Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Ein himmlisches Tier auf Erden
Als Verkörperung des Heiligen Geistes ist die Taube in vielen Kunstwerken präsent. Woher stammt das Symbol und wo kommt es vor?
Düsseldorf Kein christliches Fest kommt ohne Symbole aus, und nicht wenige davon sind Tiere: Das Osterlamm als die Verkörperung der Unschuld, Reinheit und schließlich der physischen Auferstehung Jesu. Das Pfingstfest hat den Pfingstochsen, dessen Prozession durch süddeutsche Bergdörfer vor dem Almauftrieb an antike Opferrituale erinnert – so wurde das Tier nach dem blumengeschmückten Umzug noch bis ins 19. Jahrhundert geschlachtet. Und noch ein weiteres, ehemaliges Opfertier hat Einzug in die christliche Symbolik gehalten: die Taube. Sowohl in der sakralen als auch der weltliche Kunst hat sie seit Jahrtausenden ihren Platz, und bis heute inspiriert sie Künstler, die sie in neue Kontexte setzen und dem Taubensymbol so zu neuer Bedeutung verhelfen.
Die früheste Darstellung der Taube im Zusammenhang mit Pfingsten findet Pfarrer Kurt-peter Gertz in seinem Buch „Pfingsten in der modernen Kunst“im Rabula-evangeliar aus dem Jahr 586. Zu sehen ist eine Gruppe aus Aposteln und Jüngern, auf die – eher einem herabstoßenden Falken gleich – eine weiße Taube herunterschwebt. Aus ihrem Kopf scheint ein Feuer auf die Häupter der Anwesenden zu strömen. Die Szene zeigt die sogenannte „Ausgießung des Heiligen Geistes“, sie beschwört bildlich die Erfüllung der Gläubigen mit der Erkenntnis, dass Gott unter ihnen weilt.
Diese göttliche Gegenwart symbolisiert auch eine aus dem Mittelalter stammende Tradition, Tauben an Pfingsten im Kirchenraum fliegen zu lassen. Der Brauch wich im Barock dann einem neuen Ritual, das keine lebenden Tiere mehr erforderte: Eine aus Holz geschnitzte Taubenfigur, oft versehen mit einem goldenen Strahlenkranz, wurde an Schnüren durch das Heiliggeistloch in der Kirchendecke gelassen, um die Anwesenheit Gottes im Kirchenraum zu verdeutlichen. Auch das Peristerium, eine Art Hostienhalter in Taubenform, zeugte vom Wunsch, dem Heiligen Geist eine konkrete Form zu geben.
Das tut der niederländische Maler Hans Memling in „Die Verkündigung“ebenfalls: Auf dem 76 mal 54 Zentimeter großen, um 1480 entstandenen Ölgemälde wird die Jungfrau Maria von drei Engeln besucht. Über ihr segelt eine Taube, wie in einem Mobile aufgehängt, inmitten eines Heiligenscheins. Voller Symbole steckt das Bild, und fast verliert sich der kleine Vogel sogar in dem Ensemble aus Gold, Kaminrot und Weiß. Der Heilige Geist auf einem Wimmelbild à la „Wo ist Walter“? Nicht ganz, denn die Wichtigkeit des Taubensymbols über dem vornehm blassen Gesicht Marias springt doch ins Auge.
Die Taube beeinflusste auch einen „Heiligen“der modernen Kunst: Pablo Picasso war durch seinen begabten Vater schon als Kind von Darstellungen des Vogels umgeben, wie Wilfried Wiegand in seiner Picasso-biografie schrieb: „Mein Vater malte Bilder für Esszimmer. Vor allem Tauben und Flieder.“Ungleich bekannter als die Taubendarstellungen José Ruiz Blascos sollten zwei aus der Hand seines Sohnes werden. Zum einen das schlicht „Taube“betitelte Werk aus dem Jahr 1942: Ganz anders als gewohnt, wirkt der schneeweiße Friedensbote vor dem schwarzen Hintergrund beinahe geisterhaft und unheimlich. Im Nachkriegsjahr 1949, zum Weltfriedenskongress in Paris, entwarf Picasso mit nur wenigen Strichen eine Ikone: Die Skizze einer Taube mit einem Ölzweig im Schnabel war ursprünglich nur ein Entwurf für ein Plakat. Die Zeichnung „Die fliegende Taube“, ist eine von mehreren Interpretation einer früheren Lithografie, die der Franzose Louis Aragon bei einem Besuch bei seinem Freund Picasso als Symbol für den Kongress ausgesucht haben soll. Eine Erfolgsgeschichte also: Heute ist das ursprünglich christliche Symbol – der Ölzweig verweist auf die alttestamentarische Sintflut-erzählung des zur Arche wiederkehrenden Vogels – ein
Erkennungszeichen der Friedensbewegung.
Auch Picassos Zeitgenosse, der Designer und Architekt Le Corbusier, setzte die Taube im Jahr 1964 in Szene, allerdings in ganz anderer, monumentaler Form. Die „Offene Hand“, eine 50 Tonnen schwere Metallskulptur, die sich in Windrichtung ausrichtet, ist als Bestandteil einer Platzanlage, die ebenfalls nach Vorstellungen Le Corbusiers gestaltet wurde, das Wahrzeichen des indischen Chandigarh. Ihr Erschaffer sah darin ein Zeichen für „Frieden und Versöhnung in einer armen und abgelegenen, aber spirituell reichen Provinz“Indiens. Das Heimatland der Spiritualität, das Indien in den Augen vieler Europäer im 19. und 20. Jahrhunderts war, hatte nun ein geistliches Symbol mehr – eine Hand, deren fünf Finger so angeordnet sind, dass sie eine fliegende Taube ergeben.
1974 gewann die Taube in der Populärkultur weiter an Bedeutung, als der finnische Grafikdesigner Mika Launis für das Friedenskomitee seines Heimatlandes aus der Taube ein Emblem machte: Er fotografierte den Vogel im Studio, setzte dessen weiße Silhouette auf einen himmelblauen Grund und lieferte Abrüstungsgegnern auch in der Bonner Republik ein starkes Symbol für den Frieden. Dass die Modell fliegende Taube bei der Kollision mit einem Studioscheinwerfer eine Schwanzfeder eingebüßt hat, ist noch dazu eine nette Geschichte mit allerdings unklarem Wahrheitsgehalt.
Es scheint, dass sich mit der zunehmenden Verdrängung der Religion aus dem Alltag über die Jahrzehnte und Jahrhunderte auch eine Säkularisierung der Taube vollzogen hat: von der Verkörperung des Heiligen Geistes hin zu einem Symbol der Schönheit, Reinheit und des Friedens. So ist sie auch in der religionsfeindlichen DDR ein beliebtes Modell für Wandmosaike in Schulen und öffentlichen Einrichtungen gewesen – sicherlich dem 1949 gedichteten Kinderlied der Kindergärtnerin Erika Schirmer geschuldet. „Kleine weiße Friedenstaube, fliege übers Land“sangen die Schulund Kindergartenkinder des deutschen Realsozialismus, und gaben der Taube damit auch eine politische Dimension, die sie in den Sowjetstaaten schon hatte.