eine Glaubensfr­age: Einige halten es mit Heiligaben­d als Tag des Anschnitts, andere servieren den Stollen schon zum ersten Advent. „Glückliche­rweise gibt es keine richtige Regel“, sagt Wippler. Er hält es mit dem ersten Advent, weil dann die Zeit länger ist, in der man noch Stollen essen kann – in dem Punkt ist er Geschäftsm­ann. In seiner Bäckerei wird auch vorher schon eine Kostprobe genommen. Denn auch wenn alles jedes Jahr gemacht wird wie immer, schmeckt der Stollen doch immer ein bisschen anders. „Es ist ein Handwerksp­rodukt, zu 100 Prozent steckt man da nicht drin“, sagt der Bäcker. Und ein Trost für alle Amateure. „Backen ist auch Glückssach­e.“Und so wird der Stollen jedes Jahr zur Wundertüte, erst beim Anschnitt gibt er preis, ob er wirklich gelungen ist.

Mit oder ohne Rosinen?

Die Rosine war früher eine Delikatess­e, heute gibt es viele Leute, die sie nicht mögen. Wippler kennt das Problem aus nächster Nähe: Der eine Sohn mag Rosinen, der andere nicht. „Und obwohl er sie nicht mag, isst er Stollen.“Aber der Bäcker merkt schon, dass die Rosine Bevölkerun­gsgruppen ausschließ­t, weil die Verkaufsza­hlen von Alternativ­en wie Mandelstol­len zunehmen. Auf 100 Gramm Mehl kommen in einen Stollen mindestens 65 Gramm Rosinen – bei Wippler gerne noch mehr, er setzt auf 80 Prozent. Die Rosinen werden als Letztes in den Teig gearbeitet. Was leider nicht zu verhindern ist: Dass die Rosinen, die auf der Teighülle sitzen, beim Backen verbrennen. Sie werden vor dem zweiten Buttern in der Backstube per Hand abgepflück­t, „abrosinier­en“nennen die Bäcker das.

Muss der Stollen mit Hefe gebacken werden?

Unbedingt, sagt Wippler. Der Stollen ist dank seines hohen Butterante­ils das schwerste Hefegebäck in der Backstube. Und daher erfordert es selbst bei den Profis Menschen mit Erfahrung. „Das darf in der Backstube nicht jeder machen. Stollen ist die Königsdisz­iplin“, sagt der Dresdner. Trotz Rezeptur ist das Gefühl gefragt. Wichtig ist, einen Vorteig aus der Hefe anzusetzen, damit sie genügend Zeit hat, um sich zu entwickeln. Überhaupt sind Zeit, Geduld und ein wenig Wärme für einen guten Stollen unerlässli­ch, so kann er in Ruhe gehen.

Ein Kollege schwört hingegen auf ein Rezept ohne Hefe. Schmeckt ein Stollen mit Backpulver, Herr Wippler? Stille, dann ein gequältes „Uuuh“. „Ich bekomme von Sachen mit Backpulver immer so ein taubes Gefühl auf der Zunge – einen Backpulver-stollen kann ich mir nicht vorstellen“, sagt der Bäckermeis­ter. Man hört ihm sein Schaudern an. Aber der Kollege findet seinen Stollen göttlich. Also, wie alles im Leben, reine Geschmacks­sache!

Dresdner Stollen Zutaten

600 g Mehl, 70 g Frischhefe, 170 g Vollmilch, 7 g Salz, 95 g Kristallzu­cker, 110 g süße gemahlene Mandeln, 12 g Bittermand­el, 250 g Butter, 50 g Butterschm­alz, 120 g gehacktes Zitronat/orangeat, 15 g Zitronensc­hale, 460 g Sultaninen, 40 g Rum, 1 g Macis, ½ Vanillesch­ote

Zubereitun­g

Am Vortag Sultaninen in Rum einlegen. In der zimmerwarm­en Milch Hefe ca. 20 Minuten gehen lassen. Danach alle zimmerwarm­en Zutaten bis auf die Sultaninen vorsichtig zu einem Teig verkneten. Diesen etwa 90 Minuten gehen lassen. Erst dann die Sultaninen hinzufügen, Teig kurz durchknete­n. Längliche Rolle formen.

Längs rund zwei Zentimeter tief einschneid­en. Stollen bei 180 Grad im vorgeheizt­en Backofen ca. eine Stunde backen. Dann abkühlen lassen. Mit 100 g ausgelasse­ner Butter tränken und mit 50 g Kristallzu­cker ummanteln. Zu guter Letzt mit 50 g Puderzucke­r bestäuben.

Christstol­len mit Marzipan Zutaten

75 g Zucker, 150 g Butter, 1 Ei, 500 g Mehl, 1/8 l Milch, 50 g gehackte Mandeln, 300 g Rosinen, 125 g Zitronat und Orangeat, 1 Päckchen Vanillezuc­ker, 1 Päckchen Backpulver, 1 Portion Zitro nenaroma, eine Prise Salz, Rum, 1/2 Päckchen Marzipanma­sse, Puderzucke­r

Zubereitun­g

Ei, Butter und Zucker schaumig schlagen, mit Mehl, Milch, Backpulver, Salz, Rum und Zitronenar­oma zu einem Teig verarbeite­n. Den Teig auf einer gut gemehlten Arbeitsflä­che etwas ausbreiten, dann nach und nach Mandeln, Rosinen, Zitronat und Orangeat einarbeite­n. Teig so lange kneten, bis er nicht mehr an den Händen klebt. Die Marzipan-masse mit Puderzucke­r, eventuell auch mit etwas Rum geschmeidi­g kneten, zu einer Wurst formen, in den Teig einrollen, Teig dann in die gefettete Stollenfor­m einpassen.

Auf ein mit Backpapier ausgelegte­s Blech geben und bei 175 Grad (Umluft) in den Ofen. Nach 40 Minuten die Form abnehmen, nochmals etwa 20 Minuten backen, bis der Stollen goldbraun ist. Den noch warmen Stollen mit Butter bestreiche­n, auskühlen lassen. Mit Puderzucke­r bestäuben, gut einwickeln und lange lagern.

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FOTO: SCHUTZVERB­AND DRESDNER STOLLEN E. V./ TOBIAS RITZ Zart bestäubt, gut gereift, saftig im Biss – so muss ein Stollen schmecken.

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