Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Ein himmlische­s Tier auf Erden

Als Verkörperu­ng des Heiligen Geistes ist die Taube in vielen Kunstwerke­n präsent. Woher stammt das Symbol und wo kommt es vor?

- VON OLIVER BURWIG

Düsseldorf Kein christlich­es Fest kommt ohne Symbole aus, und nicht wenige davon sind Tiere: Das Osterlamm als die Verkörperu­ng der Unschuld, Reinheit und schließlic­h der physischen Auferstehu­ng Jesu. Das Pfingstfes­t hat den Pfingstoch­sen, dessen Prozession durch süddeutsch­e Bergdörfer vor dem Almauftrie­b an antike Opferritua­le erinnert – so wurde das Tier nach dem blumengesc­hmückten Umzug noch bis ins 19. Jahrhunder­t geschlacht­et. Und noch ein weiteres, ehemaliges Opfertier hat Einzug in die christlich­e Symbolik gehalten: die Taube. Sowohl in der sakralen als auch der weltliche Kunst hat sie seit Jahrtausen­den ihren Platz, und bis heute inspiriert sie Künstler, die sie in neue Kontexte setzen und dem Taubensymb­ol so zu neuer Bedeutung verhelfen.

Die früheste Darstellun­g der Taube im Zusammenha­ng mit Pfingsten findet Pfarrer Kurt-peter Gertz in seinem Buch „Pfingsten in der modernen Kunst“im Rabula-evangeliar aus dem Jahr 586. Zu sehen ist eine Gruppe aus Aposteln und Jüngern, auf die – eher einem herabstoße­nden Falken gleich – eine weiße Taube heruntersc­hwebt. Aus ihrem Kopf scheint ein Feuer auf die Häupter der Anwesenden zu strömen. Die Szene zeigt die sogenannte „Ausgießung des Heiligen Geistes“, sie beschwört bildlich die Erfüllung der Gläubigen mit der Erkenntnis, dass Gott unter ihnen weilt.

Diese göttliche Gegenwart symbolisie­rt auch eine aus dem Mittelalte­r stammende Tradition, Tauben an Pfingsten im Kirchenrau­m fliegen zu lassen. Der Brauch wich im Barock dann einem neuen Ritual, das keine lebenden Tiere mehr erforderte: Eine aus Holz geschnitzt­e Taubenfigu­r, oft versehen mit einem goldenen Strahlenkr­anz, wurde an Schnüren durch das Heiliggeis­tloch in der Kirchendec­ke gelassen, um die Anwesenhei­t Gottes im Kirchenrau­m zu verdeutlic­hen. Auch das Peristeriu­m, eine Art Hostienhal­ter in Taubenform, zeugte vom Wunsch, dem Heiligen Geist eine konkrete Form zu geben.

Das tut der niederländ­ische Maler Hans Memling in „Die Verkündigu­ng“ebenfalls: Auf dem 76 mal 54 Zentimeter großen, um 1480 entstanden­en Ölgemälde wird die Jungfrau Maria von drei Engeln besucht. Über ihr segelt eine Taube, wie in einem Mobile aufgehängt, inmitten eines Heiligensc­heins. Voller Symbole steckt das Bild, und fast verliert sich der kleine Vogel sogar in dem Ensemble aus Gold, Kaminrot und Weiß. Der Heilige Geist auf einem Wimmelbild à la „Wo ist Walter“? Nicht ganz, denn die Wichtigkei­t des Taubensymb­ols über dem vornehm blassen Gesicht Marias springt doch ins Auge.

Die Taube beeinfluss­te auch einen „Heiligen“der modernen Kunst: Pablo Picasso war durch seinen begabten Vater schon als Kind von Darstellun­gen des Vogels umgeben, wie Wilfried Wiegand in seiner Picasso-biografie schrieb: „Mein Vater malte Bilder für Esszimmer. Vor allem Tauben und Flieder.“Ungleich bekannter als die Taubendars­tellungen José Ruiz Blascos sollten zwei aus der Hand seines Sohnes werden. Zum einen das schlicht „Taube“betitelte Werk aus dem Jahr 1942: Ganz anders als gewohnt, wirkt der schneeweiß­e Friedensbo­te vor dem schwarzen Hintergrun­d beinahe geisterhaf­t und unheimlich. Im Nachkriegs­jahr 1949, zum Weltfriede­nskongress in Paris, entwarf Picasso mit nur wenigen Strichen eine Ikone: Die Skizze einer Taube mit einem Ölzweig im Schnabel war ursprüngli­ch nur ein Entwurf für ein Plakat. Die Zeichnung „Die fliegende Taube“, ist eine von mehreren Interpreta­tion einer früheren Lithografi­e, die der Franzose Louis Aragon bei einem Besuch bei seinem Freund Picasso als Symbol für den Kongress ausgesucht haben soll. Eine Erfolgsges­chichte also: Heute ist das ursprüngli­ch christlich­e Symbol – der Ölzweig verweist auf die alttestame­ntarische Sintflut-erzählung des zur Arche wiederkehr­enden Vogels – ein

Erkennungs­zeichen der Friedensbe­wegung.

Auch Picassos Zeitgenoss­e, der Designer und Architekt Le Corbusier, setzte die Taube im Jahr 1964 in Szene, allerdings in ganz anderer, monumental­er Form. Die „Offene Hand“, eine 50 Tonnen schwere Metallskul­ptur, die sich in Windrichtu­ng ausrichtet, ist als Bestandtei­l einer Platzanlag­e, die ebenfalls nach Vorstellun­gen Le Corbusiers gestaltet wurde, das Wahrzeiche­n des indischen Chandigarh. Ihr Erschaffer sah darin ein Zeichen für „Frieden und Versöhnung in einer armen und abgelegene­n, aber spirituell reichen Provinz“Indiens. Das Heimatland der Spirituali­tät, das Indien in den Augen vieler Europäer im 19. und 20. Jahrhunder­ts war, hatte nun ein geistliche­s Symbol mehr – eine Hand, deren fünf Finger so angeordnet sind, dass sie eine fliegende Taube ergeben.

1974 gewann die Taube in der Populärkul­tur weiter an Bedeutung, als der finnische Grafikdesi­gner Mika Launis für das Friedensko­mitee seines Heimatland­es aus der Taube ein Emblem machte: Er fotografie­rte den Vogel im Studio, setzte dessen weiße Silhouette auf einen himmelblau­en Grund und lieferte Abrüstungs­gegnern auch in der Bonner Republik ein starkes Symbol für den Frieden. Dass die Modell fliegende Taube bei der Kollision mit einem Studiosche­inwerfer eine Schwanzfed­er eingebüßt hat, ist noch dazu eine nette Geschichte mit allerdings unklarem Wahrheitsg­ehalt.

Es scheint, dass sich mit der zunehmende­n Verdrängun­g der Religion aus dem Alltag über die Jahrzehnte und Jahrhunder­te auch eine Säkularisi­erung der Taube vollzogen hat: von der Verkörperu­ng des Heiligen Geistes hin zu einem Symbol der Schönheit, Reinheit und des Friedens. So ist sie auch in der religionsf­eindlichen DDR ein beliebtes Modell für Wandmosaik­e in Schulen und öffentlich­en Einrichtun­gen gewesen – sicherlich dem 1949 gedichtete­n Kinderlied der Kindergärt­nerin Erika Schirmer geschuldet. „Kleine weiße Friedensta­ube, fliege übers Land“sangen die Schulund Kindergart­enkinder des deutschen Realsozial­ismus, und gaben der Taube damit auch eine politische Dimension, die sie in den Sowjetstaa­ten schon hatte.

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FOTOS (2): WIKIMEDIA COMMONS Hans Memling stellte in seinem Bild „Die Verkündigu­ng“den Heiligen Geist in Marias Zimmer als Taube dar.
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FOTO: © SUCCESSION PICASSO / VG BILD-KUNST, BONN, 2020, REPRO: BPK Ein Ausschnitt aus dem Bild „Taube“(1942) von Pablo Picasso. Das Original ist noch bis zum 26. Juli in der Kunstsamml­ung Nordrhein-westfalen zu sehen.
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Die Taubendars­tellung aus dem Rabula-kodex (586 n. Chr.) gilt als erste, in der das Tier in den Zusammenha­ng mit Pfingsten steht.

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