Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Die letzte Bewährungsprobe
ANALYSE Die Pandemie hat Angela Merkel aus dem Modus gerissen, ihre Kanzlerschaft nach und nach ausklingen zu lassen. So fatal das Virus ist, so sehr bietet es ihr die Chance, Gräben zuzuschütten und einen Kreis zu schließen.
Angela Merkel hat mit einigen Superlativen beschrieben, wofür die zerstörerische Pandemie mit dem dafür unpassend schönen Namen Corona, die „Krone“, steht: Für die „größte Herausforderung“und den „härtesten Einschnitt in die Freiheitsrechte“der Bürger in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg, eine „Zumutung für die Demokratie“und damit eine der „schwersten Entscheidungen“in ihrer ganzen Amtszeit als Bundeskanzlerin. Bei aller Wucht ist dieses Virus, das wie alle Infektionen die Bedeutung von positiv und negativ ins Gegenteil verkehrt, aber noch etwas, das sich unangebracht anhört und trotzdem zutrifft: Corona ist auch der krönende Abschluss der Kanzlerschaft Merkel.
In dieser Krise versammelt sich alles, was die bald 66-Jährige in ihrem politischen Leben gemanagt hat: Finanzkrise, Schuldenkrise, Wirtschaftskrise, Hass und Hetze, Spott und Spaltung, Verunsicherung und Verschwörung. Eigentlich hatte sie sich mit ihrem Rückzug vom Cdu-vorsitz 2018 und ihrer Ankündigung, 2021 zur Bundestagswahl nicht mehr anzutreten, darauf eingestimmt, ihre Arbeit in Ruhe und für Spitzenpolitiker beispiellos berechenbar zu Ende zu bringen. Selbst wenn es zum Koalitionsbruch gekommen wäre, wie es wegen der Spannungen in und mit der SPD sowie in und mit der Union lange für möglich gehalten wurde, wäre Merkel wohl ohne große Wehmut abgetreten. Die deutsche Eu-ratspräsidentschaft – Merkels zweite – galt noch als eines ihrer großen Ziele. Aber nur, um diese zum 1. Juli noch zu übernehmen, hätte sie kaum auf Teufel komm raus durchregiert.
Dann kam Corona. Ihre einstige Favoritin für ihre Nachfolge im Kanzleramt, die nun scheidende Cdu-chefin Annegret Kramp-karrenbauer, hatte just zuvor ihren Rücktritt angekündigt.
Die für April geplante Wahl eines Nachfolgers wurde wegen der Pandemie auf den regulären Parteitag im Dezember verschoben. Merkel rückte wieder in den Fokus. Und sie habe noch einmal „voll aufgedreht“, sagt ein Cdu-präsidiumsmitglied. Bis auf Verschwörungstheoretiker und Afd-politiker habe niemand ihre Kompetenz infrage gestellt. Im Bundestag nicht, in der Bevölkerung nicht, in CDU und CSU auch nicht. Auch im Ausland sei sie unangefochten. Ihre Umfragewerte seien glänzend, die Union liege endlich wieder bei 40 Prozent. Nach der schweren Zeit während der Flüchtlingskrise sei ihr diese Schlussphase sehr gegönnt, sagt ein führender Cdu-politiker. Und von Seiten der Spd-länder in der Ministerpräsidentenkonferenz heißt es, sie seien froh, dass Merkel noch da sei.
Diese Anerkennung habe aber in erheblichem Maße damit zu tun, dass sich Merkel aus dem Rennen um die nächste Kanzlerkandidatur herausgenommen habe. Die Analyse stammt von jemandem, der Merkel gut kennt und ähnlich nüchtern wie sie auf die Dinge schaut. Würde Merkel noch unter dem Druck stehen, sich bei allem was sie sagt und tut, gegen Konkurrenten, Widersacher und erbitterte Gegner verteidigen und um die nächste Kanzlerschaft kämpfen zu müssen, würde die Bilanz kritischer ausfallen. So aber müsse sie sich um dieses brutale Alltagsgeschäft nicht mehr kümmern. Manche nennen sie „die Entrückte“.
Das ist eine gute Beschreibung auch für Merkels Verhalten im aktuellen Knatsch über das so unterschiedliche Vorgehen der Ministerpräsidenten bei den Corona-lockerungen. Die Länderchefs haben sich nach wochenlanger ordnender Hand der Kanzlerin das Heft des Handelns zurückgeholt, weil es große regionale Unterschiede des Infektionsgeschehens gibt und ein punktuelles Vorgehen angebracht erscheint. Wenn dann aber Winfried Kretschmann (Grüne) und Markus Söder (CSU) davon sprechen, dass es jetzt erst einmal keine Ministerpräsidentenkonferenzen (MPK) gebe, erinnert Merkel wie am Mittwoch in einer Pressekonferenz kurz daran, dass man ja schon Mitte Juni wieder für eine MPK verabredet sei. Sie stellt auch mit der Betonung des „Schutzrahmens“mit einem 1,5-Meter-abstand zueinander und der „Notbremse“im Falle eines erhöhten Infektionsgeschehens fest: „Natürlich bleiben all die Mechanismen bestehen.“Und ihre Bemerkung „Ich darf Ihnen sagen, dass der Bund die Situation natürlich ganz genau verfolgt“dürfen die Ministerpräsidenten dann auch so verstehen, dass sie Rabatz machen wird, wenn die Infektionszahlen wieder steigen. Immerhin verschuldet sich der Bund in gigantischem Ausmaß für die Bewältigung der Pandemie.
Es gibt langjährige leidenschaftliche Anti-merkel-leute, die nun wie verwandelt davon reden, sie könnten sich eine fünfte Amtszeit Merkels gut vorstellen. Oder dass sie ihre vierte verlängern solle, wenn Corona die Bundestagswahl durchkreuze. Eher wird Merkel aber dafür sorgen, dass der nächste Bundestag per Brief gewählt wird, als über 2021 hinaus zu regieren. Es wäre jedenfalls eine große Enttäuschung, wenn sie den bisher einmaligen Weg, eine Kanzlerschaft selbstbestimmt zu beenden, wieder verließe.
Die Corona-krise wird die deutsche Eu-ratspräsidentschaft prägen und Merkels Verhandlungsgeschick im Ringen um Hunderttausende von Millionen Euro noch einmal auf die Probe stellen. Und sie wird das ganze letzte Jahr ihrer dann 16-jährigen Kanzlerschaft bestimmen. Merkel hat damit auch die Chance, Gräben zuzuschütten, die in der Flüchtlingskrise gerissen wurden, weil sich viele Bürger nicht mitgenommen fühlten und Merkel ihr Handeln zu wenig erklärte. Corona geht alle an. Und der Staat braucht die Unterstützung seiner Bürger. Vielleicht schließt sich für Merkel nach den vielen Krisen da der Kreis. Ihre erste Regierungserklärung 2005 hatte sie mit dem Ausdruck der Überzeugung beendet: „Deutschland kann es schaffen.“
„Ich bin überzeugt, Deutschland kann es schaffen.“Angela Merkel in ihrer ersten Regierungserklärung 2005