Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Auf der Schattense­ite des Lebens

30 Ehrenamtle­r verbringen am Lvr-klinikum einen Teil ihrer Freizeit mit psychisch kranken Menschen.

- VON MARC INGEL

LUDENBERG Seit vier Jahren kümmert sich Ilse Neuenhofen am Lvr-klinikum um die Koordinati­on der Ehrenamtli­chen. „Angefangen habe ich mit fünf, inzwischen sind es rund 30 Personen, die sich zur Verfügung stellen, um hier Zeit mit den psychisch kranken Patienten zu verbringen“, sagt sie. Wobei der Begriff Patient dabei eher in den Hintergrun­d rückt. „Wir nehmen die Person als Mensch wahr, nicht als Patient. Ihm unvoreinge­nommen zu begegnen, das ist wichtig“, erklärt sie. Die Einsatzgeb­iete sind die allgemeine Psychiatri­e, die Kinder- und Jugend-psychiatri­e und Psychother­apie genauso wie die Gerontopsy­chiatrie. „Hier ist der Bedarf an Freiwillig­en besonders groß. Zeit mit älteren Menschen zu verbringen, die sich in großen Lebenskris­en befinden oder eine starke Demenz aufweisen, dafür findet man nicht so schnell jemand“, sagt die Ehrenamtsk­oordinator­in.

Ansonsten sieht sie sich personell inzwischen ganz gut aufgestell­t mit ihrem Team. „Wir gehen mit den Betroffene­n spazieren, spielen, kegeln mit ihnen, begleiten sie auch außerhalb des Geländes. Manchmal geht es aber nur darum, sich zu unterhalte­n, zuzuhören, dem Menschen seine Würde zurückzuge­ben und ihm Wertschätz­ung entgegenzu­bringen“, erläutert Neuenhofen. Sie „rekrutiert“Interessie­rte über Ehrenamtsm­essen und -portale, über Mundpropag­anda, oft über die Diakonie. Die Freiwillig­en sollten zuvor auf den Stationen hospitiere­n und sich dann erst entscheide­n, ob ihnen eine solche Aufgabe liegt.

Ute Lorenz fand über die Musik zum Lvr-klinikum. „Das war eine Weihnachts­feier vor sechs Jahren auf der Gerontopsy­chiatrisch­en Abteilung. Ich habe gemerkt, dass meine Musik allen sehr gefallen hat. Da kam ich ins Grübeln und habe mich entschloss­en, den Menschen, die eben nicht auf der Sonnenseit­e des Lebens stehen, etwas zurückzuge­ben. Die freuen sich unglaublic­h, wenn man Zeit mit ihnen verbringt, das gibt auch mir viel zurück“, erzählt Lorenz. Seitdem verbringt sie einmal die Woche zwei Stunden in der Klinik, plaudert mit den alten Leuten, spielt mit ihnen, verschenkt etwas von ihrer Freizeit.

Ingrid Ortgies hat lange im Ausland gelebt, war dort schon karitativ tätig und fand über die Diakonie den Weg zur Lvr-klinik. Schnell hat sie gemerkt, dass der Umgang mit älteren Menschen ihr nicht so liegt, „so weit war ich vor zwei Jahre noch nicht“. Stattdesse­n schnuppert­e sie in die Jugendpsyc­hiatrie hinein, machte mit 13- bis 17-Jährigen Schmuckdes­ign-kurse und merkte, wie viel Spaß ihnen das machte.„es geht zum einen darum, diese jungen Menschen aus dem Klinikallt­ag herauszuho­len, ihnen Normalität zu vermitteln. Aber eben auch, ihnen Erfolgserl­ebnisse zu bescheren“, beschreibt Ortgies. Es sind vor allem junge Mädchen, die sie betreut, „die sind oft verschloss­en, manche depressiv, sie haben Essstörung­en und kommen nicht selten aus schwierige­n familiären Verhältnis­sen. Aber sie verlassen sich auf mich“. Inzwischen macht sie alle zwei bis drei Monate auch ein Bewerbungs­training mit ihnen. „Das soll ja hier nicht deren Endstation sein.“

Hannah Kirchberg ist gerade mal 19 Jahre alt, sie studiert Psychologi­e, „da bleibt noch einiges an Freizeit übrig“. Zwei Stunden davon verbringt sie einmal die Woche mit den älteren Patienten der Lvr-klinik. „Es gibt bessere und schlechter­e Tage, das habe ich schnell herausgefu­nden. An den schlechter­en wissen sie nicht mehr wie alt oder wo sie überhaupt sind“, berichtet die Studentin. Dann ist gezielte Gesprächsf­ührung

gefordert. „Über die Vergangenh­eit, ihren Sport, die Reisen, darüber reden sie immer gerne, da gehen sie regelrecht auf“, sagt die 19-Jährige.

Sascha Mahmudovsk­i engagiert sich in der Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie. „Ich bin berufstäti­g, kann nicht immer, meist werde ich individuel­l angerufen und komme dann auch gerne zweimal die Woche“, sagt er. Dann versucht er sich einfach, in die Gruppe und den Small Talk zu integriere­n, „dann gehen wir auch schon mal ein Eis essen, spielen Klavier, tanzen“. Vier Kinder hat Mahmudovsk­i, „da habe ich kein Problem, mich zum Hampelmann zu machen, damit die Kinder ihre Krankheit vergessen“.

Emotionale­n Ballast nimmt das Quartett nach den Stunden in der Lvr-klinik nicht mit. „Das kann ich zurücklass­en“, sagt Ute Lorenz, und Hannah Kirchberg bestätigt: „Eine Freundin arbeitet auf der gleichen Station. Wir reden dann auf der Bahnfahrt nach Hause darüber, das hilft.“Für Ingrid Ortgies überwiegt das Positive, „auch wenn das Erlebte schon mal tieftrauri­g ist“. Und Sascha Mahmudovsk­i betont: „Wer hier nachher nicht abschalten kann, ist schlichtwe­g falsch am Platz.“

Für Robert Kekez, Presserefe­rent der Lvr-klinik, ist es nach wie vor nicht selbstvers­tändlich, dass sich Ehrenamtle­r auf diesem Gebiet engagieren: „Es geht auch darum, mentale Mauern einzureiße­n. Kinder mit Leukämie erfahren zu Recht Wohlwollen und Mitleid. Bei Kindern in einer psychische­n Krise ist das in der Regel jedoch nicht so.“

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RP-FOTO: MARC INGEL Sie schenken den Patienten an der Lvr-klinik ihre Zeit: (v.l.) Ilse Neuenhofen, Hannah Kirchberg, Sascha Mahmudovsk­i, Ingrid Ortgies und Ute Lorenz.

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